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Wer nicht schlafen kann, sollte sich nicht im Bett wälzen, sondern aufstehen und einer besonders monotonen Tätigkeit nachgehen – das bringt oft den Schlaf zurück.

Foto: Corbis/Jacqueline Veissid

Ein Spitalsbett, gegenüber ein Fernsehgerät, darunter ein kleiner Tisch mit zwei Sesseln. Dazu ein Kleiderschrank und ein Fenster mit schweren, bunt geblümten Vorhängen. In diesem Krankenzimmer im ersten Stock der Privatklinik Rudolfinerhaus in Wien-Döbling sieht auf den ersten Blick alles nach einem normalen Einzelzimmer aus.

Erst auf den zweiten Blick sieht man die Überwachungskamera, die auf das Bett gerichtet ist, technische Geräte auf dem Nachtkästchen und dutzende Kabelanschlüsse neben dem Bett. Außerdem gibt es hier im Raum, wenn auch gut versteckt, ein zweites Fenster, durch das man aus dem Nebenzimmer hereinschauen kann. Wer hier übernachtet, wird genau beobachtet – siebeneinhalb Stunden lang, zwei oder drei Nächte am Stück. Das Ziel: Schlafstörungen diagnostizieren und therapieren.

Wer sich hier untersuchen lässt, wird von oben bis unten verkabelt: Elektroden am Kopf und an den Beinen, ein Schnarchmikrofon am Hals, Kanülen, die den Luftfluss durch die Nase und die Mundatmung messen, ein Pulsometer am Finger, dazu ein Brust- und Bauchgürtel und eine Überwachungskamera, um nächtliches Aufschrecken oder Schlafwandler zu überwachen. "Wenn ein Patient nachts auf die Toilette muss, und schon alles angeschlossen ist, bringt die Krankenschwester eine Bettpfanne", erklärt der Schlafmediziner und Leiter des Schlaflabors Bernd Saletu. Anders gehe es nicht, weil das Anlegen aller Elektroden insgesamt etwa eine Stunde dauert.

Zu wenig oder zu viel Schlaf

97 verschiedene Schlafstörungen definiert die ICSD-3, die Internationale Klassifikation von Schlafstörungen für Spezialisten, 18 verschiedene Arten die weniger detaillierte ICD-10, die Internationale Klassifikation der Krankheiten der WHO. Diese unterscheidet zwischen organischen und nicht organischen Schlafstörungen. Letztere sind häufiger und haben keine körperlichen Ursachen. Dazu zählen etwa Schlafwandeln, Albträume, die Insomnie – der zu leichte und nicht ausreichende Schlaf, die Hypersomnie, bei der es zu exzessiver Schläfrigkeit kommt oder Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus.

Zu den organischen Schlafstörungen zählen die Schlafapnoe, bei der es zu Atemaussetzern während des Schlafes kommt, Narkolepsie oder das Restless-Legs-Syndrom, das bei Betroffenen Beinunruhe und ein Kribbeln in den Gliedmaßen auslöst.

Von einer Schlafstörung spricht man, wenn das Problem drei Mal pro Woche oder häufiger – je nach Definition – über einen Zeitraum von einem bis drei Monaten auftritt. "Schlafgestörte haben eine reduzierte Lebensqualität", sagt Saletu. In Österreich und Europa sei jeder Vierte von einer Schlafstörung betroffen, Frauen öfter als Männer. "Frauen haben häufiger einen Eisenmangel und leiden daher am Restless-Legs-Syndrom, Männer haben dafür Atmungsstörungen, weil die Muskelspannung am Schlund geringer ist als bei Frauen", erklärt Saletu. Wer unregelmäßige Schlafenszeiten habe, einmal früh und einmal spät ins Bett gehe, leide häufiger an Schlafstörungen. Besonders betroffen sind Schichtarbeiter und Krankenschwestern.

