Immunonkologie: Krebszellen wie Seifenblasen zerplatzen lassen und gesunde Zellen schonen.

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Die Kinderärzte am Great-Ormond-Street-Kinderkrankenhaus in London hatten kurz vor Weihnachten keine Hoffnung mehr für Layla. Die Chemotherapie gegen eine besonders bösartige Form von akuter lymphatischer Leukämie war wirkungslos, die Situation hoffnungslos.

Doch dann schlug Waseem Quasim, Immunologe, eine neue Therapie vor, die er bisher nur im Labor getestet hatte. Diese hatte in den Studien so gut gewirkt, dass Quasim dachte, sie könnte helfen. Die Eltern stimmten zu. Die Behandlung killte Laylas Leukämiezellen, dann bekam sie gesundes Knochenmark von einem Spender. Jetzt ist Layla gesund.

Bei der Therapie handelt es sich um eine neue Variante der sogenannten CAR-T-Zelltherapie. "Die Euphorie ist absolut berechtigt", sagt Hildegard Greinix, Hämatologin an der Med-Uni in Graz. "Die CAR-T-Zelltherapie ist eine der erfolgversprechendsten Immuntherapien, die wir zur Verfügung haben."

"Unsichtbare" Krebszellen

CAR-T-Zellen zerstören Krebszellen präzise und verursachen weder Übelkeit, Erbrechen, Haarausfall oder Schleimhautschäden. "Außerdem braucht man nur eine Infusion, das finden natürlich vor allem Kinder super", sagt Wolfgang Holter, Leiter der Krebsforschung am St.-Anna-Kinderspital in Wien.

Der T-Zell-Ansatz ist deshalb so genial, weil er körpereigenen Immunzellen "beibringt", selektiv Krebszellen zu vernichten und gesunde Körperzellen zu schonen. Hierfür bekommt der Patient genetisch veränderte T-Immunzellen.

T-Zellen sind Teil der Immunabwehr. Mit ihrer Hilfe gelingt es, bakterielle Krankheitserreger gezielt zu töten. Eigentlich könnten die T-Zellen auch Krebszellen gezielt vernichten, aber Letztere haben sich "unsichtbar" gemacht.

Magneten für Krebszellen

Deshalb haben die Entwickler der CAR-T-Zelltherapie T-Zellen vom Patienten entnommen und im Labor so verändert, dass sie von einem Stoff auf der Oberfläche der Krebszellen angezogen werden – wie ein Magnet. Bei den Leukämiezellen von Layla heißt dieser Magnet CD19. Den entnommenen T-Zellen bauen die Forscher den Stoff CAR ein, der vom "CD19-Magnet" angezogen wird. Die CAR-bestückten T-Zellen wurden dann der Patientin zurückgegeben. Sie sind nun in der Lage, Krebszellen gezielt zu töten.

2011 behandelten Forscher drei Patienten mit therapieresistenter chronischer lymphatischer Leukämie, einem Blutkrebs, der meist bei Menschen über 50 auftritt. Bei zwei von ihnen war nach der CAR-T-Zell-Therapie der Krebs weg. Zwei Jahre später wurde berichtet, zwei für unheilbar gehaltene Kinder mit akuter lymphatischer Leukämie (ALL) sprachen ebenfalls auf die Therapie an. Am längsten wurden Patienten drei Jahre lang beobachtet.

"Für eine so fortgeschrittene Erkrankung sind die Ergebnisse sehr beeindruckend", sagt Greinix. "Vor allem, weil die meisten Patienten mit Chemotherapie nur wenige Wochen überlebt hätten." Auch bei Krebs in den Lymphknoten, in Nieren und Darm wird CAR-T-Therapie getestet. "Es gab einen Nachteil in der Therapie", sagt Markus Manz, Chef-Hämatologe am Unispital Zürich. Man musste nämlich T-Zellen von jedem einzelnen Patienten entnehmen und speziell für ihn die CAR-T-Zellen herstellen. "Das ist aufwendig, und manche Patienten haben nach einer Chemotherapie nicht mehr genügend T-Zellen."

Aufbewahren wie Blutkonserven

Quasim hat deshalb gemeinsam mit einer Biotechfirma eine Therapie entwickelt, bei der die CAR-T-Zellen nur einmal produziert werden und dann für mehrere Patienten benutzt werden können. Die Zellen stammen dabei von einem gesunden Knochenmarkspender. Normalerweise würden T-Zellen eines Spenders vom Empfänger abgestoßen. Um dies zu verhindern, musste Quasims Team bei den CAR-T-Zellen noch weitere Veränderungen vornehmen: Mit einer "Genschere" entfernten sie ein Eiweiß. Dadurch werden die CAR-T-Zellen blind für ihre neue Umgebung und halten Zellen nicht mehr für fremd.

"Das Geniale daran ist, dass die CAR-T-Zellen wie Blutkonserven aufbewahrt werden können", sagt Manz. "Mit dem Ansatz werden wir in Zukunft vermutlich viele Krebserkrankungen behandeln."

Mögliche Probleme

Bei aller Begeisterung sind sich die Mediziner möglicher Probleme bewusst: "Es besteht die Gefahr, dass die T-Zellen auf einmal große Mengen an Botenstoffen ausschütten, die zu Fieber, Blutdruckabfall, Kreislauf- und Atemproblemen führen können", sagt Wolfgang Holter. Außerdem ist noch nicht bekannt, ob der Krebs damit immer auf Dauer verschwindet.

"Denkbar ist auch, dass sich die CAR-T-Zellen irgendwann so stark vermehren, dass dadurch ein "CAR-T-Zell-Krebs" entsteht", sagt Manz. "Die CAR-T-Zellen könnten auch irgendwann gegen gesundes Gewebe aktiv werden, was sich in Entzündungen oder Autoimmunkrankheiten äußern könnte", sagt Holter. "Deshalb untersuchen Forscher, ob man die CART-T-Zellen mit einem Schalter ein- und ausschalten kann."

Seit einigen Jahren gibt es noch andere Arten von Immuntherapien, jene mit Checkpoint-Inhibitoren. Die lösen die natürliche "Bremse" des Immunsystems, damit es sich besser gegen Krebszellen richtet. "Das sind unterschiedliche Ansätze", sagt Greinix zuversichtlich. (Felicitas Witte, CURE, 15.6.2016)