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Frittierte Insekten mit Kräutern: auf Märkten in Thailand ein klassischer Lunch, in unseren Breiten noch eine Mutprobe.

Foto: Picturedesk / Peter Widmann / United Archives

Wien – Es ist eine ziemlich ungewöhnliche Küchenmaschine, die in Katharina Ungers Zuhause zwischen Herd, Messerblock und anderen Kochutensilien steht. Äußerlich ganz klassisch in Weiß und Silber gehalten, beherbergt das etwa 60 Zentimeter hohe Kästchen eine Insektenfarm. In den Schubladen des sogenannten Hive wurlen Mehlwürmer in verschiedenen Entwicklungsstadien – um letztlich als nahrhafte Zutat auf dem Teller zu landen.

"Es ist ein endloser Zyklus", schildert Unger, die – gemeinsam mit Julia Kaisinger – den Hive entworfen hat. In die oberste Kammer kommen Mehlwurmpuppen, aus denen Käfer schlüpfen. Aus deren Eier entwickeln sich Larven, die durch ein Gitter in die nächste Lade fallen. In jeder Stufe des Hive wachsen die Würmer weiter, bis sie nach einigen Wochen am unteren Ende – befreit von Kot und Futterresten – geerntet werden können. Ein Teil der Würmer verpuppt sich wieder – und der Kreislauf kann von Neuem beginnen.

Der "Hive" ist eine Mehlwurmfarm für den Hausgebrauch.
Foto: Livinfarms

"Pro Woche kann man 200 bis 500 Gramm Mehlwürmer ernten", sagt Unger. Frisch, gefroren oder getrocknet und zermahlen können die proteinhaltigen Tierchen dann in allen erdenklichen Gerichten verwendet und verspeist werden.

Proteine aus dem Brutkasten

Auf kleinstem Raum und auf möglichst nachhaltige Weise hochwertige Proteine zu produzieren, die nicht auf Fleisch basieren: Das war die ursprüngliche Idee hinter Katharina Ungers Miniinsektenfarm. Die Industriedesignerin stieß auf das Thema, als sie nach Alternativen zur ressourcenverschlingenden industriellen Tierhaltung suchte. Im Zuge ihrer Diplomarbeit an der Universität für angewandte Kunst in Wien entwickelte sie den ersten Prototyp für einen Insektenbrutkasten. "Farm 432", konzipiert für Soldatenfliegen, sorgte weltweit für Aufmerksamkeit.

Mittlerweile hat Unger gemeinsam mit der Designerin Julia Kaisinger und unterstützt von einem Mechatroniker und einer Insektenkundlerin die Firma Livinstudio gegründet, aus der auch der Hive hervorgegangen ist. Seit dem Vorjahr lebt die gebürtige Burgenländerin in Hongkong und lässt demnächst im nahen Start-up-Hub Shenzhen die Hives produzieren. Eine Kickstarter-Initiative brachte rund 130.000 Euro und 230 Vorbestellungen für die Farm ein. Ein Stück wird stolze 580 Euro kosten.

Koketterie mit dem Ekel

Der Hype um Insekten als Nahrungsmittel ist nicht neu. Schon seit einigen Jahren setzen Starköche Heuschrecken, Maden und Ameisen auf ihre Menüs – nicht ohne mit dem Ekel, den Insekten bei westlichen Menschen normalerweise auslösen, zu kokettieren. In Österreich bietet etwa der Verein Speiseplan Insekten-Kochkurse für Neugierige. Doch was für die einen so etwas wie eine Mutprobe ist, sehen andere als Grundlage für eine globale Ernährungsrevolution.

Die Welternährungsorganisation FAO empfahl 2013 aufgrund einer breitangelegten Studie Insekten als hochwertige Nahrungsquelle. Sie könnten in Zukunft quasi einspringen, wenn die Produktion an tierischen Proteinen angesichts von Bevölkerungswachstum, Verstädterung und einer boomenden Mittelschicht zu kollabieren droht.

Würmer, Heuschrecken, Grillen und Co sind reich an wertvollen Nährstoffen.
Livinfarms

Neben hochwertigem Eiweiß sind die meisten Insektenspezies reich an ungesättigten Fettsäuren und enthalten Ballast- und Mineralstoffe – womit sie insbesondere für unterernährte Kinder geeignet wären, so die FAO. Nicht zuletzt gelten Insekten in weiten Teilen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ohnehin schon seit Jahrhunderten als delikates Lebensmittel. Doch kann eine breitere Akzeptanz der Entomophagie – so der Fachausdruck für den Verzehr von Insekten – wirklich den Hunger bekämpfen? Die Umweltverschmutzung und Klimaschädigung, die die Fleischproduktion verursacht, aus der Welt schaffen?