Erhöhtes Risiko für Krebs, Demenz, Diabetes

Im Schlaf regeneriert sich unser Körper, und das Gehirn verarbeitet, was es erlebt hat. Wenn wir schlafen, werden Proteine und Wachstumshormone produziert, die für den Zellaufbau und die Regeneration notwendig sind. Schäden, die tagsüber an Zellen entstanden sind, werden nachts repariert. Wer an Schlafstörungen leidet, hat laut Manfred Walzl, Schlafmediziner in Graz, ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder hormonell bedingte Krebsarten wie Prostata- oder Brustkrebs. Auch Demenz, Diabetes oder Bluthochdruck können auf Schlafstörungen zurückzuführen sein.

Nach einer schlaflosen Nacht sind Betroffene meist unproduktiv, gereizt, schlecht gelaunt, unkonzentriert und weniger leistungsfähig. "Menschen mit Schlafstörungen können ein Risiko für sich selbst und ihre Umgebung sein, etwa im Straßenverkehr", sagt Walzl. Auch psychische Erkrankungen stehen in direktem Zusammenhang mit Schlafstörungen. "Es ist wie mit der Henne und dem Ei. Betroffene wissen oft nicht, ob sie nicht schlafen können, weil sie depressiv sind, oder ob sie depressiv sind, weil sie nicht schlafen können", erklärt Walzl.

"Die Ursachen für Schlafstörungen sind vielfältig und müssen fächerübergreifend betrachtet werden", sagt Saletu. Psychische Erkrankungen wie Angststörungen oder schwere Belastungen, affektive Störungen, Alkohol-, Medikamenten- und Drogenmissbrauch sowie organische Erkrankungen des Stoffwechsels, des Herz-Kreislauf-Systems, Inkontinenz, oder HNO-Erkrankungen führen oft zu Schlafproblemen oder sind zumindest eine Begleiterscheinung. "Manchmal gibt es ein zentrales Erlebnis, das zu einer Schlafstörung führt", berichtet Saletu, "dann gesellt sich zur Schlaflosigkeit die Angst vor der Schlaflosigkeit." Dieser selbst auferlegte Druck, endlich einschlafen zu müssen, sei ein großer Schlafräuber, sagt auch Walzl. Im schlimmsten Fall könne eine Schlafstörung konditioniert und sogar chronifiziert werden.

Die richtige Therapie

Wie die Schlafstörungen selbst, ist auch ihre Behandlung vielfältig. "Schlafstörungen sind heilbar", stellt Walzl klar. Wichtig sei die exakte Diagnostik, gleich anfangs ein Schlafmittel einzunehmen, sei der falsche Weg, "man muss zunächst die Ursache bekämpfen". Im Schlaflabor im Rudolfinerhaus wird in der Diagnosenacht der Schlaf des Patienten genau untersucht. Für die zweite Nacht versucht das Team, eine passende Behandlung zu finden. Das kann etwa Psychotherapie, eine somatische Therapie wie Licht, eine Schnarchschiene oder kontinuierliche Überdruckbeatmung (CPAP) sein, aber auch ein Medikament.

Von Schlaflosigkeit geplagten Menschen empfiehlt Walzl, "sich nicht wie ein Propeller im Bett zu wälzen, sondern aufzustehen und eine monotone Tätigkeit zu verrichten", das sei oft sehr wirksam. Auch die paradoxe Intervention nach Viktor Frankl könne helfen. Dabei redet man dem Körper ein, dass man gar nicht schlafen will. "Mit dieser Methode", so Walzl, "schlafen die Betroffenen nach zwei bis drei Tagen meistens wieder ganz normal."

Fest steht, dass länger andauernde Schlafstörungen behandelt werden müssen. "Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass man sich mit schlechtem Schlaf nicht abfinden muss", sagt Saletu. "Wer nicht schlafen kann, muss etwas unternehmen", sagt auch Walzl, denn schlafen sei so wichtig wie essen, trinken oder atmen. (Bernadette Redl, 30.4.2016)