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Hochwasser und Überschwemmungen bleiben oft ein abstraktes Problem. Um für die Gefahren von Naturkatastrophen zu sensibilisieren, haben Forscher um Cees Midden eine virtuelle Hochwasserszene nachgestellt, die Probanden erkunden konnten – mit Erfolg.

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Cees Midden: "Vertrauen in Technik herstellen."

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STANDARD: Sogenannte Persuasive Technologies werden entwickelt, um das Verhalten von Menschen zu beeinflussen, etwa damit diese gesünder leben. Sie forschen unter anderem darüber, wie man sie für mehr Nachhaltigkeit einsetzen kann. Warum braucht man diese Art von Technik?

Midden: Der Klimawandel ist im großen Ausmaß ein Problem des menschlichen Verhaltens. Er wurde von Menschen verursacht, und er muss von ihnen gelöst werden. Eine gute Lösung hängt davon ab, ob wir es schaffen, unsere Entscheidungen und unser Verhalten im Alltag zu verändern, um weniger Energie zu verbrauchen und weniger CO2 auszustoßen. Es geht also auch um ein soziales Problem. Der Erfolg hängt von uns allen ab. Das macht es kompliziert.

STANDARD: Warum müssen sich eigentlich die Menschen ändern? Kann das Problem nicht auch auf rein technologischem Weg gelöst werden?

Midden: Ich glaube nicht. Wir entwickeln seit Jahrzehnten Systeme, die mehr Energieeffizienz bringen sollen. Es gibt zwei Möglichkeiten, sie zu nutzen: Wir könnten damit Ressourcen sparen und den Klimawandel bremsen. In einem sehr großen Ausmaß passen wir uns mit unserem Lebensstil an die neuen Technologien an. Wenn Autos weniger Benzin verbrauchen, intensivieren wir ihre Nutzung. Wir fahren öfter, schneller, bauen mehr Elektronik ein, die Energie verbraucht. Der Erfolg neuer Technologien hängt auf der anderen Seite davon ab, wie sie von den Menschen angenommen werden. Wenn die Menschen keine Windräder in ihrer Umgebung haben wollen, gibt es ein Problem. In vielen Ländern entwickelt sich die Windenergie sehr langsam, weil die Menschen sich durch Geräusche oder das optische Erscheinungsbild gestört fühlen. Die Vorlieben der Menschen und der Erfolg neuer Technologien hängen in vieler Hinsicht voneinander ab.

STANDARD: Wie sehen Konzepte für Persuasive Technologies aus, die Menschen zu einem nachhaltigen Lebensstil veranlassen sollen?

Midden: Das menschliche Verhalten ist nicht immer durchdacht. Viele Handlungen wiederholen wir jeden Tag. Wir automatisieren unser Verhalten, um nicht mehr darüber nachdenken zu müssen. Diese Verhaltensweisen sind sehr schwer zu verändern. Mithilfe der Persuasive Technologies wollen wir Systeme entwickeln, die den Menschen helfen, diese Art von Verhaltensweisen zu beeinflussen. Dabei müssen wir uns mit einigen Unsicherheitsfaktoren auseinandersetzen: Ein Problem muss adäquat bewertet und eingeschätzt werden. Die Frage nach passenden Lösungen und Konsequenzen für den Lebensstil der Menschen stellt sich. Der dritte Faktor ist die Unsicherheit, ob andere Leute ebenfalls zur Lösung des Problems beitragen. Wenn nicht, tendieren wir dazu, auch die eigenen Beiträge einzustellen.

STANDARD: Wie sieht ein konkretes Beispiel für eine Technologie in diesem Bereich aus?

Midden: Die Menschen reagieren nicht auf Probleme, die sie nicht ernst nehmen, was unglücklicherweise beim Klimawandel der Fall ist. Einer der Gründe ist, dass es nach wie vor ein abstraktes Problem ist. Es wird räumlich und zeitlich weit weg verortet, man kann das Klima nicht direkt wahrnehmen. Wir neigen dazu, derartige Probleme zu ignorieren. Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen, die von Überflutungen betroffen sind, viel alarmierter und proaktiver mit dem Thema umgehen als jene, die nur indirekte Erfahrungen, etwa über Nachrichten, hatten. Wir haben deshalb eine virtuelle Umgebung einer überfluteten Landschaft geschaffen. Unsere Studienteilnehmer konnten ein Überschwemmungsgebiet virtuell und interaktiv erkunden. Sie haben das Szenario durchwandert, sahen das Wasser über die Deiche kommen und in die Häuser dringen.

STANDARD: Wie war die Reaktion?

