Aus dem einstigen Weinkeller wurde eine heilige Halle. Amador bietet zwei Menüs, "Zauberflöte" und "Fidelio".

Foto: Gerhard Wasserbauer

Ein fantastischer Kaisergranat mit Kalbskopf und Sauce Gribiche.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Vielleicht weiß Juan Amador nicht, was ein Wirtshaus ist. Ist unwahrscheinlich, wirkt aber so: Eine weihevolle Halle mit extrem großzügig platzierten Tischen samt bodenlanger Wäsche und weißledernen Drehstühlen ist jedenfalls kein Wirtshaus, schon gar, wenn es keine Speisekarte gibt, sondern zwei Sechsgangmenüs à 125 Euro.

Und doch nennt sich Amadors neues Lokal, das vergangene Woche auf der Grinzinger Straße eröffnet hat, eben so. Verpächter ist Wiens Paradewinzer Fritz Wieninger, der auch für die massiv beeindruckende, offenbar 2000 Positionen umfassende Weinkarte verantwortlich zeichnet.

Man kann rätseln, was den famosen Koch geritten hat. Dass Amador als einer von bisher sechs deutschen Dreisterneköchen vorab klargestellt hat, dieses Ziel in Wien nicht mehr zu verfolgen, könnte ein Motiv gewesen sein.

Umso seltsamer, dass eine so ähnliche Form der Inszenierung gewählt wurde, wie Amador sie an seiner letzten Adresse in Mannheim gepflogen hat: Weite Tische auf knallroten Teppichen, weißes Leder, mit Siegelwachs verschlossene Menükarte, Variationen lang etablierter Signature Dishes – all das spricht so deutlich die Sprache eines Luxusrestaurants, dass man "Amador's Wirtshaus und Greißlerei" nur als Witz interpretieren kann – bis hin zum Deppenapostroph.

Delikatessen-Regal

Die Greißlerei im Eingangsbereich ist ein Regal mit Delikatessen: feine Fruchtaufstriche etwa, Schokolade oder die tollen Lakritz-Spielereien von Johan Bülow aus Kopenhagen. Vergleichsweise unkompliziert essen kann man da auch – das Programm von Süßwasserfisch-Bouillabaisse bis Backerlgulasch war zum Testtermin aber noch nicht erhältlich.

Also die große Oper im Wirtshaus. Im Menü "Zauberflöte" macht eine Variation von Amadors bekannter "geeister Beurre blanc" mit Kaviar, Malzbröseln und Haselnussmilch den ersten Gang – als Reverenz an Hausherr Wieninger nennt er das Gericht nun "Geeister Gemischter Satz": Sehr cremiges, ziemlich süßes Eis, das Malz steuert Umami-Noten bei, die Haselnussmilch Röstaromen – nur der teure Kaviar geht ob der Kälte und Süße ziemlich unter.

Alpenlachs mit Gurke, Dill, Kren und Pökelzunge im Menü "Fidelio" gefällt besser: Die Kombination aus fantastisch intensiver, knackiger Gurke mit Dill und Kren, die gewitzte Heurigen-Assoziation in Form der hauchdünnen Zungenscheibe, die saftige Kraft des Filets – eine charmante Verbeugung vor dem Genius Loci.

Laubfrosch hier, Scampo da

Der zweite Gang, einerseits Zander mit Gulaschsaft, anderseits Kabeljau mit Herzmuschelsaft und einem interessanten Kontrast aus süßem Senf und bitter gegrillter Melanzani, fällt im Vergleich etwas ab. Dann aber zwei weitere Klassiker: Einerseits Amadors "Laubfrosch", eine tiefgrüne Kombo aus hauchzartem Bries und festfleischiger Jakobsmuschel mit Petersilie und Pastinake, zum Hineinlegen gut.

Und auf der anderen Seite ein fantastischer Kaisergranat mit Kalbskopf und Sauce Gribiche (siehe Bild), in der sich Wildheit, Frische, Säure und Süße sehr gekonnt vermengen – wow.

In ähnlicher Tonart geht es weiter, Amadors legendär zarte Taube mit Purple Curry und exotischen Früchten darf ebenso wenig fehlen wie sein toll zwischen Süße und Säure balancierender "Brick in the Wall" mit roter Rübe, Himbeere und Tonkabohne zum Dessert.

Das Schokodessert "Zartbitter" ist in seiner Vielschichtigkeit vielleicht noch einen Tick besser. Überhaupt: Spätestens bei den Nachspeisen kehrt tatsächlich jene andachtsvolle Atmosphäre ein, die dieser Tempel von einem neuen Restaurant auch sonst zu vermitteln trachtet – ganz große Schule. (Severin Corti, RONDO, 25.3.2016)