Auf die neolithische Siedlung von Çukuriçi Höyük stieß Barbara Horejs durch Zufall. Sondierungsgrabungen zeigen mehrere Besiedelungsphasen.

Foto: OREA / Barbara Horejs

Perlen aus Muschelschalen (unten) und Klingen aus Obsidian (oben) weisen auf einen Meeresbezug und frühe Handelsrouten hin.

Foto: OREA / Barbara Horejs
Foto: OREA / Barbara Horejs

Ausgangspunkt der neolithischen Revolution ist die als Fruchtbarer Halbmond bekannte Region im Nahen Osten zwischen dem Persischen Golf über Mesopotamien bis in die Levante vor rund 11.500 bis 11.000 Jahren.

Grafik: APA/Orea/der Standard

Wien – Über einen leeren Terminkalender kann sich Barbara Horejs in diesen Tagen nicht beklagen. Die Direktorin des Instituts für Orientalische und Europäische Archäologie (OREA) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist diese Woche Gastgeberin für mehr als 800 Forscher aus 38 Ländern: In den Räumen der Akademie in der Wiener Innenstadt tummelt sich bei der zehnten Auflage des International Congress on the Archeology of the Ancient Near East (ICAANE) das Who's who der Orient-Archäologie. Die Konferenz wird seit 1998 im Zweijahresrhythmus in europäischen Universitätsstädten abgehalten.

Bedrohtes Kulturerbe

Das alles überschattende Hauptthema der Konferenz ist in diesem Jahr, durch die politische Situation erzwungen, die Bedrohung des kulturellen Erbes durch Krieg, Terrorismus, Bildersturm und illegale Raubgrabungen. Daneben finden zahllose Workshops und Vorträge von Forschern statt, die die Ergebnisse ihrer Arbeiten in einer der acht Themenbereiche präsentieren – von Grabungsberichten über Wirtschaft und Gesellschaft bis hin zu Transformation und Migration.

Letzteres ist auch Horejs' zentraler Forschungsschwerpunkt. Die Archäologin geht der Frage nach, was die auslösenden Faktoren für die Gesellschaftsumbrüche in der Übergangszeit vom Mesolithikum zum Neolithikum sind. Die Grenze zwischen der Mittel- und der Jungsteinzeit wird von einer Revolution markiert, die den nachhaltigsten Entwicklungsschritt in der Menschheitsgeschichte darstellt.

Grabungen am Çukuriçi Höyük

Der gesellschaftliche Wandel von nomadisierenden Jägern und Sammlern zu ackerbautreibenden Gemeinschaften in dauerhaften Dörfern prägt die Menschheit bis in die heutigen Zeiten. Ausgangspunkt der neolithischen Revolution ist die als Fruchtbarer Halbmond bekannte Region im Nahen Osten zwischen dem Persischen Golf über Mesopotamien bis in die Levante vor rund 11.500 bis 11.000 Jahren. Wie die Siedler ihre neuen landwirtschaftlichen Kulturtechniken Schritt für Schritt über Anatolien nach Europa ausbreiteten, ist Kern der Forschungen Horejs'.

Die mit 8700 Jahren älteste jungsteinzeitliche Ansiedlung im ägäischen Raum entdeckte Horejs eher zufällig bei einer Grabung in der Umgebung von Ephesos. Seit zehn Jahren führt Horejs (OREA, ÖAW) auf dem Çukuriçi Höyük, dem "Hügel in der Senke", systematische Untersuchungen durch. Dabei handelt es sich wohl um eine Art frühen Außenposten des neolithischen Kerngebiets.

Wissensaustausch

Offensichtlich verliefen die Migrationswege der neolithischen Bauern auf denselben Routen, die auch heute wieder von Migranten benutzt werden. Die Geografie gibt die Bedingungen vor, damals wie heute nutzen die Menschen die günstigsten Möglichkeiten, um in waghalsigen Überfahrten die fernen Ufer zu erreichen. Wofür die heutigen Migranten Schlauchboote nutzen, verwendeten ihre Vorgänger wohl Einbäume. Katastrophen müssen schon damals zu den normalen Risiken gezählt haben.

Während die neolithischen Pioniere die Landwirtschaft mitbrachten, dürften sie von der benachbarten mesolithischen Gesellschaft das Know-how über Schifffahrt und Rohstoffquellen im ägäischen Raum übernommen haben: Bereits vor ihrer Ankunft befuhren die Menschen die Ägäis und trieben Handel, unter anderem mit Obsidian von den Kykladeninseln. Die Motivation hinter den Migrationsbewegungen dürfte einerseits in klimatischen Veränderungen zu suchen sein, wie bei jener Welle vor 8200 Jahren, als das Klima abrupt umschlug. Ein weiterer Grund könnte das Bevölkerungswachstum durch höhere Lebenserwartung und geringere Kindersterblichkeit bei den sesshaften Bauern sein.

Genetischer Nachweis

Aktuelle genetische Untersuchungen untermauern die Grabungsergebnisse Horejs': Für eine neue Studie wurde das komplette Genom von fünf Individuen aus der Westtürkei und Zentralgriechenland ausgewertet. Bei vergleichbaren Arbeiten wurde bisher lediglich die mitochondriale DNA untersucht, womit nur die mütterliche Abstammungslinie erforscht werden kann, erklärt der Mainzer Anthropologe und Populationsgenetiker Joachim Burger. Das Genom hingegen gibt Auskunft über die gesamte Vorfahrenschaft. Die Ergebnisse zeigen starke Übereinstimmungen der frühen Bauern des ägäischen Raumes mit jenen im Mittelmeerraum und in Mitteleuropa. Die mesolithischen Ureinwohner Europas sind daher nachweislich nicht die Vorfahren der ihnen nachfolgenden neolithischen Bevölkerung.(Michael Vosatka, 27.4.2016)