Überschuldung kann krankmachen, aber auch schwere Erkrankungen können in die Schuldenfalle führen.

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Die World Health Organisation (WHO) definiert drei Säulen für unsere Gesundheit: das körperliche, psychische und soziale Wohlbefinden. Wackelt eine dieser Säulen, gerät das System außer Balance. So hängt das soziale Gleichgewicht, die existenzielle Sicherung, wesentlich mit der Stabilität der körperlichen und seelischen Gesundheit zusammen.

Überschuldung kann krankmachen, aber auch schwere Erkrankungen können in die Schuldenfalle führen, warnen Expertinnen und Experten und fordern interdisziplinäre Präventionsarbeit. "Wir müssen das Bewusstsein für den Zusammenhang von Gesundheit und Überschuldung stärken, nur so kann man gesundheitsfördernde Projekte, die vorbeugend helfen, entwickeln", sagt Peter Kopf, Geschäftsführer der IFS-Schuldenberatung in Vorarlberg.

Studien sind rar

Studien zur Thematik sind noch rar, erste wissenschaftliche Grundlagen liefert eine interdisziplinäre Querschnittstudie der Universitäten Mainz und Erlangen-Nürnberg. In Kooperation mit den 53 Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen des Landes Rheinland-Pfalz wurden überschuldete Personen über ihren Gesundheitszustand befragt.

79 Prozent der Befragten gaben an, an mindestens einer Krankheit zu leiden. Am häufigsten wurden psychische Probleme (40 Prozent) und Gelenks- und Wirbelsäulenerkrankungen (39 Prozent) genannt. Für ein Drittel der Befragten sind Krankheit, Unfälle oder Sucht Hauptgründe für die Überschuldung.

Eine Telefonumfrage an ehemaligen Klienten und Klientinnen von österreichischen Schuldenberatungsstellen durch das Kompetenzzentrum für Non-Profit-Organisationen und Social Entrepreneurship der Wirtschaftsuniversität Wien kommt zu ähnlichen Ergebnissen: An erster Stelle der gesundheitlichen Belastungen stehen psychische Probleme, gefolgt von Rückenschmerzen. 13 Prozent gaben Suchterkrankungen an.

Sozialarbeit als Chance

Arbeitsplatz- und Wohnungsverlust verschärfen die Situation Überschuldeter. Die Gesundheit ist bei all den Alltagsproblemen oft zweitrangig. Peter Kopf: "Wir versuchen das zwar in unsere Beratungen einzubauen, es fehlt uns aber das Know-how." Elmar Sturm, Sozialarbeiter am Suchtkrankenhaus Maria Ebene in Frastanz/Vorarlberg: "Oft ist den Klienten der Zusammenhang zwischen ihrer gesundheitlichen und sozialen Situation auch nicht bewusst."

Gesundheitszentren, in denen die Kooperation zwischen Medizin und Sozialarbeit institutionalisiert wäre, sieht Sturm als künftige Möglichkeit zur Betreuung und Prävention. Betroffene bekämen die notwendige Beratung an einem Ort, müssten sich auf der Suche nach Hilfe nicht mühsam durch die Einrichtungen kämpfen.

Viele Menschen, die in Armut oder Armutsgefährdung leben, sind für psychosoziale und medizinische Betreuung schwer erreichbar, weiß Elisabeth Raab-Steiner, Leiterin des Master-Studiengangs Sozialraumorientierte und Klinische Soziale Arbeit an der Fachhochschule Wien. Die Sozialarbeiterin und Psychologin nennt einen wesentlichen Grund dafür: "Viele dieser Menschen, da denke ich vor allem an alleinerziehende Frauen, sie schämen sich für ihre Situation."

Alltagsbewältigung hat Vorrang

Gesundheitliche Probleme werden verdrängt. Wer elementare Sorgen habe, könne sich schlecht auf eine medizinische Behandlung einlassen, sagt Raab-Steiner. Die Alltagsbewältigung habe Vorrang, "wenn die Mietrückstände immer größer werden, man nicht weiß, womit man am Monatsende den Kühlschrank füllen soll."

