Einer der beiden Tiger, die während der Aktion "Flüchtlinge fressen" in einem gläsernen Käfig vor dem Maxim-Gorki-Theater in Berlin gezeigt wurden. Mit dem Schauspiel verglich das ZPS das Zusehen beim Ertrinken von Menschen im Meer mit Gladiatorenkämpfen.

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Cesy Leonard: "Wir sind da, um böse, scharfe und künstlerische Akzente zu setzen, nicht für Parteiarbeit."

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Mit dem Zentrum für politische Schönheit (ZPS) sorgt eine Aktivistengruppe seit 2008 mit teils sehr umstrittenen Aktionen für Aufsehen. Die Arbeiten oszillieren zwischen provokanten Fakes und bitterer Wahrheit. Mit Asche im Gesicht kämpft man als "Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit" für Menschenrechte. Da gibt es professionell gemachte Promotionfilme, etwa für das satirische Crowdfunding "Die Brücke", mit dem eine Brücke nach Afrika gebaut werden sollte, oder für die "Säulen der Schande", die westliche Mitverantwortung am Massaker in Srebrenica anprangern.

Die Aktion "Flüchtlinge fressen" richtete sich im Juni gegen jene Verordnung, die verhindert, dass Flüchtlinge sicher und billiger mit dem Flugzeug statt mit Schlepperbooten nach Europa reisen. Dabei drohten Flüchtlinge, sich von Tigern fressen zu lassen. Zum Abschluss am 28. Juni war ein Flug mit 115 Flüchtlingen nach Berlin geplant, den Air Berlin nach einer Intervention der Regierung stornierte. ZPS-Frau Cesy Leonard erzählt, wie es dazu kam.

STANDARD: Hat Sie die Stornierung des Fluges nach Berlin überrascht?

Cesy Leonard: Dass die Maschine leer kommen muss, hätte ich erwartet, nachdem Tage davor die Abschaffung des verantwortlichen Paragrafen im Bundestag nicht gelungen ist. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass die Fluggesellschaft kündigt, da wir einen rechtsgültigen Vertrag hatten.

STANDARD: Wie geht es mit diesen 115 Flüchtlingen nun weiter?

Leonard: Sie werden mithilfe des ZPS Klage gegen die deutsche Bundesregierung einreichen, um im Wege des Eilverfahrens doch noch eine Einreiseerlaubnis zu erhalten. Sie werden bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Der Innenminister ist nach Paragraf 18 Absatz 4 des Asylgesetzes berechtigt, Flüchtlinge aus humanitären Gründen die Einreise zu erlauben. Aufgrund ihrer Notlage ist der Entscheidungsspielraum der Bundesregierung auf null reduziert.

STANDARD: Was war der Anstoß für die Gründung des ZPS?

Leonard: Man kommt nicht an der Beschäftigung mit unserer eigenen Geschichte vorbei, an diesem Schwurspruch "Nie wieder Auschwitz". Dann schaut man in die jüngere Geschichte: Ruanda passiert, Bosnien passiert, die Weltbevölkerung lässt es geschehen. Dem etwas entgegenzusetzen war ein Antrieb.

STANDARD: Ihnen wird vorgeworfen, den Holocaust durch Vergleiche zu relativieren.

Leonard: Die Haltung mancher ist: Das Böse an sich ist der Holocaust, und alles, was danach kommt, ist nicht mehr so schlimm. Wenn man sich anguckt, was etwa in Aleppo passiert, ist das fatal. Ich glaube nicht, dass Vergleiche das andere mindern. Ich glaube, so was sagen Leute, die Begriffe nehmen, sie völlig aus dem Kontext ziehen, sodass es nur mehr um den Begriff geht, den man auf keinen Fall verwenden darf.

STANDARD: Warum haben Holocaustüberlebende eine Ihrer Aktionen aktiv unterstützt?

