Wien – Schätzungen zufolge sind 70 Millionen Menschen in Europa chronisch nierenkrank. Das Problem ist, dass die wenigsten Betroffenen davon wissen, sagten am Donnerstag Experten bei einer Pressekonferenz in Wien, die anlässlich der Europäischen Nierenfachtagung, zu dem ab Sonntag rund 8.000 Teilnehmer in der Bundeshauptstadt erwartet werden, abgehalten wurde.

"Rund zehn Prozent der Menschen haben eine eingeschränkte Nierenfunktion. 531.000 Patienten in Europa leiden an terminalem Nierenversagen. Die Dialyse für einen Patienten kostet pro Jahr rund 80.000 Euro. Insgesamt sind rund 70 Millionen Personen in Europa von chronischen Nierenschäden betroffen", sagte Andrzej Wiecek, Präsident der Europäischen Nephrologengesellschaft.

Weil sich chronische Nierenschäden schleichend und zunächst symptomlos entwickeln, wird die Diagnose oft viel zu spät gestellt. "Die Patienten merken die Krankheit sehr spät, zumeist erst, wenn die Nierenfunktion nur noch 20 bis 30 Prozent beträgt. Ab einem Wert von nur noch zehn bis 15 Prozent sprechen wir von der Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie", betonte Alexander Rosenkranz, Nephrologe an der MedUni Graz.

Ab 45 Jahren nimmt Nierenleistung ab

Es sind längst bekannte Risikofaktoren, die Nierenerkrankungen fördern: "Die treibenden Kräfte sind Diabetes und der Bluthochdruck. Ein Drittel aller Diabetiker entwickelt auch eine 'Nierenbeteiligung'. 25 bis 30 Prozent der Erwachsenen sind Hypertoniker. Jeder dritte bis fünfte Mensch mit Bluthochdruck bekommt Nierenprobleme", betonte Karl Lhotta, Präsident der österreichischen Fachgesellschaft der Nierenspezialisten.

An sich nimmt die Nierenfunktion des Menschen ab dem 45. Lebensjahr jährlich um ein bis zwei Prozent ab. Bei einem Restwert von unter 60 Prozent sprechen die Experten von einem signifikanten Nierenschaden. Bei Patienten mit zum Beispiel schlecht eingestelltem Blutzucker oder nicht kontrolliertem hohen Blutdruck kann sich die Filterkapazität der Nieren pro Jahr um bis zu 15 Prozent reduzieren und schließlich relativ schnell endgültig versagen.

Risiko identifizieren

Das trifft auch auf viele Patienten in Österreich zu. "Pro Jahr müssen rund 1.200 Patienten neu in die Nierenersatztherapie (Hämo- oder Bauchfelldialyse bzw. Nierentransplantation; Anm.) aufgenommen werden", sagte der Innsbrucker Nephrologe Gert Mayer. 2014 befanden sich rund 9.100 Menschen in Österreich in Nierenersatztherapie. 49 Prozent davon waren auf Dialyse angewiesen, der Rest hatte eine Spenderniere erhalten. 2005 handelte es um rund 7.200 Patienten.

Zwar geht der Anteil der Diabetiker unter den Patienten mit Nierenersatztherapie durch die verbesserte Behandlung der "Zuckerkrankheit" zurück, die Zahlen steigen aber an, weil auch die Mortalität der Patienten um rund ein Drittel gesunken ist.

Das beste Gegenmittel wäre die frühzeitige Identifizierung von Menschen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko und anschließender konsequenter Behandlung von Diabetes, Bluthochdruck und anderer Einflussfaktoren. In der Steiermark wurde mit "nieren.schützen" ein solches Screeningprogramm etabliert. Vor allem die niedergelassenen Ärzte sollen bei Vorliegen einer Hypertonie und/oder Diabetes, Adipositas (BMI größer 30) bzw. einem Fall von Nierenversagen in der Familie die entsprechenden Laboruntersuchungen (Kreatinin im Blut und Eiweißausscheidung mit dem Harn) veranlassen.

Zweifacher Effekt

Eine gute Therapie kann den jährlichen Verlust an Nierenfunktion bei den Betroffenen um rund zwei Drittel senken. Bei Diabetikern ist in Studien der Nachweis gelungen, dass mit neuen Arzneimitteln zur Senkung des Blutzuckers (SGLT2-Hemmer) ein Nierenschutz erreicht und zusätzlich das hohe Herz-Kreislauf-Risiko der Betroffenen gesenkt werden kann. (APA, 19.5.2016)