Präsident Massud Barzani stellt die kurdische Unabhängigkeit in Aussicht – und will seinen Einfluss in Bagdad wahren.

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Bagdad/Erbil/Wien – In Bagdad stecken Parlament und Regierung weiter in der tiefsten politischen Krise seit Jahren, auch wenn angesichts der befürchteten Eskalation, die zu Gewalt auf den Straßen führen könnte, einige politische Kräfte einen Schritt zurückzutun schienen: Zumindest wurde im gespaltenen Parlament nicht weiter versucht, Staatspräsident und Premier zu stürzen. Was verfassungsrechtlich ohnehin nicht ginge, aber das kümmert in diesen Tagen nur wenige.

Auch Premier Haidar al-Abadi, der mit seinem Plan, ohne Verhandlungen mit den Parteien ein Technokratenkabinett einzusetzen, die Krise auslöste, wird ja beschuldigt, die Verfassung zu verletzen – zuletzt von Präsident Fuad Massum, der in einem Interview mit Rudaw Abadi kritisierte. Massum, Kurde und aus Jalal Talabanis PUK (Patriotische Union Kurdistans), betonte jedoch die Überparteilichkeit des Staatspräsidenten: Er werde zwischen den Gruppen und Parteien zu vermitteln versuchen.

Nur zwei von 14 Ministerien

Die Kurden gehörten zu jenen Kräften im irakischen Parlament, die sich am meisten gegen Abadis Ministerliste, die er Ende März zusammenstellte, wehrten: Sie sahen sie als Angriff auf ihren Einfluss in der irakischen Regierung. Von den 14 Ministerien wären nur zwei von Kurden besetzt worden – wenngleich eines von ihnen das wichtige Ölministerium gewesen wäre. Abadi hatte noch dazu die Namen nicht mit den kurdischen Parteien abgesprochen, die daraufhin die Unterstützung versagten. Die Kurden, deren Parteien im Parlament gemeinsam auf 62 von 328 Sitzen kommen, beanspruchen in der Regel 20 Prozent der Posten in den Institutionen in Bagdad.

Die stärkste kurdische Partei ist sowohl in Bagdad als auch in der kurdischen Hauptstadt Erbil die KDP (Kurdische Demokratische Partei) von Massud Barzani. Barzani ist Präsident der Kurdischen Regionalregierung – seit 2005 und mit einem seit Sommer 2015 abgelaufenen Mandat. Die Frage nach der Zukunft der Präsidentschaft ist ungelöst, die größte Oppositionspartei Kurdistans – das ist nicht mehr die PUK, sondern Gorran – erkennt die Verlängerung des Mandats Barzanis nicht an.

Zerstrittene Schiiten

So zerstritten die Kurden politisch in ihrer eigenen Region sind, in Bagdad halten sie zusammen. In Erbil ist Gorran in Totalopposition, in Bagdad agiert die Partei an der Seite der KDP. Das ist ein großer Unterschied zu den irakischen Schiiten, zwischen deren Fraktionen Abadi – der ja selbst ein Schiit der Dawa-Partei ist – zerrieben wird.

Barzani, der im Sommer 70 Jahre alt wird, gilt seinen Anhängern als unverzichtbar in einer Zeit, in der der "Islamische Staat" vor den Grenzen der kurdischen Region steht. Über diese liegt Erbil aber auch im Disput mit Bagdad: Ein in der irakischen Verfassung von 2005 festgeschriebenes Referendum über die Zugehörigkeit der "umstrittenen Gebiete" hat nie stattgefunden.

Umstrittene Grenzen

Vereinzelt kommt es zu Zusammenstößen zwischen kurdischen Peschmerga und arabisch-schiitischen Milizionären, die als "Volksverteidigungseinheiten" ebenfalls den IS bekämpfen. Dies lässt erahnen, was passieren könnte, wenn der IS einmal besiegt und die Kurden auf den neu gezogenen Grenzen beharren. In die umstrittene Stadt Kirkuk etwa rückten die Kurden im Sommer 2014 vor.

Die kurdische Regionalregierung schultert gewaltige Aufgaben etwa auch bei der Versorgung von irakischen Binnenflüchtlingen. Geld ist wegen des Kriegs, des niedrigen Ölpreises und des Dauerstreits mit Bagdad knapp: Im Februar musste Erbil die Gehälter kürzen. Die Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit, die auch mit dem politischen Patt zu tun hat, führte dazu, dass sich viele junge Kurden der Migrationsbewegung nach Europa anschlossen.

Barzani stellt Unabhängigkeit in Aussicht

Barzani versucht, den Kurden die harten Zeiten zu versüßen, indem er die Unabhängigkeit Irakisch-Kurdistans in Aussicht stellt – per Referendum noch in diesem Jahr. Der IS habe die nach dem Ersten Weltkrieg gezogenen Grenzen aufgehoben, jetzt sei die Zeit reif für einen Kurdenstaat.

Allerdings steht Washington, ohne dessen Unterstützung das nicht gehen wird, weiterhin fest zur Einheit des Irak – und in der jetzigen Krise auch zu Premier Abadi. Das wurde der kurdischen Führung deutlich kommuniziert. Solange der IS nicht geschlagen ist, bleiben alle anderen Probleme eingefroren. (Gudrun Harrer, 22.4.2016)