Leonard: Weil wir mit dem Projekt Kindertransporthilfe des Bundes 55.000 Kinder aus Syrien nach Deutschland holen wollten – angelehnt an die Kindertransporte jüdischer Kinder nach England in den 1930er-Jahren.

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STANDARD: Die Aktion wurde von vielen für eine Initiative der Bundesregierung gehalten, scheiterte aber. Wieso?

Leonard: Für mich war das ein moralischer Irrgarten. Die Wahl zwischen Pest und Cholera. Wer würde sein Kind freiwillig wegschicken? Welcher normale Staat würde ernsthaft sagen, die Eltern müssen zurückbleiben im Kriegsgebiet? Trotzdem ist es besser als gar nichts, Kinder zu retten. Es war auch spannend zu sehen, wie die deutsche Gesellschaft reagierte. Den Vater sieht man vielleicht als Terroristen, die Mutter mit Kopftuch lässt man auch nicht so gerne rein, aber Kinderaugen funktionieren. Das hat uns einen Spiegel vorgehalten. Es war einfach bitter. Menschen droht der Tod, man hätte die Möglichkeit zu helfen und tut es nicht.

STANDARD: Die Resonanz war positiv.

Leonard: Da haben wir einen Kern getroffen. Ich war bei "Stern-TV" und merkte, wir sind im Mainstream angekommen. Die schwäbische Hausfrau findet das auch gut. Das ist nicht mehr provokant.

STANDARD: Ihre Arbeit erinnert an Christoph Schlingensief. Zufall?

Leonard: Nein, ich war von klein auf Fan von ihm. Wegen Christoph wollte ich Theater machen.

STANDARD: Auch er konnte viele Aktionen deswegen machen, weil sie als Theater angemeldet wurden.

Leonard: Das war seine Eintrittskarte, um überhaupt das finanzieren zu können, was er machte. Man braucht immer eine Schublade, in die man gesteckt wird. Diese Theaterverortung hilft uns natürlich auch. Nicht nur, dass wir gerne Theater machen – im wörtlichen Sinne von Aufruhr -, es ist auch hilfreich, dass wir dadurch angedockt sind.

STANDARD: Im ZPS-Kernteam kommen aber nicht alle aus der Kunst.

Leonard: Philipp Ruch und André Leipold haben beide Politik und Philosophie studiert, ich komme aus dem Theaterbereich, und Stefan Pelzer hat eine Sprachschule in Berlin und ein Unternehmen, das Festivalgäste mit dem Bus herumfährt. Er war schon immer Aktivist – aus der Ecke des Chaos-Computer-Clubs (deutscher Hacker-Verein, Anm.).

STANDARD: Ihre Aktionen erinnern ein bisschen an die Aktivistengruppe The Yes Man aus den USA, sind aber doch radikaler. Hatten Sie rechtlich schon richtige Probleme?

Leonard: Wir wurden tatsächlich noch nie verhaftet. Ich glaube, das ist die Öffentlichkeit, die uns schützt. Das liegt auch an dem tollen deutschen Staat, dass man viel machen kann, dass man noch viel mehr machen könnte. Es gibt bürokratische Hürden, aber keine Verhaftungen. Und wir haben gute Anwälte, mit denen wir das vorher abklären.

STANDARD: Was sagen Sie zu der Kritik, dass Sie Fördermittel auch durch Festivals bekommen?

Leonard: Damit haben manche Probleme. Bei der Aktion "Erster Europäischer Mauerfall" musste sich Gorki-Intendantin Shermin Langhoff davon distanzieren, dass sie uns mitfinanziert hat.

STANDARD: Bei der Aktion warf man Ihnen vor, die Mauertoten der DDR nicht ernst zu nehmen, weil Sie die Mauerkreuze abmontierten und lebenden Flüchtlingen an Europas Grenzen in die Hand drückten.

