Es wäre verkehrt, den Ruf nach ökonomischer Entflechtung allein mit der Rückkehr zu hinterwäldlerischem Nationalismus gleichzusetzen.

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Dass knapp 52 Prozent der Briten für den Austritt ihres Landes aus der EU gestimmt haben, kann auch als Absage an zunehmende Komplexität beziehungsweise Nichtsteuerbarkeit ökonomischer Verhältnisse gesehen werden. Der Wunsch, wieder allein über Wirtschafts- und Sozialagenden bestimmen zu können, galt als wesentliches Movens der Austrittsbefürworter. Nicht von ungefähr wurde immer wieder das Bild der Insel bemüht, die stark genug sei, in der Welt zu bestehen.

Nun wäre es verkehrt, darin nur rückwärtsgewandten Nationalismus oder Wohlstandschauvinismus zu sehen – im Sinne einer Abschottung gegenüber den Zumutungen der Außenwelt. Es geht auch um die Rückkehr zu überschaubaren Verhältnissen, um Wiedergewinnung von Selbstwirksamkeit.

Nährboden für populistische Vereinfacher

Wohlfahrtsstaaten sind immer territorial gebunden. Sie schließen die Bürger innerhalb ihrer Grenzen ein und jene außerhalb dieser aus. Die Globalisierung der Ökonomie, die Transnationalisierung der Politik, die Zunahme der Arbeitsmigration und zuletzt die Flüchtlingsbewegungen aufgrund der sich verschärfenden Krisen am Rande der kapitalistischen Wohlstandszonen haben dieses Konstrukt des Sozialcontainers ins Wanken gebracht. Dazu kommen sinkende Wachstumsraten und eine steigende Staatsverschuldung, verschärft durch die von neoliberaler Politik verursachte Finanzkrise. All das bescherte uns eine große Vertrauenskrise in die Steuerungsfähigkeiten der politischen, aber auch ökonomischen Eliten. Gesprochen wird von einer "neofeudalen Wirtschaftsordnung" sowie dem Abgleiten in ein "postdemokratisches Zeitalter" à la Trump.

Die Digitalisierung hat die ökonomische Globalisierung nochmals beschleunigt. In den Schwellenländern winken nicht nur neue Absatzmärkte, sondern auch viele billige Arbeitskräfte. Zeiten des Umbruchs, gepaart mit Vertrauensverlust in die Eliten, sind immer ein fruchtbarer Nährboden für populistische Vereinfacher. Die Projektion der Ängste auf die Schwächsten, etwa Asylwerber oder Grundsicherungsbezieher, gilt als bekannte und leider immer wieder fruchtbare Strategie, wird der Realität aber nicht gerecht. Gefragt sind neue Wohlstandsmodelle.

Neue Wohlstandsmodelle

Handel lässt sich über Verträge regeln. Freilich verbunden mit Opportunitätskosten, die den Wirtschaftseliten ein Dorn im Auge sind. Gefährlicher für die EU sind hinsichtlich der Beispielwirkung des Brexit Fragen wie der Niederlassungsfreiheit, des solidarischen Finanzausgleichs sowie des kooperativen Umgangs mit Migration, was aber auch bisher keineswegs zufriedenstellend gelingt.

Verkehrt wäre es aber, den Ruf nach ökonomischer Entflechtung allein mit der Rückkehr zu hinterwäldlerischem Nationalismus gleichzusetzen. Globalisierung nach neoliberalen Vorzeichen war für die Länder des Südens – wie mittlerweile auch der IWF eingesteht – nur in den seltensten Fällen von Vorteil für deren Volkswirtschaften. Profitiert haben in der Regel nur wenige. Alternative ökonomische Entwicklungsmodelle, die verstärkt auf Regionalität sowie auf eine krisenfeste Geldordnung setzen, sind nicht nur aus ökologischen Gründen geboten, sondern auch aus sozialen und demokratiepolitischen.

Wirtschaften in kleineren Einheiten

Denkbar wären plurale Ökonomien mit selektiver Weltmarktintegration, in denen die Befriedigung der Basisbedürfnisse in den Vordergrund tritt. Die Versorgung mit den Grundgütern des täglichen Bedarfs könnte demnach wieder in die Regionen zurückverlagert werden. Der "Petropolis" der globalisierten Versorgungsstrukturen auf der Basis billigen Erdöls würde die "Ecopolis" mit radikal verkürzten Transportwegen folgen.

Demnach ist der Brexit nicht das Ende von Entwicklung, sondern könnte zum Signal für ein Wirtschaften in kleineren Einheiten werden. Global agierende Großkonzerne sowie ihr Pendant, die globalen Kapitalmärkte, würden an Bedeutung verlieren. Die Landschaft vieler Klein- und Mittelbetriebe würde erblühen. Wirtschaftsdemokratie würde in diesem Sinne auch bedeuten, dass wir als Bürger und Bürgerinnen wieder verstärkt regionale Produkte kaufen. Das hat nichts mit Nationalismus zu tun, sondern fördert Resilienz und Nachhaltigkeit. (Hans Holzinger, 27.6.2016)