Mit leuchtend roten Augen glotzt er die nächtlichen Besucher an. Nicht ahnend, dass er als eine Art Nationaltier Costa Ricas durch die ganze Palette an Souvenirs hüpft, mit denen das Land beworben wird. Der Frosch schaut über ein Blatt ins Taschenlampenlicht, dahinter steht Otto Méndez. Er hat dem Tier dieses Biotop geschaffen. Der Landwirt, Landschaftsgärtner und Umweltschützer weiß genau, was er und seine Artgenossen mögen – etwa stehendes Wasser in Bromeliengewächsen, kleine Teiche, große Blätter.

Elf Arten kann Méndez in dieser Nacht herzeigen – vom kronkorkenkleinen Blue Jeans Dart Frog bis zum riesigen Ochsenfrosch. Sie alle sind ein Spiegel für die nationale Vielfalt. Aber warum ausgerechnet Frösche? Es könnten ja auch Affen, Tukane oder Schmetterlinge sein. "Sie leiden am stärksten unter dem Klimawandel", versucht Méndez seine Vorliebe zu erklären. Den hat er hier im Kleinen gebremst.

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Baumfrosch

Früher kamen Bananen und Kaffee aus Costa Rica, heute kommen Menschen dorthin, um die gesamte Vielfalt der Natur zu erleben. Laut einer Umfrage der Tourismusbehörde gaben 2014 knapp 50 Prozent der Urlauber Naturbeobachtung als eine ihrer Hauptaktivitäten an. Viele Klimazonen, dichter Regenwald und allenthalben Tiere: Leguane durchkreuzen den Swimmingpool, Langschwanzhäher stibitzen einem den Frühstückstoast aus der Hand, und Faultiere hängen wie Fellkugeln in den Bäumen.

Das Wetter schlägt Kapriolen

Fünf Prozent des Artenreichtums der Erde sollen im Land beheimatet sein. Umso härter trifft es die Klimaerwärmung. Der Nebelwald von Monteverde verändert sich zum Regenwald, was dem berühmten Vogel Quetzal nicht gefällt, und die ersten Touristen fragen selbst im Hochland nach Klimaanlagen. An den Küsten spült das Meer den Strand weg, das Wetter schlägt Kapriolen. Vielleicht hat sich Costa Rica deshalb ein höheres Ziel gesetzt als andere: Es wollte bis 2021 als erster Staat der Welt CO2-neutral sein. Mittlerweile beansprucht allerdings Bhutan für sich, dieses Ziel längst erreicht zu haben.

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Rio Celeste

Was die Stromproduktion angeht, ist man schon sehr weit. 2015 hat Costa Rica seine Energie zu 99 Prozent aus erneuerbaren Quellen gewonnen, aus Geothermie, Wind- und Wasserkraft, wobei Letztere mit fast 70 Prozent überwiegt. Und genau das ist das Problem – jedenfalls für Méndez und viele Mitstreiter. Die grauen, langen Haare zu einem Zopf geflochten, steht er auf einer der vielen Brücken des bergigen, vulkanbestandenen Landesinneren und zeigt hinunter auf den schwächelnden Rio La Esperanza. "Meine Kinder haben hier schwimmen gelernt, außer der Jüngsten. Der mussten wir es im Schwimmbad beibringen."

Zehn Wasserkraftwerke entstanden in 15 Kilometern Umkreis um sein Zuhause. Manche Flüsse werden drei- oder viermal während ihres Laufs gestaut. Der Eingriff ins Ökosystem ist erheblich. Und Tiere wie auch Menschen müssen ohne Fluss auskommen, der nun in Röhren und hinter Zäunen fließt. "Das ist keine saubere Energie", sagt Méndez. Bei der aktuellen Regierung hofft er auf ein Einsehen. Und das ist schon zu spüren. So dürfen ab April 2016 erstmals Privatleute ihren Solarstrom ins Netz einspeisen.

