Viele Menschen wünschen sich ein Einfamilienhaus mit Garten und Pool – besonders ausgeprägt ist der Traum laut Expertin im Silicon Valley. Ein Einfamilienhaus kostet im Durchschnitt fast eine Million Dollar.

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"Moderne Wohnbedürfnisse sind kaum erforscht", sagt Andrea Jany.

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Die Wohnbauforscherin Andrea Jany lebt und arbeitet im Silicon Valley. Menschen aus der ganzen Welt ziehen hierher, um bei Google, Apple & Co zu arbeiten. Mittlerweile ist es einfacher, hier einen Job als eine Wohnung zu finden.

STANDARD: Vor kurzem wurde auf Airbnb ein Zelt in einem Garten im Silicon Valley für 899 Dollar pro Monat angeboten. Ein guter Deal?

Jany: Die Situation hier ist extrem. Die lokale Bevölkerung kann sich das Wohnen oft nicht mehr leisten, weil die Mieten jährlich im Durchschnitt um zehn Prozent steigen. Auch die Grundsteuer wird durch den steigenden Immobilienwert stetig teurer und drängt Menschen zum Umzug. Die steigenden Preise liegen daran, dass Menschen aus der ganzen Welt hierherziehen, um bei IT-Unternehmen zu arbeiten. Der Mittelstand wird so verdrängt und die Verkehrssituation zur Katastrophe: Die Menschen sitzen bis zu drei Stunden am Tag im Auto, um an ihren Arbeitsplatz und zurück zu kommen. Das gipfelt beispielsweise in einem Lehrermangel in Palo Alto, weil sich die Lehrer das Wohnen dort nicht mehr leisten können. Und es gibt Busfahrer, die in ihrem Auto auf dem Busparkplatz schlafen, weil sie in der Nähe keine Wohnung von ihrem Gehalt bezahlen könnten.

STANDARD: Was ist schwieriger: hier einen Job zu finden oder eine Wohnung?

Jany: Der Job ist bei der richtigen Qualifikation nicht die Herausforderung. Aber in puncto leistbaren Wohnens muss ein größerer Plan her, und der ist nicht in Sicht. Es gibt nicht einmal eine Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Orten. Das Silicon Valley wird nur von außen als Einheit wahrgenommen. Und Wohnungen werden noch knapper: Allein Google und Apple wollen in den nächsten Jahren 25.000 neue Arbeitsplätze schaffen.

STANDARD: Wie groß ist das Problembewusstsein mittlerweile?

Jany: Bei der Politik nicht sehr groß. Bei einer Veranstaltung wurde vor kurzem der frühere Bürgermeister von Mountain View dazu befragt, was er von Airbnb hält. Denn auf dieser Plattform lässt sich mit kurzfristigen Angeboten eine noch bessere Miete erzielen. Er sagte: "Na ja. Ich habe mir das mal angeschaut. Diese Dinge kommen und gehen."

STANDARD: Welche Objekte werden überhaupt gesucht?

Jany: Der Traum vom Einfamilienhaus ist auch hier sehr präsent. Jeder möchte ein freistehendes Haus mit Garten und Pool. Die Wohndichte ist daher entsprechend niedrig.

STANDARD: Was könnte das Silicon Valley von Österreich lernen?

Jany: Ich habe bei einer Veranstaltung in Stanford unlängst gezeigt, auf welcher Fläche 2000 Bewohner in Palo Alto wohnen – und in Graz. Die Fläche in Graz ist 20-mal kleiner. Im Vorfeld zur Diskussion meinte eine Teilnehmerin zu mir: "Wir Amerikaner sind in den Westen gezogen, weil wir die Freiheit so lieben." Aber ich habe ihr erklärt: "Es ist nicht Freiheit, wenn man überallhin mit dem Auto fahren muss. Wenn ich die Wahl habe – das ist Freiheit." Nach dem Vortrag sagte sie: "Das hat mich zum Umdenken gebracht."

STANDARD: Aber wie könnte Nachverdichtung hier überhaupt funktionieren?

