Bild nicht mehr verfügbar.

Die Werkzeuge der Zahnärzte: Schon allein der Anblick der Bohrer versetzt viele in Angst und Schrecken. Wer sich konfrontiert, kann die Panik überwinden. Es profitieren die Zähne.

Foto: Picturedesk

Die Hände schweißnass, das Herz rast, Luftnot: Bei manchen Menschen löst der Gedanke an den Zahnarztbesuch solche Reaktionen aus – sie haben Zahnarztangst. Vermutlich sind bis zu zehn Prozent der Bevölkerung davon betroffen. "Sie meiden den Zahnarzt, wenn irgend möglich", sagt Michael Rufer, Professor für Psychosoziale Medizin am Uni-Spital in Zürich. "Das kann schlimme Folgen haben: Karies, Parodontitis und Zahnverlust. Hinzu kommt, dass die Leute sich wegen ihrer hässlichen Zähne von ihren Mitmenschen zurückziehen."

Die Neigung zur Zahnarztangst scheint bei einem Teil der Betroffenen angeboren zu sein. Teilweise aber auch erworben, etwa durch Erlebnisse in der Kindheit, bei denen man sich "hilflos und allein gefühlt hat", sagt Rufer. Auch allgemeiner psychischer Stress kann Zahnarztangst auslösen. Irgendwann beginnt ein Teufelskreis: Durch die Angst vermeidet man Zahnarztbesuche, man schämt sich wegen seiner schlechten Zähne, das Selbstbewusstsein sinkt. "Solche Patienten fühlen sich klein und schwach, und die Angst wird immer größer", sagt Rufer.

"Besser darauf eingehen"

Dieter Busenlechner, Zahnarzt am eben eröffneten Sleep-and-Smile-Zentrum in Wien, hatte schon oft mit Angstpatienten zu tun. "Oft sagen sie es bereits am Telefon, spätestens, wenn sie ins Behandlungszimmer kommen", erzählt er. "Ich bin froh, wenn sie so offen darüber reden, denn dann kann ich besser darauf eingehen." Aus Angst vor Spritzen würden manche Wurzelbehandlungen oder Zahnentfernungen ohne Spritze über sich ergehen lassen oder jede Behandlung verweigern. In extremen Fällen entwickeln Patienten beim Zahnarzt Herzrasen, Todesangst oder das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Da lehnen Patienten dann jede Behandlung ab, sagt Psychologe Rufer.

Entscheidend für das Erleben von Furcht ist die Amygdala, ein Bereich im Inneren des Gehirns. Irgendwann hat das Hirn "gelernt", überempfindlich auf den Zahnarztbesuch zu reagieren. "Wenn wir eine Situation als gefährlich bewerten – auch wenn sie das, wie beim Zahnarzt, nicht ist -, gelangt diese Information blitzschnell an die Amygdala", erklärt der Psychologe. "Daraufhin werden Stresshormone ausgeschüttet, die die typischen Angstsymptome auslösen." Eine Psychotherapie kann die überschießende Angstreaktion verändern. Am effektivsten habe sich die kognitive Verhaltenstherapie erwiesen. Wichtig sei die sogenannte Exposition."Man muss sich der Angst so lange aussetzen, bis sie nachlässt", erklärt Rufer. "Nur so lernt das Gehirn, nicht mehr mit überschießender Angst zu reagieren."

Entlastung erleben

Rufer hat schon öfter erlebt, wie sich das für Betroffene anfühlt. Sie erleben, wie sich Panik verändert, wie sie nachlässt und wie dieses Nachlassen überraschend ist. Oft dauert dieser Prozess nicht länger als 15 Minuten. "Erleben die Patienten, dass die Angst zurückgeht, auch wenn sie nicht aus dem Sprechzimmer laufen, sind sie total erleichtert und stolz, es geschafft zu haben", sagt Rufer. Auch wenn Zahnarztpaniker am eigenen Leib erleben, dass sie bei einer Spritze nicht ohnmächtig werden, ist das ein Erfolg. Wenn traumatische Ereignisse aus der Vergangenheit eine Rolle spielen, dann ist das Sich-der-Angst-Aussetzen wirkungsvoll. In der Psychotherapie lernten Patienten, frühere traumatische Erlebnisse zu verarbeiten.

Auch Perfektionismus kann ein Grund für Zahnarztangst sein. "Patienten wollen die Angst verstecken, schämen sich dafür." Wer ohne psychotherapeutische Begleitung die Angst bewältigen will, sollte seine Gedanken und jegliche Gefühle zulassen, sämtliche Körperreaktionen Aufmerksamkeit schenken und schriftlich festhalten. Am besten, man zeigt die Aufzeichnungen dann einem Zahnarzt.

Angewandte Entspannung

Eine Besonderheit bei Ängsten vor Spritzen ist im Unterschied zu anderen Angststörungen, dass die Patienten tatsächlich ohnmächtig werden können. Deshalb bringt Rufer diesen Leuten vor der Exposition die angewandte Entspannung bei: Patienten werden aufgefordert, verschiedene Muskeln für mehrere Sekunden anzuspannen. Das erhöht den Blutdruck und verhindert eine Ohnmacht. Oft würden aber auch schon einfühlsame Worte helfen, erzählt Zahnarzt Busenlechner, und die Angst seiner Patienten lässt nach: "Die Betroffenen fühlen sich ernst genommen – das ist enorm wichtig."

Sein Prinzip: Erzählen – Zeigen – Machen. Zuerst erklärt er ausführlich, wie der Eingriff ablaufen wird, dann zeigt er den Patienten die Instrumente, und später fängt er mit der Behandlung an. Manchmal macht er nur eine vorsichtige Mundhygiene und den eigentlichen Eingriff dann beim nächsten Termin. Hypnose, Lachgas oder entspannend wirkende Medikamente setzt er ein, wenn die Angst zu groß ist. "Es gibt ja nicht nur Menschen mit Zahnarztangst", sagt Busenlechner. "Wir sind einfühlsam, davon können nicht nur die Zähne profitieren, sondern auch die Psyche." (Felicitas Witte, 12.6.2016)