Viele Experten sehen das nüchtern. "Das Hauptproblem ist, dass die Prozesstechnik, Lebensmitteltechnologie und Qualitätsstandards noch völlig unausgereift sind, was die Produktion in industriellem Maßstab betrifft", sagt Simon Schantl von der FH Joanneum. Im Studiengang Nachhaltiges Lebensmittelmanagement hat Schantl ein Trocknungssystem für Maden entwickelt. Das Konzept namens "Entodrya" gewann Ende vergangenen Jahres einen Entwicklungswettbewerb des EU-Projekts "Proteinsect". Das Gerät, das bisher nur auf dem Papier existiert, ist darauf ausgelegt, dass eine Tonne Mehlwürmer pro Tag getrocknet und zerkleinert werden kann. "Zugleich ist der Trockner so konzipiert, dass er in Gegenden mit wenig Infrastruktur eingesetzt werden kann, also wenig Energie verbraucht und leicht zu warten ist", sagt Schantl.

Rechtliche Grauzone

Während seiner Forschungsarbeit ist er auf eine Reihe von Hürden gestoßen: Noch gebe es keinerlei einheitliche Parameter, etwa für das Substrat, mit dem die Insekten gefüttert werden müssen, oder über Werte wie Wasser- und Säuregehalt, die für die Entwicklung größerer Produktionslinien nötig wären. Studien über Insektensensorik, also den Geschmack der verschiedenen Arten, seien äußerst rar. "Vor allem im rechtlichen Bereich muss sich noch viel tun", sagt Schantl.

Erst Ende 2015 wurden Insekten in die Novel-Food-Verordnung der EU aufgenommen, was die bisher langwierigen Zulassungsverfahren für exotische Lebensmittel vereinfachen soll. Doch nach wie vor ist die Produktion von Insekten, die in der Lebensmittelindustrie gewöhnlich als unhygienisches Ungeziefer verpönt sind, eine rechtliche Grauzone. Schokolade aus Larvenpulver oder Müsliriegel mit Heuschreckenmehl sind nach wie vor Nischenprodukte, Hersteller bleiben im Experimentierstadium.

Agnes Böhm hat mit einem Waffelsnack aus Grillenmehl experimentiert.
Foto: Manfred Terler

Wie sich Grillenmehl in der Praxis verarbeiten lässt, hat Agnes Böhm in einem Projekt an der FH Joanneum getestet. Die gelernte Konditorin hat eine pikante Waffel entwickelt, in der so viel Weizen- wie möglich durch Grillenmehl ersetzt wurde. "Grillen haben einen leicht nussigen bis fischigen Geschmack und erinnern ein bisschen an Schrimps", sagt Böhm. "Sie schmecken intensiver als etwa Mehlwürmer, die eher neutral sind."

Auch der Proteinsnack, der neben Grillengeschmack eine Creme aus Erdnuss, Kardamom und Ingwer enthielt, blieb ein Versuch – mittlerweile arbeitet Böhm in einer Firma für glutenfreie Produkte. "Es fehlt einfach noch an Forschung – auch was die Übertragung von Krankheiten auf den Menschen betrifft."

Teure Nischenprodukte

Die Entwicklerin sieht zwar Potenzial für Nischenprodukte, etwa in Form von Riegeln für Sportler, die auf alternative Proteinquellen zurückgreifen wollen. "Ich denke aber nicht, dass Insekten den Proteinkonsum revolutionieren werden. Dazu ist der Faktor des Ekels zu groß." Abgesehen davon stellt nach wie vor der Preis ein großes Hindernis für eine massenhafte Verbreitung dar. "Es gibt weltweit nur wenige Züchter, die autorisiert sind, für den menschlichen Gebrauch zu produzieren", sagt Böhm – sie hat 250 Euro für ein Kilo Grillenmehl bezahlt.

Inwieweit Insekten tatsächlich einen breiten Essenstrend schaffen und einen Teil der Fleisch- und Sojaproduktion ersetzen können, ist fraglich. Fest steht, dass es Visionen braucht, wie Katharina Unger überzeugt ist. "Wenn wir im Kleinen anfangen, eine neue Art von Essen herzustellen, könnte das auch ein Blueprint für Entwicklungsländer werden." (Karin Krichmayr, 24.3.2016)