Baum-Bungalows

Ein paar Kilometer Holperpiste weiter oben, verborgen im Wald: eine Lodge mit positiver CO2-Bilanz: Bei der Errichtung der La Tigra Rainforest Lodge wurde kein Benzin verbraucht, um Baumaterial und Möbel herbeizuschaffen. Alles wurde aus dem Holz der Bäume gefertigt, die hier vor 15 Jahren gepflanzt worden waren. Ganz bewusst verwendeten die Tischler den kompletten Baum samt Ästen, aus denen man Türgriffe, Garderoben oder Schilder schnitt. Dabei schlug man so wenig Wald ab wie nötig, die Bungalows liegen umzingelt von Bäumen.

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Üppige Vegetation

Kein künstliches Licht beleuchtet die Wege. "Auf dem Baum dort vorn treffen sich abends die Vögel. Das würden sie mit einer Laterne davor sicher nicht mehr tun", meint Gelbert Lobo, einer von sechs Besitzern der Lodge, zu denen auch Otto Méndez und der Reiseveranstalter Travel to Nature zählen. Gelbert ist nicht weit von hier geboren. Die Ticos, wie sich die Costa-Ricaner selbst nennen, lieben ihre Natur. So viel kann er sagen. Und warum? "Sie haben gelernt, dass sich das rentiert. Früher dachte man noch, ein Grundstück mit Bäumen drauf sei nichts wert." Der Wald ist der große Schatz Costa Ricas. Mehr als die Hälfte der Fläche versteckt sich unter Baumkronen. Ende der 1980er-Jahre war es nur noch ein Fünftel, weil man Abholzen produktiv fand. Dann kam die Kehrtwende. Auch für die CO2-Bilanz ist der Wald ein entscheidender Faktor.

Blätter statt Sterne

Gelbert trägt einen Baumsetzling, eine Schaufel und eine Machete dorthin, wo er und seine Freunde zwei Hektar Grasland gekauft haben, um einen natürlich-chaotischen Wald wachsen zu lassen. Ohne strenge Reihen, mit doppelt so großen Abständen und mit heimischen Sorten. Auch Obstbäume sind dabei, deren Früchte nicht so beliebt sind und die daher kaum noch gepflanzt werden. Oder langsam wachsende Bäume, die sich zwar für die Holzwirtschaft nicht lohnen, aber durchaus für die Natur. "Wir wollen die Vielfalt erhalten", sagt Gelbert. Jeder Gast darf sich einen Baum aussuchen. An diesem Tag wird es ein Pilón. Sein Name bedeutet Trog, weil sein Holz so hart ist. Wobei dieser hier zeit seines Lebens ein Baum bleiben darf.

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Kolibri

Mit dem Wert der Natur wächst der Wunsch, sich vorbildliches Verhalten bestätigen zu lassen. Ein Dschungel an Lizenzen hat sich etabliert, manche gibt es nur in Costa Rica. Etwa die Blätter des Programms CST (Certificado para la Sostenibilidad Turística), die für nachhaltigen Tourismus vergeben und hier teilweise mehr beachtet werden als Hotelsterne. Ein Fünf-Blätter-Hotel braucht keinen Safe und kein Marmorbad, muss sich aber um Recycling, Kompostieren und Probleme der lokalen Bevölkerung kümmern. Selbst Mietwagenanbieter machen mit. Immer mehr Hotels, Touranbieter, sogar Kaffeeplantagen und Wasserkraftwerke lassen sich als CO2-neutral zertifizieren. Und die bekannte "blaue Flagge" breitet sich von sauberen Stränden auf andere Einrichtungen aus, etwa auf Schulen. Es gibt auch Kritik am CST-Verfahren: zu viel Papierkram, die Bedingungen zu starr, Kleine haben es schwerer als Große.