Midden: Obwohl es nur eine virtuelle Erfahrung war, wurden die Menschen danach initiativer im Zusammenhang mit der Gefahr von Überflutungen. Sie bereiten sich besser auf Evakuierungen vor oder schlossen Versicherungen ab. Die Simulation direkter Erfahrungen half den Menschen, ihre Ignoranz gegenüber Gefahren, die sie weit weg wähnen, zu überwinden. Das ist eine Art, wie man die Einschätzungen der Menschen verändern kann.

STANDARD: Sie arbeiten auch an virtuellen Assistenzsystemen, die Menschen im täglichen Leben unterstützen. Was steckt dahinter?

Midden: Wir nutzen sogenannte Smart Agents, die alle möglichen Gestalten annehmen und etwa in menschenähnlicher Ausformung erscheinen können. Wir setzen sie in Autos und in Wohnumgebungen ein, um Menschen mit Informationen zu versorgen und Feedback zu geben. Sie geben etwa Auskunft, wie energieeffizient oder sicher der Fahrstil ist oder wie man die Waschmaschine am besten benützt. Wir haben herausgefunden, dass die Menschen empfänglicher für ein derartiges Feedback sind, wenn die Agents ein menschliches Erscheinungsbild haben und Dinge wie "Gut gemacht!" oder "Das war nicht so toll!" sagen. Das hat stärkeren Einfluss auf das menschliche Verhalten als komplexe Informationen über den Verbrauch von Kilowattstunden. Je simpler die Information ist, desto effektiver ist sie.

STANDARD: Wie bringt man die Leute dazu, dieser Art von Technik zu vertrauen?

Midden: Wenn die Menschen den Informationen nicht vertrauen, funktioniert die Technik nicht. Deshalb haben wir mit verschiedenen Mitteln versucht, das Vertrauen der Menschen in die Smart Agents zu verbessern. Vertrauen ist eine soziale Emotion, das Gefühl, dass sich andere um dich kümmern. Menschen benutzen bestimmte Signale, um Vertrauen herzustellen. Es hilft natürlich, wenn die Werte geteilt werden, also wenn etwa übereinstimmt, dass Energieeffizienz und Sicherheit gut sind. Vertrauen spielt sich aber auch auf der Ebene des Erscheinungsbilds ab. Ähnlichkeit ist ein wichtiger Faktor.

STANDARD: Inwiefern?

Midden: Wir baten Menschen, verschiedene Agents zu evaluieren. In einem Fall erschien ein Gesicht, in einem anderen wurde das Gesicht des Nutzers mit einem anderen mit sogenannter Morphingtechnik überblendet, um eine hohe Ähnlichkeit herzustellen. Das Vertrauen wurde mit der erhöhten Ähnlichkeit gesteigert. Man kann Smart Agents natürlich für alle möglichen Informationen nutzen. Das System eines Autos, das autonom fährt und mehr Kontrolle übernimmt, kann man auf mehrere Arten repräsentieren. Wir untersuchen, ob es hilft, wenn sich das Auto als eine Art Assistent präsentiert.

STANDARD: Reagieren Menschen je nach ihrer Erfahrung im Umgang mit Technik unterschiedlich auf Persuasive Technologies?

Midden: Nein, der Ansicht bin ich nicht. Wir versuchen, anstelle komplexer digitaler Information möglichst einfache und intuitive Interaktionen zu gestalten. Das Ziel ist, das so natürlich hinzubringen, dass die Technologie auch von Menschen, die nicht viel Erfahrung mit digitalen Technologien haben, benutzt werden können. Das Hauptziel ist, sie für die Nutzer zu adaptieren und zu individualisieren. Zukünftige Systeme werden mehr und mehr auf Anpassungsfähigkeit ausgerichtet sein. Komplexität, Erscheinungsbild und Dialoge werden sich an den Vorlieben und Fähigkeiten des einzelnen Nutzers ausrichten.

STANDARD: Wenn Persuasive Technologies von staatlicher Seite genutzt werden, um Menschen zu "richtigem" Verhalten zu animieren, sprechen Kritiker von Bevormundung. Big Brother schaut demnach nicht nur zu, sondern manipuliert auch. Was antworten Sie auf diesen Vorwurf?

Midden: Ethik ist ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit. Es ist nicht akzeptabel, versteckte Systeme zu verwenden, um das menschliche Verhalten zu manipulieren. Offenheit und Transparenz ist nötig. Akzeptabler ist, wenn man solche Systeme für kollektive, gesellschaftliche Ziele verwendet, etwa Sicherheit, Gesundheit oder Nachhaltigkeit. Solche Ziele legitimieren den Gebrauch der Technologien in höherem Maß als kommerzielle Anwendungen. Ich sage nicht, dass kommerzielle Anwendungen unmöglich sind, aber man muss in dieser Hinsicht vorsichtig sein.

(Alois Pumhösel, 6.4.2016)