London/Washington – Zwei Tage nach dem tödlichen Attentat auf die britische Labour-Politikerin Jo Cox ist der Tatverdächtige offiziell des Mordes beschuldigt worden. Als der 52-Jährige am Samstag vor dem Westminster Magistrates Court in London nach seinem Namen gefragt wurde, sagte er: "Mein Name ist Tod den Verrätern, Freiheit für Britannien" ("My name is death to traitors, freedom for Britain").

"Wir haben nun einen Mann des Mordes, der schweren Körperverletzung, des Besitzes einer Feuerwaffe mit der Absicht, eine Straftat zu begehen, und des Besitzes einer Angriffswaffe beschuldigt", sagte der zuständige Polizeivertreter Nick Wallen aus West Yorkshire, der die Ermittlungen in dem Mordfall führt, am frühen Samstagmorgen.

Den bisherigen Ermittlungen zufolge sei außer dem 52-jährigen Tatverdächtigen keine andere Person an der Tat beteiligt gewesen, erklärte die Polizei des Landkreises West Yorkshire auf ihrer Internetseite. Der Angriff auf Cox sei offenbar eine "isolierte, aber gezielte Attacke" gewesen.

Die proeuropäische Labour-Abgeordnete Jo Cox war am Donnerstag in ihrem nordenglischen Heimatort Birstall auf offener Straße getötet worden. Der Angreifer feuerte mehrere Male auf die 41-jährige Politikerin und stach mit einem Messer auf die am Boden liegende Frau ein. Die Mutter zweier kleiner Kinder starb wenig später. Der Beschuldigte wurde kurz nach der Tat in der Nähe festgenommen.

Rechtsextreme Szene

Das Attentat schockierte die Briten, die am kommenden Donnerstag über den Verbleib ihres Landes in der Europäischen Union abstimmen. Wegen des Mordes wurde der Wahlkampf bis einschließlich Samstag ausgesetzt. Cox hatte sich mit Nachdruck gegen einen Austritt aus der EU ausgesprochen. Die Polizei prüft, ob dies ein Tatmotiv war, und ob der mutmaßliche Täter Kontakte zur rechtsextremen Szene hatte.

Hunderte Menschen versammelten sich am Freitagabend nahe dem Parlament in London zu einer Gedenkfeier und hielten gemeinsam eine Schweigeminute ab. Viele legten Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Cox lebte mit ihrem Ehemann und ihren zwei kleinen Kindern auf einem Hausboot auf der Themse nahe der Tower Bridge. Auch dort legten Trauernde Blumen für die ermordete Politikerin nieder.

Der frühere Labour-Vorsitzende Ed Miliband sagte, Cox habe "nur geliebt, niemals gehasst". Sie habe "den Stimmlosen eine Stimme gegeben, besonders jenen in Kriegen und Konflikten", und sei "für Einheit statt Spaltung" eingetreten, sagte Miliband. Zuvor hatten bereits Premierminister David Cameron und der Labour-Chef Jeremy Corbyn gemeinsam Cox gewürdigt und in Birstall Blumen für sie niedergelegt.

Auf einem Spendenkonto, das Angehörige und Freunde von Cox eingerichtet haben, gingen bereits mehr als 200.000 Pfund (250.000 Euro) ein. Das Geld wird verschiedenen Hilfsorganisationen in Großbritannien und Syrien zugutekommen.

Obama rief Familie an

US-Präsident Barack Obama hat das Attentat auf Cox als "abscheuliches Verbrechen" verurteilt. Die Welt sei "ein besserer Ort wegen ihres selbstlosen Dienstes" für die Allgemeinheit und es könne "keine Rechtfertigung für dieses abscheuliche Verbrechen geben", erklärte das Weiße Haus am Freitag. Demnach rief Obama Cox' Ehemann an, um ihm und seinen beiden Kindern sein Mitgefühl auszusprechen.

"The Times" gegen Brexit

Die konservative britische Zeitung "The Times" hat sich indessen für den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union ausgesprochen. "Das beste Ergebnis des Referendums nächste Woche wäre eine neue Allianz souveräner EU-Nationen unter Führung Großbritanniens, die sich für Freihandel und Reform einsetzt", schrieb die Zeitung am Samstag in einem Leitartikel unter dem Titel "Europa neu gestalten".

Die Briten stimmen am kommenden Donnerstag in einem Referendum über den Verbleib ihres Landes in der EU ab. Die Debatte darüber wird zunehmend heftig geführt. Die "Times" gehört zum Medienimperium von Rupert Murdoch, zu dem auch "The Sunday Times" und "The Sun" zählen. Das Boulevardblatt "The Sun", das Großbritanniens auflagenstärkste Tageszeitung ist, hat sich seinerseits für einen Brexit ausgesprochen. (APA, red, 18.6.2016)