Das rund 700.000 Jahre alte Kieferfragment muss von einem Vorfahren von Homo floresiensis stammen.

Foto: Kinez Riza

Zur Veranschaulichung wurde es hier in den 60.000 bis 100.000 Jahre alten Holotyp (links) eingepasst. Rechts ein Homo sapiens-Schädel zum Vergleich.

Foto: Kinez Riza

Zwei der sechs Zähne, die in Mata Menge, rund 70 Kilometer von Liang Bua entfernt, gefunden wurden.

Foto: Kinez Riza
nature video

Wollongong/Wien – Seit der aufsehenerregenden Erstbeschreibung des zwergenhaften Menschen Homo floresiensis im Jahr 2004 wird in Fachkreisen heftig debattiert. Stammen die Funde aus der Höhle Liang Bua auf der indonesischen Insel Flores tatsächlich von einer eigenständigen Menschenart, und wenn ja, was ist ihr Ursprung? Oder handelt es sich um Überreste moderner Menschen, die krankheitsbedingte Veränderungen aufwiesen? Unumstritten war nur, dass der liebevoll "Hobbit" genannte Mensch nur knapp über einen Meter groß gewesen ist.

Erst im Frühjahr kam neuer Schwung in die Diskussion, als Forscher in "Nature" die bisherige Datierung der Funde revidierten: Die Knochen der Hobbits von Liang Bua sind ihrer Ansicht nach mindestens 60.000 Jahre alt und damit viel älter als ursprünglich gedacht. Zu dieser Zeit lebte Homo sapiens noch gar nicht in der Region. Doch um im Rätsel um die Hobbits von Flores einen entscheidenden Schritt weiterzukommen, fehlten weitere Funde.

Verzwergte Vorfahren

Nun präsentieren Wissenschafter um Gerrit van den Bergh (Wollongong University) und Adam Brumm (Griffith University) in "Nature" eine Sensation: Sie entdeckten ebenfalls auf Flores Überreste von mindestens drei weiteren kleinwüchsigen Individuen, und zwar erstmals außerhalb von Liang Bua. Das Unterkieferfragment eines Erwachsenen und insgesamt sechs Zähne, zwei davon von Kindern, ähneln den früheren Funden aber stark.

Folgenreich ist vor allem die Datierung: Die Fossilien sind rund 700.000 Jahre alt und stammen also mit größter Wahrscheinlichkeit von den Vorfahren der Hobbits. Ebenfalls in der Region gefundene Steinwerkzeuge, die Artefakten aus Liang Bua ähneln, dürften sogar rund eine Million Jahre alt sein. Damit sind wohl alle seriösen Zweifel ausgeräumt, dass es sich bei Homo floresiensis um eine eigenständige Spezies handelt. Die Theorie einer krankheitsbedingten Kleinwüchsigkeit kann wohl endgültig verworfen werden. Doch wo ist der Homo floresiensis, der offenbar schon so früh zu seiner derart geringen Körpergröße kam, stammesgeschichtlich zu verorten?

Homo erectus?

In dieser Frage konkurrieren derzeit zwei Theorien: Entweder er stammt vom deutlich größeren Homo erectus ab und schrumpfte infolge einer sogenannten Inselverzwergung. Dieses Phänomen ist von einigen inselbewohnenden Tieren bekannt, deren Körpergröße aufgrund fehlender Feinde und knapper Ressourcen dramatisch abnahm. Oder aber der Hobbit entwickelte sich aus dem älteren und kleineren Homo habilis oder gar aus einem späten Australopithecus. Allerdings gibt es bisher keinerlei Anhaltspunkte, dass diese Urmenschen Afrika je verließen.

Die Forscher tendieren vorsichtig zur ersten Variante: "Die Morphologie der Zähne deutet auf eine verzwergte Abstammungslinie des frühen Homo erectus hin", sagte Koautor Yousuke Kaifu. Erstautor van den Bergh hält es für durchaus denkbar, dass die Hobbits ihre Miniaturgröße binnen der ersten 300.000 Jahre auf Flores entwickelten.

Doch das lässt sich auch mit den neuen Funden nicht klären. Die Debatten um das Rätsel der Hobbits von Flores gehen weiter. (David Rennert, 9.6.2016)