Kleiner Klimakiller

So vorbildlich und klimaneutral einzelne Unterkünfte auch sein mögen: Sobald man sich im Land bewegt, wird man zwangsläufig zu einem kleinen Klimakiller – als Tourist und als Tico. Denn auf den Straßen Costa Ricas entstehen die meisten Treibhausgase. Schienenverkehr gibt es kaum, abgesehen von den Pendlerzügen im Einzugsgebiet der Hauptstadt. Alles drängt sich auf dem Asphalt – vom Lkw bis zum Fahrrad, wofür es keine gesonderten Wege gibt. Ein latent schlechtes Gewissen begleitet einen fast automatisch.

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Etwa auf den rund vier Autostunden vom Vulkan-Arenal bis nach Tamarindo im Nordwesten. Es ist eine Fahrt vom dichten Grün ins staubige Braun. Auf der Halbinsel Nicoya wächst tropischer Trockenwald, wo er nicht für Rinderweiden gerodet wurde, auf denen Methangase entstehen. Jetzt in der Trockenzeit werfen die Bäume sogar ihre Blätter ab – so als müssten sie den Unterschied zum Regenwald besonders betonen. Faszinierend allerdings, dass manche von ihnen stattdessen blühen.

Eine Affenbrücke führt über die Straße

An der Pazifikküste bei Tamarindo sitzt Ursula Schmid im Garten ihres Beachfront-Boutique-Hotels. Ein starker Wind zerrt an ihren Haaren. Vor fast 25 Jahren hat die Schweizerin mit ihrem Mann das elegante Hotel Capitán Suizo gebaut. Als Tamarindo noch ein winziges Dorf war, ohne Bank, Fernseher und Müllabfuhr, und keiner daran dachte, man könne es irgendwann einmal im Scherz "Tamagringo" nennen, weil sich hier so viele Amerikaner Apartments kauften. Eigentlich wäre sie damals lieber in die Ortsmitte gezogen. Heute ist sie froh, etwas Abstand zum Trubel wahren zu können, denn in jedem Haus wartet ein Restaurant, Hotel oder Shop, der "Pura Vida"-T-Shirts oder ähnliche Urlaubserinnerungen anbietet.

Ein weiterer Sympathieträger
Foto: imago/Nature Picture Library

Nachhaltigkeit war den Schmids immer wichtig, lange bevor Costa Rica dafür Blätter vergab, von denen sie fünf haben, das Maximum. Sie ließen beim Bau ihres Hotels die großen Bäume stehen, damit die Tiere blieben, haben später die erste Affenbrücke des Ortes über die Straße gelegt. Die Schweizerin ist nicht der Mensch, der sich echauffieren würde. Gemeinsam mit ihrem Sohn versucht sie vielmehr, beständig das Richtige zu tun: für die Gemeinde, für die Angestellten, fürs Recycling, für die Tierwelt, für die Umwelt. Natürlich wurden in und um Tamarindo Fehler gemacht, das ist nicht zu übersehen. Etwa habe man anfangs unkontrolliert gebaut: "Zu hoch und zu massiv."

Nachhaltigkeit für die Massen

Mit dem Bauboom ging es um die Jahrtausendwende los. Seit 2002 landeten Chartermaschinen aus den USA und Kanada in der Stadt Liberia. Von dort war man schnell an den Stränden der Provinz Guanacaste. Ausländer kauften sich Eigentumswohnungen und Ferienhäuser. Internationale Ketten bauten All-inclusive-Hotels. Dabei kannte man Costa Rica bisher für hochpreisigen Naturtourismus und kleine Lodges. Massentourismus in einer Gegend, die schon für sich zu wenig Wasser hat? Passt das zu den Klimazielen des Landes? Ein kleiner Trost ist es, dass sich auch All-inclusive-Hotels erfolgreich um Nachhaltigkeitsblätter bemühen.Innerhalb der letzten zwanzig Jahre stiegen die Touristenzahlen aufs Dreifache, 2015 zählte man 2,66 Millionen.

Trotz aller Bemühungen, gerade im Tourismus: An ein klimaneutrales Costa Rica in fünf Jahren glaubt keiner mehr, den man im Land trifft. Staatspräsident Luis Guillermo Solís geht nun sicherheitshalber von 2085 aus. (Anja Martin, Rondo, 1.4.2016)