Leonard: Interessant war, dass das Verschwinden der Kreuze zwei Tage in Berlin gar niemandem aufgefallen war. Wenn ich über die Aktion in Süddeutschland spreche, sind da keine, im Osten und Berlin aber große Wunden. Da merkt man, wie das, was vor der eigenen Haustür passiert, mehr wehtut. Es tut mir dann auch leid, jemanden verletzt zu haben. Aber natürlich ist das Weiterdenken nach dem Gedenken essenziell nötig. Wieso sollen die einen Toten mehr wert sein als die anderen?

STANDARD: Verhindert der öffentliche Diskurs das Weiterdenken?

Leonard: Ich glaube eher, dass das im Menschen steckt, dass er etwas als Geschichte abschließen will und sagt: Heutzutage würde das nie passieren, denn wir sind so humanistisch. Dabei waren die Menschen damals wie heute gleich. Das zu begreifen, ist eine Transferleistung der Kunst. Wenn wir uns die Genfer Flüchtlingskonvention von 1947 nicht nur auf die Fahnen schreiben, sondern wirklich danach leben, nur dann haben wir aus der Geschichte gelernt. Aber wie hat Thomas Fischer, der Bundesrichter, so schön gesagt: "Wir sind das Fettauge auf einer Suppe voll Armut."

STANDARD: Ihre öffentlichkeitswirksamste Aktion war "Die Toten kommen" mit einem Gräberfeld vor dem Bundestag. Wenige Wochen danach wurde der Lkw mit toten Menschen in Österreich entdeckt ...

Leonard: Es war pervers, wie eine Aktion als zynisch und widerlich beschimpft wird und die Realität sie kurz nachher doppelt und dreifach einholt.

STANDARD: Das war auch kurz bevor Angela Merkel die Grenzen öffnete. Fühlen Sie sich dafür mitverantwortlich?

Leonard: Auf jeden Fall. Wenn die Politik sieht, dass man innerhalb von Tagen 10.000 Leute auf die Straße bringt mit seiner Haltung, dann ist das schon ein Stimmungsbarometer, das Politiker dazu bringen kann, ein bisschen mutiger zu sein. Umgekehrt ist es traurig, dass ein paar Pegida-Demonstranten, die in den Medien viel gezeigt werden, genauso viel Einfluss in die andere Richtung haben. Dann reden plötzlich christliche Parteien von Grenzschließungen und Obergrenzen.

STANDARD: Bewirken Sie Aha-Erlebnisse oder nur Provokation?

Leonard: Vielleicht beides. Was ich spannender finde, ist, Leute dahin zu bewegen, eine Person als schuldig auszumachen. Also zu sagen: Ja, die Welt ist komplex, aber trotzdem gibt es da eine handelnde Person, die etwas anders machen könnte, und die können wir adressieren.

STANDARD: Ihre Aktion "Belohnung: 25.000 Euro" hatte zur Folge, dass ein Manager sich aus dem Vorstand des Rüstungsunternehmens Krauss-Maffei Wegmann zurückzog.

Leonard: Wir haben damals die Hauptanteilseigner konfrontiert, das sind zwei Familien. Herr Burkhart von Braunbehrens, der bei den 1968ern aktiv war und dann halt später sehr einfach Millionen verdienen konnte, schied dann wirklich freiwillig aus. Ich habe mich bei ihm gefragt, wie kann man eine Waldorfschule besucht haben und dann Waffenhändler werden? Er war dort Schüler, eine andere Frau im Vorstand war dort sogar Lehrerin.

STANDARD: Sie erwähnten vorhin Pegida. Muss man dem Rechtspopulismus mehr aufklärerischen Populismus entgegensetzen?

Leonard: Vor kurzem gab es ein Europatreffen der Rechtspopulisten in Wien. Da wird einem schon übel zumute. Vielleicht hat unsere nächste Aktion damit zu tun.

STANDARD: Ein linkspopulistisches Vernetzungstreffen Europas?

Leonard: Das ist nicht so unser Ding. Wir sind da, um böse, scharfe, künstlerische Akzente zu setzen, nicht für Parteiarbeit. (Colette M. Schmidt, 9.7.2016)