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Der Verurteilte beim ursprünglichen Prozess im Dezember 2014.

Foto: Ingo Wagner/dpa

Oldenburg – Der deutsche Krankenpfleger Niels H. hat nach Überzeugung der Ermittler weit mehr Menschen getötet als bisher bekannt. Bei 27 von 99 exhumierten ehemaligen Patienten des Klinikums Delmenhorst wurden Rückstände eines Herzmedikaments entdeckt. Insgesamt gehen die Ermittler nun davon aus, dass Niels H. für mindestens 33 Todesfälle im ehemaligen städtischen Krankenhaus Delmenhorst verantwortlich ist.

Bei 27 Verstorbenen konnte der Wirkstoff "Ajmalin" des Medikaments "Gilurytmal" festgestellt werden, hieß es am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Der Ex-Pfleger brachte Patienten laut den Ermittlern mit einer Überdosis absichtlich in einen "reanimationspflichtigen Zustand", um anschließend bei der Reanimierung seine Fähigkeiten zu beweisen. Viele überlebten diese Notmaßnahme nicht. Ob er auch andere Substanzen nutzte, wird noch geprüft.

Diese 27 zusätzlichen Tötungshandlungen habe Niels H. gestanden, erklärten die Ermittler am Mittwoch. Wegen weiterer sechs Fälle war er 2015 vom Landgericht Oldenburg bereits zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Entgegen früherer Behauptungen gestand der heute 39-Jährige nun, auch an seinem früheren Arbeitsplatz in Oldenburg mehrere Patienten mittels einer Kaliuminjektionen getötet zu haben. "Wie viele Patienten Opfer in Oldenburg waren, können wir derzeit nicht sagen", sagte Oberstaatsanwältin Daniela Schiereck-Bohlmann. Es bestehe dringender Tatverdacht in sechs Fällen, davon in vier Fällen wegen Kaliumvergiftung.

Sonderkommission "Kardio"

Niels H. dürfte damit in den Jahren 2002 bis 2005 eine der größten Mordserien der deutschen Nachkriegsgeschichte begangen haben. 2006 war der sogenannte "Todespfleger" von Sonthofen zu lebenslanger Haft verurteilt worden – nach Überzeugung der Richter hatte er 28 meist alte und zum Teil schwer kranke Patienten zu Tode gespritzt.

Polizeichef Johann Kühme sprach den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus und dankte ihnen, dass sie die notwendigen Exhumierungen ertragen hätten. Niels H. habe durch seine "grauenhaften Taten" auch dafür gesorgt, dass ein ganzer Berufsstand in Verdacht geraten sei. "Und das ist nur einer von vielen tragischen Aspekten."

Die Polizei hatte vor rund eineinhalb Jahren die Soko "Kardio" ins Leben gerufen, die sich mit dem Fall befasst. Ermittlungen laufen auch gegen Klinikverantwortliche in Delmenhorst und Oldenburg wegen des Verdachts des Totschlags durch Unterlassen.

Niels H. soll nach dem Willen der Ermittler ein weiteres Mal vor Gericht: "Es wird natürlich eine weitere Anklage geben", betonte Schiereck-Bohlmann. Das Verfahren werde alle Taten umfassen, die Niels H. noch nachgewiesen werden könnten. "Die rechtliche Konsequenz wird am Ende dieselbe sein: Lebenslänglich und besondere Schwere der Schuld. Daran wird sich nichts ändern."

Die Ermittlungen werden sich vermutlich noch bis ins nächste Jahr hinziehen: "Die Ermittlungen dauern so lange, bis wir das unselige Wirken des Niels H. komplett aufgeklärt haben", sagte der stellvertretende Leiter der Oldenburger Staatsanwaltschaft, Thomas Sander. Es werde "jeder Stein umgedreht". (APA, dpa, 22.6.2016)