Das schulmedizinische Design von Studien werde dem Wesen der Homöopathie nicht gerecht, sagen ihre Verfechter. Dennoch sei erlaubt, einzufordern, was in allen Naturwissenschaften eingefordert werden darf: Beweise.

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"Homöopathie als Kassenleistung" fordert eine österreichische Initiative. Sie beklagt, dass diese Lehre als "wissenschaftlich nicht erprobte Heilmethode" betrachtet wird. Der Mediziner Edzard Ernst, einer der renommiertesten Experten und ein ehemaliger Lehrstuhlinhaber für Alternativmedizin, sieht Homöopathie als "in jeder Hinsicht überholt" an. Aktuelle Metastudien bekräftigen dies: Homöopathie wirkt nicht besser als Placebo. Das ficht die Bevölkerung nicht an: Einer Umfrage nach haben mehr als 60 Prozent der Österreicher "viel Vertrauen" in die Homöopathie. Mit 23 Millionen Euro ab Fabrik beziffert die Sprecherin eines Herstellers die Umsätze der Homöopathika. Ein Vielfaches davon lassen die Endverbraucher in den Arztpraxen und Apotheken für offenkundig unwirksame Mittel zurück.

Die Lehre von Samuel Hahnemann ist auch fast 250 Jahre nach dessen Tod ein Phänomen. Wer sie analysiert und kritisiert, sollte bedenken: Homoöpathie ist kein Phänomen medizinischen Irrglaubens, sondern ein gesellschaftliches.

Gegen das wissenschaftliche Establishment

Die Verfechter der Homöopathie merken zumeist mit koketter Überheblichkeit an, dass das schulmedizinische Design von Studien dem Wesen der Homöopathie nicht gerecht wird. Tja, das ist bitter, dennoch sei erlaubt, einzufordern, was in allen Naturwissenschaften eingefordert werden darf: Beweise. Zum Beispiel für die "Informationen", die in der nicht einmal in Spurenelementen vorhandenen Materie der Homöopathie gespeichert sein soll. Studien mit Randomisierung und Doppelverblindung und all diesen Auflagen, die keine Finten spaßgebremster Laborfreaks sind, sondern Standards garantieren: um die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen von Medizinen und Methoden festzustellen.

Diese Standards sind auch der Homöopathie zuzumuten. Deren Proponenten agieren indes wie Anhänger der "Flat Earth Society", die partout kein Segelschiff besteigen wollen. Weil sie Angst haben, damit rund um die Welt zu segeln und den Erdball tatsächlich als Kugel begreifen zu müssen.

Die gelungene Teilung des Markts

Die Liste der tradierten Tricks, mit denen wir manchem körperlichem Ungemach einst sanft zu Leibe rückten, ist lang. Essigpatscherln, Zwiebelschmalz und Topfenwickel sind erprobte Hausmittel, aber kein gutes Geschäft für die Arzneimittelerzeuger. Darum haben findige Marketer der homöopathischen Allianz – hinter der notabene ganz solide Pharmaunternehmen stehen – das getan, was man in der Marketinglehre "den Markt teilen" nennt. Man kreiert ein Angebot für Krankheiten und Symptome, für die der mündige Patient bisher keine Medizin benötigte oder sich mit einem Tag im Bett und Honigtee begnügte.

Die Botschaft ist simpel: Wenn dich "ein Sch... druckt", versorgen wir dich mit einem bunten Potpourri an teuren Milchzuckerkugeln. Wir geben aber zu: Wenn du mit offenem Oberschenkelbruch im Straßengraben liegst, dann ist die kalte Schul- und Apparatemedizin durchaus indiziert. Diese Teilung des Marktes ist gelungen. Die Österreicher geben dafür Millionen aus, anstatt sich eine heiße Hühnersuppe zu kochen.

Das Spiel mit dem feinen Unterschied

Die Homöopathie versorgt ihre Kunden nicht nur mit einem unüberschaubaren Potpourri von Milchzucker-Globuli, sondern auch mit einem für ungebildete Schichten schwer zu lebenden Narrativ rund um Gesundheit, bewusstes Leben und oberflächliche Kritik an Pharmakonzernen (Stichwort "Big Pharma").

Homöopathie ist ein Oberschichtsphänomen, das die vom Soziologen Pierre Bourdieu attestierte Sehnsucht nach den "feinen Unterschieden" auch abseits ökonomischer Kriterien befriedigt. Die Kunden der Homöopathie vertrauen nicht nur auf das Wirken des teuren Zuckers, sie vertrauen auch darauf, dass die Homöopathie den Globuli-Konsumenten den Status des besorgten und wissenden Gesundheitsbohèmes verleiht.

Die Sehnsucht nach dem Schamanen

Als Ethnologe mit mehrjährigen Aufenthalten in rund 20 Ländern Afrikas und Asiens habe ich jede Menge Hexer und Hexerinnen, Wahrsager und Wahrsagerinnen, Heiler und Heilerinnen, Marabouts und Kaffeesudleser kennengelernt. Ich bemühe ein anschauliches Beispiel: Wenn ich am Oberlauf des Weißen Nils mit einem "Regenmacher" konfrontiert bin, habe ich zwei Möglichkeiten: Ich lasse mir erklären, wie er den Regen macht, und bestaune mit großen Augen diese tollen Fertigkeiten. Oder ich analysiere, welche Mechanismen, Mythen, Abhängigkeiten und Wissensvorsprünge in der Gesellschaft es zulassen, dass sich Leute als Regenmacher präsentieren können, ohne als Kasper ausgelacht und aus dem Dorf gejagt zu werden.

Das gilt am Oberlauf des Weißen Nils sowie im Wartezimmer einer homöopathischen Praxis im Mostviertel. Denn auch hier geht es nicht um das längst widerlegte Wirken der Globuli. Sondern um eine Antwort auf die schlichte Frage: Warum lassen homöopathische "Schamanen" und alternativmedizinische Scharlatane intelligente Menschen im "aufgeklärten Westen" an nebulose, vielbeschworene und nicht greifbare "Informationen" in schlichten Zuckerkügelchen glauben.

Zusammengefasst: Homöopathie hat nichts mit Naturwissenschaft oder gar Medizin zu tun. Sie ist ein Best-Practice-Beispiel für geschicktes Marketing, ein soziologisches Phänomen, ein Beweis für die kulturübergreifende Sehnsucht nach dem Schamanen. Das muss man akzeptieren, das darf man aufzeigen. Es ist allerdings kein Argument dafür, sich homöopathischen Zauber von der Krankenversicherung bezahlen zu lassen. (Christian Kreil, 6.6.2016)