Oswald Oberhuber (85) inmitten seiner Skulpturen aus Papier, Holz, angekokelten Büchern, Draht und übereinandergeschichteten Schachteln: Er postulierte die "Kunst ohne Künstler".


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Oswald Oberhuber, "Zerstörte Formen", 1949, Leimfarbe, Öl und Lack auf Jute auf Holzfaserplatte.

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Oswald Oberhuber, "Ich", 1964.

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Oswald Oberhuber, "ABC", 1968, Öl auf Leinwand.

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Oswald Oberhuber, "Ziegen und Schafe", 2009, Öl auf Leinwand.

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Wien – Beschriftete Versandkärtchen, akkurat in Dreierreihen auf roter Holzplatte montiert. "Oberhuber gibt es nicht", steht auf einem. "Nicht" durchgestrichen. Stimmt, denn in der Tat gibt es Oswald Oberhuber in atemberaubender (Über-)Fülle und erstaunlich immergültiger Jugendfrische: Informelles, Figuratives, Abstraktes, Zeichnungen, Öl- ebenso wie Materialbilder, Objekte, Skulpturen, Gerümpelplastiken, Modedesign, Möbel, Tücher, Collagen und Assemblagen aus Schachteln, Kisten, Drähten, Nägeln und Fetzen.

Oswald Oberhuber, das zeigt diese an kalkuliertes Chaos grenzende Retrospektive im 21er-Haus, war von Anbeginn ein wilder Kunst-Hund, der sich, durchaus ironisch, selbst bespiegelte und die eigene Begabung auslotete. Der lustvoll Tabus und mit Traditionen brach, Grenzen überschritt und gnadenlos (auch und vor allem gegen sich selbst) Stagnation und künstlerische Dogmen bekämpfte. "Die zahlreichen Facetten seiner Person zeichnen ihn aus, machen es aber zugleich schwierig, ihn in seiner Gesamtheit zu erfassen", schreibt Agnes Husslein im Ausstellungskatalog.

Kunst als Welteroberung und Weltgewinn: Mit 300 Werken schlagen die Kuratoren Luisa Ziaja und Alfred Weidinger eine erhellende Spur durch das wuchernde, turbulente Oberhuber'sche Universum voller Verästelungen, überraschender Abbiegungen, rasanter Umkehrungen. Kein leichtes Unterfangen jedenfalls, für das der Meister selbst ein (durch)lässiges Labyrinth aus Raumskulpturen entworfen hat. Diese weiß lasierten Holzstellwände ermöglichen das für Oberhuber geradezu Unmögliche, nämlich eine Art Chronologie; gewähren gleichzeitig aber auch den nötigen Durch- und Weiterblick zu anderen Werkphasen: von den frühen Figurationen hin zu seinen berühmten Selbstporträts Ich als Kind und den poppigen Zahnbildern aus den 1960ern, die, ja, durch Zahnschmerzen des Künstlers ausgelöst wurden.

Hinwendung zu Neuem

Noch als Gewerbeschüler in Innsbruck knetete und wühlte Oberhuber 1948 in Ton, goss die Formen mit Bronze oder Gips aus. Angeregt dazu hatte ihn eine Publikation über Picassos Skulpturen: "Ich konnte mir das Buch nicht leisten, ging aber fast jeden Tag in die Buchhandlung, um es anzuschauen, bis es total abgegriffen war und ich es billiger bekam." Auch seine frühe informelle Malerei war vor allem von Picasso inspiriert; er schuf Bilder mit Titeln wie Zerstörte Formen, Inselfleck oder, schlicht, Auflösung.

Die stete Abkehr vom raschen Erfolg, die Hinwendung zu Neuem, Riskantem kann wohl als Grundsteinlegung für Oberhubers gesamtes, von Wandel und Widerspruch beherrschtes Schaffen gelten. Er postulierte die Kunst ohne Künstler und stellte unter diesem Titel 1969 in der Wiener Galerie nächst St. Stephan aus, die er zwischen 1973 und 1978 auch leiten sollte.

Und er forderte, dass man kein Bild wiederholen dürfe. "Der Fehler ist ja, dass viele Künstler den Mut verlieren. Sie haben etwas entdeckt und glauben, damit bis an ihr Lebensende durchzukommen. Aber das ist ein Irrtum! Ich zweifle auch oft an mir selber. Aber wichtig ist die Erkenntnis, dass es immer weitergeht und mir immer wieder etwas einfällt. Die große Problematik vor allem für einen jüngeren Künstler ist, dass er zu versagen fürchtet. Diese Angst muss er loswerden. Sonst gerät er in diese fürchterliche Depression des Versagens."

Oswald Oberhuber, der viele Jahre auch Rektor der Wiener Universität für angewandte Kunst war, ist ein umfassend gebildeter Universalkünstler und genialer Stil-Zertrümmerer, der 1972 gemeinsam mit Hans Hollein Österreich auf der Venedig-Biennale vertrat. Oberhuber bemalte vor Ort riesige Tücher, um mit ihnen die räumlichen Dimensionen des Hofmann-Pavillons neu zu definieren. Diese Arbeiten sind übrigens auch im 21er-Haus ausgestellt.

Setzung und Widersetzung

Die Schau ist eine Expedition zu den wesentlichsten Kunstetappen des 20. und 21. Jahrhunderts. Oberhuber nahm Graffiti voraus, jonglierte mit Zahlen und Buchstaben, wobei ihn nicht so sehr die Botschaft interessierte als vielmehr das formale Ergebnis; er arbeitete konzeptuell, widmete sich der Pop- ebenso wie der Minimal Art und nahm sich von der Arte povera, was er brauchen konnte. "Schließlich bin ich jemand, der auch ohne weiteres abschaut. Es ist ein Fehler, dass man dem immer ausweicht." Nein, Oberhuber scherte sich um nichts, vor allem nicht um Verbote. Setzung und Widersetzung sind Oberhubers Konstanten, die Linie, die Kontur, die zarte Farbigkeit, die immer wiederkehrende Beschäftigung mit der Figur: Das ist es, was seine Kunst im Innersten zusammenhält.

Und doch: Wie denn ein Oberhuber zu erkennen sei? Als Antwort kommt zunächst ein herzliches Lachen. "Daran, dass man ihn nicht erkennt. Die Wandlung an sich muss man verstehen lernen. Der Fehler ist, dass der Betrachter glaubt, etwas Bestimmtes erkennen zu müssen. Diesem Fehler unterliegt auch der Künstler. Vor allem, wenn er jünger ist, gerät er unentwegt in Depression, weil er die Vollendung sucht, die er natürlich schwer findet. Mit der Zeit zu erkennen, dass dieses Scheitern in der Durchführung dazugehört, finde ich sehr wichtig." Kontur; die fahle Farbigkeit; das Interesse an der Figur. Und, ja, natürlich, die Freude. (Andrea Schurian, 9.3.2016)