Von einer Persönlichkeit wie Tony Blair war nichts anderes zu erwarten, als dass er sich vom am Dienstag veröffentlichten Bericht zur britischen Beteiligung am Irak-Krieg 2003 "völlig entlastet" fühlt: Demnach habe er nicht gelogen und getäuscht. Nur schlechte Politik gemacht. Aber da das nicht vor Gericht klagbar ist, haben die Angehörigen der im Irak gefallenen britischen Soldaten wenig Chancen auf juristische Wiedergutmachung. Es ist ja nichts Neues, dass, wie der Chilcot-Bericht aussagt, die Begründung der Irak-Invasion auf rechtlich tönernen Füßen stand – kein Uno-Sicherheitsratsmandat, konstruierte Vorwürfe, für die sogar gefälschte "Beweise" herangezogen wurden. Aber zur Rolle des damaligen britischen Premiers liefert er neue und erstaunliche Erkenntnisse.

Nahost-Experten, die damals von der britischen Regierung konsultiert wurden, glaubten stets, dass Blair schlicht beratungsresistent war und Argumente gegen den Krieg einfach nicht zur Kenntnis nahm. Aber tatsächlich handelte er damals wider besseres Wissen: Er selbst brachte gegenüber US-Präsident George W. Bush Einwände vor; er wusste um die Gefahren während und nach der Invasion. Da er aber Bush nun einmal versprochen hatte mitzumachen, blieb er auch dabei – gegen den Rat seiner Mitarbeiter. Er war nicht Bushs Pudel, sondern sein treuester Soldat.

Es wird Leute geben, die dieser Charaktereigenschaft etwas abgewinnen können. Als Regierungschef, der Kriegsentscheidungen trifft, wünscht man sich so eine Person nicht.

Das britische militärische Engagement dauerte von 2003 bis 2011 (wenngleich nach 2009 auf niedrigem Niveau) – aber gerade in diesen Tagen ist medial von einer "Mission Creep" die Rede, denn auch Großbritannien hat, wie die USA, längst seine Spezialkommandos im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) im Einsatz. Die Existenz des IS ist eine der unvorhergesehenen direkten Folgen von 2003. Der Jihadismus bekam gleich zwei Daseinsberechtigungen: die Präsenz der fremden Invasoren sowie – nachhaltiger – den politischen Aufstieg der Schia im Irak und den Aufschwung des von seinem Erzfeind Saddam Hussein befreiten Iran.

Als Blair 2007 als Premier abtrat, war der Irak schon inmitten seines (ersten) Bürgerkriegs. Falls der Premier sich erwartet haben sollte, dass die Gefolgschaft den Briten politisches Gewicht im Irak bringen würde, hatte er sich gründlich getäuscht: Die wichtigen Entscheidungen – teilweise katastrophal, wie die Auflösung der irakischen Armee – wurden im Pentagon gefällt. Die irakische Verfassung wurde in der US-Botschaft geschrieben.

Angesichts der wachsenden Probleme der USA verwiesen die frustrierten Briten gerne darauf, dass sie den Irak doch viel besser kannten als die Amerikaner: Sie hatten ihn schließlich nach dem Ersten Weltkrieg geschaffen. Tatsächlich war es im britisch verwalteten Süden, wo es weniger sunnitischen Extremismus gab, anfangs viel ruhiger als weiter nördlich.

Als sich die Schiiten radikalisierten, rutschte auch der Süden ins Chaos, und aus den USA kamen spöttische Befunde über die Performance der britischen Armee: Sie sei "in Wagenburgen verschanzt, um die die Indianer tanzen". London schoss zurück, die "Special Relationship" war angekratzt. Da saß Blair bereits auf dem wohlbestallten Posten des Nahostquartett-Emissärs: Aber das ist wieder die Geschichte eines anderen Desasters. (Gudrun Harrer, 6.7.2016)