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Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl wirkte sich insbesondere auf den Artenreichtum der lokalen Vogelwelt aus, fanden Forscher heraus.

Foto: REUTERS/Vasily Fedosenko

Wien – Wie oft Timothy Mousseau schon in den Katastrophengebieten von Tschernobyl und Fukushima war, kann er nicht sagen, es waren dutzende Male. Mousseau ist Professor für Biologie an der Universität von South Carolina (USA) und befasst sich seit mehr als 15 Jahren intensiv mit den Folgen von radioaktiver Strahlung auf die Umwelt. 1999 war Mousseau das erste Mal in der Todeszone von Tschernobyl und 2011, wenige Monate nach dem Reaktorunfall, in Fukushima.

Nach seiner ersten Reaktion auf das verstrahlte Areal in der Ukraine befragt, erinnert er sich: "Ich war einerseits überwältigt vom Umfang der Katastrophe und den vielen verlassenen Dörfern, aber auch überrascht darüber, wie normal es aussah." Was war der Beweggrund für seine Reisen? "Ursprünglich hoffte ich vor allem, Anpassungen an Strahlung zu entdecken. Besonders interessierte mich, ob Weibchen ihren Jungen eventuell schützende Chemikalien – etwa Antioxidantien – mitgeben. Bis jetzt haben wir allerdings kaum Beweise für solche Anpassungen gefunden."

Weniger Vögel, Insekten und Spinnen

Seit damals hat er – meist mit seinem früheren Kollegen Anders Pape Møller – mehr als 160 Artikel über seine Arbeit verfasst. Unter anderem stellten die Forscher in Tschernobyl eine gesunkene Biodiversität fest, insbesondere einen Rückgang von Vögeln sowie vielen Insekten und Spinnen. Außerdem fanden sie an Rauchschwalben körperliche Anomalien, die auf Mutationen schließen lassen.

Auch in Fukushima fand Mousseaus Forschungsgruppe sowohl weniger Vogelarten als auch meist umso geringere Stückzahlen, je höher die Strahlung war. Einige wenige jedoch sind umso häufiger, je höher die nukleare Belastung ausfällt. Warum das so ist, ist ungeklärt. Fest steht, dass verschiedene Tierarten unterschiedlich sensibel auf Strahlung reagieren. Bei den Arten jedoch, die negative Auswirkungen zeigen, werden diese im Lauf der Zeit nicht geringer, sondern ausgeprägter. Für Mousseau ein untrügliches Indiz dafür, dass es von Generation zu Generation zu immer mehr schädlichen genetischen Veränderungen kommt.

Diese Auffassung teilen jedoch nicht alle Forscher: De facto herrscht ein jahrelanger Streit zwischen Mousseau und Robert Baker, Biologieprofessor an der Texas Tech Universität. Er war 1994 einer der ersten Wissenschafter, die nach dem Unfall die Todeszone in Tschernobyl betreten durften. Zu seiner großen Überraschung fand er ein allem Anschein nach florierendes Ökosystem vor mit jeder Menge Wölfe, Elche und Wildschweine.

Trotz Verstrahlung gesund und munter

Die Wühlmäuse, die die Forscher untersuchten, waren zwar so verstrahlt, dass sie die Geigerzähler förmlich zum Kreischen brachten, aber gesund und munter. Ob sie auch genetisch unverändert waren, ist nicht ganz klar: In einem Artikel, der 1996 in "Nature" erschien, berichtete Bakers Gruppe sehr wohl von erhöhten Mutationsraten. Allerdings zog sie das Paper im nächsten Jahr zurück, nachdem genauere Methoden ergeben hätten, dass die Veränderung statistisch nicht signifikant sei. Laut Mousseau habe Baker in aktuellen Forschungen wieder Mutationen gefunden – Baker stand für ein Gespräch mit dem STANDARD nicht zur Verfügung.

"Unsere Arbeiten in Tschernobyl und Fukushima haben klare Beweise dafür erbracht, dass radioaktive Strahlung einen signifikanten Einfluss auf Organismen hat", fasst Mousseau seine Ergebnisse zusammen. "Es gibt keine Hinweise darauf, dass es einen Schwellenwert gibt, unterhalb dem keine Schädigung mehr auftritt, und auch keine Hinweise auf Hormesis." Das ist eine Hypothese, die besagt, dass geringe Dosen schädlicher Substanzen eine positive Wirkung auf den Organismus haben können – in diesem Fall das Immunsystem zu Höchstleistungen anregen. "Unser Immunsystem arbeitet schon unter normalen Bedingungen die ganze Zeit heftig daran, uns am Leben zu erhalten." (Susanne Strnadl, 14.3.2016)