Protest gegen die Abschiebungen in die Türkei am Montag im Hafen von Dikili.

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Europas Politiker haben sich in der Flüchtlingskrise einiges vorgenommen. Mit dem Inkrafttreten des EU-Türkei-Deals, der einem Präsidenten, dessen Verhalten, wie die "Washington Post" kürzlich schrieb, eher einem Despoten denn einem Staatsoberhaupt einer Nato-Demokratie ähnle, die Drecksarbeit gegen gutes Geld überlässt, wird die Schande der humanitären Krise auf eine neue Stufe gehoben. War es bisher – zumindest scheinbar – eher die Passivität der unverantwortlichen Politik, also das Nichtstun oder das Unterlassen dringendst notwendiger Versorgung von Menschen in Not, so wird nun aktiv gehandelt.

Menschen auf der Flucht, die Unglaubliches hinter sich gelassen haben und nochmal Unglaubliches durchgemacht beziehungsweise überlebt haben, um an einen als sicher geglaubten Ort in Europa zu gelangen, und brutal am Weiterkommen gehindert worden waren, werden nun in ein Land zwangsverbracht, dessen Regierung in keiner Weise ein Garant sein kann – weder für die Sicherheit noch für eine menschenrechtskonforme Behandlung.

Die Dummheit der Massen

Europas unverantwortliche Politiker scheinen zu hoffen, dass die engagierte Zivilgesellschaft, die sich für ein humanitäres, menschenrechtskonformes und helfendes Europa engagieren will, ermüdet und mit regionalen Schauplätzen ausreichend beschäftigt ist. Das allein wäre allerdings zu wenig. Sie setzen auf die Dummheit der Massen: Ein Lkw mit Leichen mitten in Europa, das schockiert sogar solche, die sonst nicht lange über die Zusammenhänge nachdenken. Aber Bilder von Abschiebungen an der "Außengrenze" in ein Land, wo wenig nachvollziehbar ist, was mit diesen Menschen passiert, befriedigt die Xenophoben einerseits, während andererseits die Naiven froh sein können, dass es "bei uns" wieder ruhiger wird. Dass diese "Ruhe" eine Folge brutalster Eingriffe in die Grundrechte ist, für diese Erkenntnis braucht es schon jenes Maß an Reflexion, das der Bevölkerung offensichtlich nicht zugetraut wird.

Räumungen, Deportationen, Abschiebungen, Zwangsunterbringungen. Die Szenen erzeugen genügend "hässliche Bilder", wie sie manche schon lange herbeireden. Wenn sie nur gefühlte Welten weit weg stattfinden, regen sie hierzulande kaum mehr auf. Wird schon nicht so schlimm sein. Innerhalb der Festung Europa soll sich die Dummheit durchsetzen, dass draußen vor der Festung "eh nicht viel passiert". Den Blick über die Mauern hinunter in die Wassergräben und rüber ins offene Land wagen nur wenige. Die Festung Europa baut ihre Mauern mit Unrecht. Seit Montag ist dieses Unrecht Gegenstand eines milliardenschwerden Vertrags mit einem Despoten. Seit Montag ist er in Kraft, der ultimative Intelligenztest. (Bernhard Jenny, 6.4.2016)