König Salman und Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi bei ihrem Treffen im Kairoer Abdeen-Palast am 9. April.

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Kairo/Wien – Das eine ist die rechtliche Seite, das andere die emotionale: Tiran und Sanafir, Inseln im Roten Meer, gehören laut Ansicht vieler Juristen und Politologen tatsächlich nicht zu Ägypten; und wenn nun Präsident Abdelfattah al-Sisi die saudi-arabische Souveränität anerkennt, vollzieht er nur, was spätestens seit 1990 klar ist. Da hatte Ägypten nämlich die Uno über den Verlauf seiner Seegrenzen notifiziert – und zwar westlich der Inseln.

Aber viele Ägypter sehen das anders: Für sie waren die ägyptischen Besitzrechte über die strategisch wichtigen Inseln jahrzehntelang eine Tatsache oder höchstens umstritten. Die Erklärung vom Wochenende, dass Ägypten und Saudi-Arabien übereinstimmen, dass Tiran und Sanafir zu Saudi-Arabien gehören, sickerte nur langsam ein.

Dann aber begann sich, besonders in den Social Media, Empörung zu regen. Da sind sich so unterschiedliche Gruppen wie Muslimbrüder, Nasseristen oder andere Opposition völlig einig: Sisi verkauft ägyptisches Territorium um ein paar Silberlinge.

König Salman im Parlament ...

Die Entscheidung muss noch durchs ägyptische Parlament, das von Sisi-Anhängern dominiert wird – die König Salman bin Abdulaziz Al Saud, anlässlich dessen Besuchs in Kairo die Bekanntgabe erfolgte, mit Fähnchen des Königreichs begrüßten. Deshalb klammern sich manche Kritiker an das Konzept der "umstrittenen" Souveränität der Inseln, denn da müsste das Volk befragt werden. Auch die Ankündigung des Baus einer über Tiran führenden Brücke zwischen Ägypten und Saudi-Arabien – sie wird gleichzeitig eine zwischen Afrika und Asien sein – kann sie nicht versöhnen, sowie dringend gebrauchte saudische Investitionspläne von bis zu 20 Milliarden Dollar, wobei etliche Projekte besonders den Nordsinai entwickeln helfen sollen.

... in al-Azhar und beim Koptenpapst

Ein Besuch des Königs in der Al-Azhar-Moschee rief besorgte Kommentare hervor, ob man denn nun auch der islamischen Linie Saudi-Arabiens zu folgen beabsichtige. Salman war auch beim koptischen Papst Tawadros, der seine Dankbarkeit für die Unterstützung Ägyptens durch Saudi-Arabien ausdrückte. Ein Kniefall allerorten?

Die antisaudische Stimmung schlägt jedenfalls hohe Wellen. Typisch dafür ist die Meldung, dass die Statue Ibrahim Pashas, der 1818 die Saudis in ihrem Kernland im Najd schlug, aus Rücksichtnahme verhüllt wurde (sie ist tatsächlich eingerüstet, aber vielleicht aus anderen Gründen).

Auch in Israel wird man die Diskussion um Tiran mit Interesse verfolgen: Nach bestätigter saudi-arabischer Souveränität wird das Königreich indirekt Partner Israels sein, was einen Sicherheitsannex des Camp-David-Abkommens zwischen Israel und Ägypten aus dem Jahr 1978 betrifft.

Außenminister Adel al-Jubair bekundete bereits, dass das Königreich alle Verträge respektieren wird. Es geht um die Garantie für die israelischen Durchfahrtsrechte durch die Straße von Tiran – deren Sperre durch Ägyptens Präsidenten Gamal Abdul Nasser 1967 ja einer der Auslöser des Sechstagekriegs war. Israel besetzte die Inseln und verließ sie 1982 wieder. Die Straße von Tiran wird im Rahmen der MFO-Mission (Multinational Force & Observers), die auf dem Sinai im Einsatz ist, überwacht, der Beobachtungsposten auf Tiran wird von US-Personal betrieben.

"Historisch"

Der erste Demarkationsversuch bei Tiran fand 1906 noch zwischen dem Osmanischen Reich und Großbritannien statt. Nach der Schaffung des Staates Israel, dem arabischen Angriff und der israelischen Einnahme von Umm Rashrash (Eilat) am Golf von Aqaba besetzten 1949 ägyptische Truppen mit saudi-arabischem Einverständnis die Inseln. 1956 blockierte Nasser erstmals die Meerenge, die Inseln wurden im Lauf der Suez-Krise von Israel besetzt und 1957 wieder verlassen. 1957 bekräftigte Riad seine Souveränität über die Inseln, die jedoch ägyptisch verwaltet blieben.

Sisi gibt demnach kein ägyptisches Territorium auf, aber das ist schwer zu kommunizieren. Ironischerweise war das auch einer der Vorwürfe, die man dem 2013 von Sisi gestürzten Muslimbruderpräsidenten Mohammed Morsi machte. Da ging es um angebliche Versprechen Morsis an die Hamas auf dem Sinai und um das "Halaeb-Dreieck" im Süden, das auch der Sudan beansprucht. Letzteres betrifft auch eine Seegrenze im Roten Meer – über das Saudi-Arabien, das ja auch vor dem Jemen steht, immer umfassendere Kontrolle ausübt. (Gudrun Harrer, 12.4.2016)