Der Spezialbereich Klinische Soziale Arbeit konzentriert sich auf Hilfe für Menschen in Multiproblemlagen. Die Nachfrage nach Spezialisten mit dieser Zusatzausbildung steige, sagt Raab-Steiner, und auch die Kooperationsbereitschaft der Ärzteschaft: "Die Sensibilität der Mediziner, auch deren Überforderung durch Patienten, die psychosoziale Betreuung brauchen, hat zugenommen." Leider würden aber auch die Spartendenzen der öffentlichen Hand steigen, die ja die notwendigen Beratungsstellen schaffen sollte.

Wer schwer erkrankt, beispielsweise an Krebs, kann oft über Monate oder Jahre nicht arbeiten. Auf Langzeitkrankenstand folgt krankheitsbedingte Erwerbslosigkeit. Ohne Erspartes oder Angehörige als Fangnetz landen diese Menschen bei der Notstandshilfe, schließlich in der Mindestsicherung.

Schamgrenze ist hoch

"Wir haben allein im letzten Jahr 60.000 Euro an Soforthilfe an Menschen ausbezahlt, die Lebensmittel und Strom nicht mehr bezahlen konnten", sagt Gebhard Mathis, Präsident der Vorarlberger Krebshilfe. Die Schamgrenze der Bedürftigen sei extrem hoch, sagt der Internist: "Es muss den Menschen wirklich sehr schlecht gehen, bis sie sich an jemand um Hilfe wenden."

Die Zahl der unterstützungsbedürftigen Krebskranken ist in den letzten vier Jahren stark angestiegen, sagt Mathis. Eine Ursache sieht er in der Chronifizierung der Krankheit. Bei den wesentlichen Krebserkrankungen wie Brust-, Darm-, Prostata-, Lungenkrebs haben sich Überlebensdauer und Heilungschancen verbessert. Die Erkrankten leben länger, diese erfreuliche Entwicklung hat aber in der Arbeitswelt noch keine Entsprechung. Denn die Wiedereinstiegschancen in den Beruf sind immer noch gering.

Modell Teilkrankenstand

Gebhard Mathis sieht die Lösung für chronisch Kranke im Teilkrankenstand. "Meine Erfahrung ist, dass die Menschen gerne arbeiten würden, aber das nicht in Vollzeit können." Die Möglichkeit der Teilzeitarbeit gäbe es in anderen europäischen Ländern, und sie funktioniere gut, begründet Mathis seinen jahrelangen Einsatz für diese Wiedereinstiegshilfe. Der Mediziner ist optimistisch, "dass Österreich diese Möglichkeit nach vielen Jahren der Diskussion in absehbarer Zeit ermöglichen wird."

Sozialarbeiter und Personalvertreter Elmar Sturm sieht den Teilkrankenstand jedoch kritisch: "Da muss man sehr aufpassen, dass der Druck auf kranke Arbeitnehmer nicht noch größer wird." Er hat die Befürchtung, dass Arbeitnehmer ihre Kräfte falsch einschätzen und sich verausgaben. Noch fehle es am Bewusstsein vonseiten der Arbeitgeber: "Die sagen den Leuten: Entweder arbeitest du voll oder gar nicht", so Sturm.

Voraussetzung für die Wiedereingliederung müsse selbstverständlich die medizinische Indikation sein, sagt Mathis: "Der behandelnde Arzt wird eine genaue Einschätzung der Belastbarkeit abgeben, wird sagen, welches Ausmaß an Berufstätigkeit zumutbar ist." Für die betroffenen Kranken sei der Wiedereinstieg ins Berufsleben nicht nur aus finanziellen Gründen wichtig, gibt Mathis zu bedenken: "Arbeit gibt Selbstwert, schafft soziale Kontakte, hilft den Kranken aus der Isolation, das darf man nicht vergessen." (Jutta Berger, CURE, 11.7.2016)