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Dünn oder dick: Die Schwerkraft wirkt über die Jahre auf die Gelenke. Orthopäden erarbeiten eine neue Systematik für Adipositaspatienten, die Hüft- oder Knieersatzgelenke brauchen.

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Die Orthopädie steht vor einer großen Herausforderungen: Immer mehr Adipositaspatienten brauchen künstliche Ersatzgelenke. Jeder zehnte Patient, der in Europa ein künstliches Hüftgelenk benötigt, ist fettleibig. Für dieses Patientenkollektiv gilt es, besondere Risiken ins Kalkül einzubeziehen, waren sich die Experten einig. "Aus ärztlicher Sicht ist es jedenfalls sinnvoll, auch extrem fettleibigen Menschen bei Bedarf eine Hüftprothese einzusetzen. Das ist die effektivste Methode, um die Beweglichkeit von Personen mit schweren Arthrosen wieder herzustellen.

Die Alternative wären chronische Schmerzen, Behinderung und sogar Pflegebedürftigkeit", so das Resümee von Sébastien Lustig von der Croix-Rousse Universitätsklinik Lyon und Sébastien Parratte von der Universität Aix Marseille.

Ihr Risiko kennen

Wichtig ist eine sehr sorgfältige Patientenaufklärung im Vorfeld. Einer Schweizer Studie zufolge sind vor allem Adipöse ab einem BMI von 35kg/m2 Risikokandidaten für Nachoperationen und Infektionen: Einer Auswertung von 2.500 Knieprothetik-Daten zufolge brauchen Patienten ab diesem BMI im Vergleich zu anderen doppelt so oft Revisionsoperationen und leiden auch doppelt so oft an tiefen Infektionen.

"Adipositas ist nicht nur ein biomechanisches, sondern auch ein biologisches Problem", so Lustig. "Es stimmt zwar, dass jedes halbe Kilo Körpergewicht tragende Gelenke wie das Knie mit einem Druck von zwei bis drei Kilo belasten. Doch die Wirkung von Übergewicht ist viel komplexer, das muss in der orthopädischen Chirurgie immer mitbedacht werden."

So hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass Fettleibigkeit, metabolisches Syndrom und kardiovaskuläre Erkrankungen auf komplexe Weise zusammenspielen. Sie begünstigen Entzündungsprozesse und Knorpeldegeneration, die an der Entstehung von Arthrosen beteiligt sind.

Konkrete Maßnahmen

Diabetes, eine der typischen Begleiterkrankung von Adipositas, erhöht das Infektionsrisiko bei Hüftoperationen um zehn Prozent, und sollte daher unbedingt vor der Operation gut behandelt werden. Andere infektionsvermeidende Maßnahmen sind Raucherentwöhnung vor der OP, eine spezielle Vorbereitung der Haut und die Verwendung von Knochenzement mit Antibiotika. Sie sind im Fall von starkem Übergewicht besonders wichtig.

Mitentscheidend für den Erfolg einer Hüft-OP ist die präoperative Aufklärung der Patienten. "Auch wenn es keine offizielle Gewichtsgrenze für das Implantieren von Gelenksprothesen gibt: Gerade bei Fällen von krankhafter Adipositas, also ab einem BMI von 40 kg/m2, wäre es sehr angezeigt, vor der OP Kilos loszuwerden", sagt Parratte.

"Gerade bei Adipösen ist die Gefahr einer Dislokation höher als bei Normalgewichtigen", betont Lustig. Vermutet wird auch, dass aseptische Lockerungen von Hüftendoprothesen bei Fettleibigkeit häufiger vorkommen. Diese entsteht vor allem durch Abriebpartikel oder fehlende initialer Stabilität des Implantats. "Um eine Dislokation der Hüfte zu vermeiden, haben sich künstliche Hüftgelenke bewährt, die einen hohen Offset haben sowie einen verminderten Abduktionswinkel der Gelenkspfanne und einen größeren Hüftkopfdurchmesser", erläutert Lustig.

Neue Operationstechniken

Schließlich spielt auch die passende Operationstechnik eine wichtige Rolle für erfolgreiche Eingriffe. "Die operierenden Ärztinnen und Ärzte sollten bei adipösen Patienten nur jenen chirurgischen Zugang wählen, der ihnen bestens vertraut ist. Minimal invasive Eingriffe sind jedenfalls nicht angezeigt", so Parratte.

Da es in Zukunft immer mehr adipöse Menschen geben wird, die einen Gelenksersatz benötigen, könnten spezielle Operationstechniken Schule machen. Eine Empfehlung lautet etwa, dass orthopädische Chirurgen bei adipösen Patienten maßgeschneiderte patientenspezifische Schablonen als Führung verwenden, wenn sie eine Prothese anpassen. Das steigert die Genauigkeit, reduziert Blutverlust und Operationszeit und hilft zudem, die Größe von Schnitten und Implantaten bei Patienten mit großem BMI richtig zu bemessen. Mit patientenspezifischen Schablonen kann zudem die mechanische Achse verlässlicher wiederhergestellt werden. (red, 2.6.2016)