Jany: Das ist schwierig. Das Phänomen "Nimby" – "not in my backyard" – ist hier besonders stark. Die Menschen sagen: "Die Situation für Wohnungssuchende ist furchtbar." Aber gleichzeitig wollen sie verdichteten Wohnbau nicht in ihrem Hinterhof. Das ist die Mentalität hier: Die Menschen haben sich das Einfamilienhaus hart erarbeitet, die anderen müssen schauen, wo sie bleiben. Im Rest von Amerika hat man ja auch wahnsinnig viel Platz, aber das Silicon Valley ist eingeschlossen von der Bay auf der einen und einer Bergkette auf der anderen Seite.

STANDARD: Sie regen an, dass sich das Silicon Valley als Innovationsstätte nicht nur für Technologie, sondern auch für Wohnbau hervortun soll. Wie?

Jany: Wir haben noch immer die klassischen Wohnbilder im Kopf – aber die modernen Wohnbedürfnisse sind kaum erforscht. Man könnte untersuchen, wo sich die Menschen in ihrer Wohnung überhaupt wie lange aufhalten, und das mit der Technologie aus dem Silicon Valley – Apps zum Beispiel – erheben. Die Menschen hier verbringen sicher 70 bis 80 Prozent ihres Tages außerhalb ihrer Wohnung. Machen da die großzügigen Wohnflächen überhaupt Sinn? Das Paradoxe ist, dass es einerseits einen massiven Mangel an Wohnflächen gibt – und andererseits jene, die sie sich leisten können, nur ganz wenig zu Hause sind.

STANDARD: Wie rasch fällt man aus dem System?

Jany: Ein Jobverlust erfordert hier aufgrund der hohen Lebens- und Wohnkosten schnelle Entscheidungen: Ein neuer Job oder ein Umzug in günstigere Gebiete muss her, sonst droht Obdachlosigkeit. Daher gibt es beispielsweise eigene Internetseiten, über die man sich informieren kann, welches Auto sich am besten dafür eignet, darin zu schlafen. Örtliche Medien berichten immer wieder über Obdachlosencamps. Aber wenn man hier ankommt, erlebt man erst einmal die positive Einstellung der Amerikaner. Man muss genau hinhören und an der Oberfläche kratzen, um zu erkennen, welche fundamentalen Sorgen und Probleme die Menschen haben.

STANDARD: Wie sieht es mit sozialem Wohnbau hier aus?

Jany: Den gibt es. Es handelt sich um private Entwickler, die Geld von unterschiedlichen Organisationen bekommen. Das ist ein großer Unterschied zu Österreich, wo die Förderschienen klar sind. Hier müssen die Entwicklerfirmen immer wieder zu Stadt, Land, öffentlichen Stellen gehen und um Geld betteln. Ein offizielles Budget gibt es nicht. Die Geldgeber machen dann Vorgaben, was wie damit umgesetzt werden muss. Das muss der Entwickler dann alles unter einen Hut bringen.

STANDARD: Und wie sieht das Resultat dann aus?

Jany: Ich war vor kurzem in einem sogenannten Affordable-Housing-Projekt. Das ist durchaus mit dem vergleichbar, was bei uns gebaut wird. Baukonstruktion und Ausstattung sind aber nicht so hochwertig wie bei uns. Im Badezimmer gibt es beispielsweise keine Fliesen, sondern einen PVC-Belag. Was ich aber gut finde: Es gibt große Gemeinschaftsräume, beispielsweise mit Tischtennistisch und kleiner Bibliothek. Und in den Projekten gibt es Sozialarbeiter, die teils sogar dort wohnen und – je nach Bedarf – unterschiedliches Rahmenprogramm anbieten.

STANDARD: Und wie sieht man Österreich, wenn man zu Wohnbau im Silicon Valley forscht?

Jany: Wie immer, wenn man vom Ausland aus auf Österreich blickt: Die allgemeine Lebens- und Wohnsituation in Österreich gewinnt einen hohen Stellenwert. Österreich ist im Vergleich in einem nahezu glückseligen Zustand – trotz der Herausforderungen, die wir zweifelsohne haben. (17.7.2016)