Bescheidenheit und Tiefstapelei trifft man in Wahlkämpfen selten an; zumal in den USA, wo Dynamik und Macher-Image so viel zählen. Und dennoch nahm sich Hillary Clinton in Bezug auf die Vorwahl in Wisconsin sehr zurück. Alle wussten: Dieser Bundesstaat ist eine Bank für Bernie Sanders; zu jung und zu liberal ist hier die Wählerschaft der Demokraten, um sich vom selbstgefälligen Establishment angezogen zu fühlen.

Da kann die ehemalige First Lady und Außenministerin mit der Faust auf das Rednerpult trommeln und die Protestlerin mimen, so viel sie will: Die Herzen fliegen nicht ihr, sondern Bernie Sanders zu. Clinton darf sich für den Wahlparteitag im Juli zwar nach wie vor beste Chancen ausrechnen, doch bei den Weitsichtigen in der Parteiführung läuten längst die Alarmglocken: Man wird kein weiteres Mal mit althergebrachter Politik reüssieren können.

Wie kann es sein, dass so viele Demokraten nicht eine Frau (endlich gibt es die Chance dazu!), sondern einen alten Mann bevorzugen? Und zwar bereits sechs Mal in Folge? Hier geht es nicht um Alter und Gender, sondern um nichts weniger als die Zukunft der amerikanischen Gesellschaft – und um die Art und Weise, wie die Demokraten sie meistern sollen. Dass jetzt ein 74-jähriger Alt-Hippie zum Fahnenträger dieser Bewegung wird, ist eine späte Genugtuung für den stets gegen Windmühlen kämpfenden Sanders – und eine schöne Ironie der Geschichte. (Gianluca Wallisch, 6.4.2016)