Betty Davis, das Nasty Gal des Funk. Ihre Aufnahmen mit Miles Davis wurden jetzt veröffentlicht.

Light In THe Attic

Wien – Als ihr Debütalbum erschien, war ihre Ehe mit Miles Davis längst geschieden. Nur sein Nachname war ihr geblieben. Als Betty Davis veröffentlichte sie zwischen 1973 und 1975 drei Alben, die einen Mythos begründen sollten. Das 1976 eingespielte "Is It Love Or Desire" erschien erst 2009, aber da war sie längst ein Kultstar.

Betty Davis ist eine Naturgewalt. 1945 in North Carolina als Betty Mabry geboren, ist sie auf der Ranch ihrer Großmutter aufgewachsen. Dort hörte sie im Radio den Blues und begann, Songs zu schreiben. Oma hatte sie zu einem selbstbewussten Mädchen erzogen, das mit 16 in die große Stadt aufbrach.

In New York studierte sie Mode und absorbierte die Gegenkultur der 1960er. Sie wurde Model, betrieb einen Club und zog mit Typen wie Jimi Hendrix, Santana oder Sly Stone durch die Nächte. Musik war überall, zwei Singles hat sie damals aufgenommen, sie tanzte gern und sah unverschämt gut aus. Irgendwann lernte sie Miles Davis kennen.

Kein kleines Mädchen

Der Jazz-Titan war damals abgemeldet von neuen Trends, Betty jung und wild und mittendrin. Er verfiel ihr und heiratete sie 1968. Davis war über 40, sie 23 und selbstbewusst. Als Miles ihr gestand, er stünde auf kleine Mädchen, meinte sie, sie sei vieles, nur kein kleines Mädchen.

Miles tauchte in ihre Welt ein und überredete sie, ein Album aufzunehmen. Er mietete dasselbe Studio, in dem er "Kind Of Blue" aufgenommen hatte. Dann läuteten bei Herbie Hancock, Harvey Brooks, Billy Cox, John McLaughlin, Mitch Mitchell, Wayne Shorter und Larry Young die Telefone, sie mögen doch bitte ihre kühlen Ärsche ins Studio bewegen. Unter Mithilfe dieser Größen entstanden Aufnahmen, die jetzt nach fast 50 Jahren veröffentlicht wurden: "Betty Davis – The Columbia Years 1968–1969" (Vertrieb: Hoanzl).

Der Trailer zum Album "Betty Davis – The Columbia Years 1968–1969" – im Vertrieb bei Hoanzl.
Light In The Attic Records

Das Label "Light In The Attic" hat die Bänder aufgestöbert und einige der an den Aufnahmen beteiligten Musiker und Betty Davis interviewt. Die Gespräche finden sich im Booklet der Veröffentlichung wieder und geben Einblick in eine kulturell und gesellschaftlich aufregende Zeit.

Sexy und lasziv

Offen bleibt, warum aus den Demos keine geschliffenen Aufnahmen wurden, kein Album daraus entstanden ist. Manche vermuten, Miles Davis sei eifersüchtig gewesen, hätte Angst gehabt, Betty könnte ein Star werden und ihn überflügeln. Der Gedanke lässt sich angesichts ihrer Kunst durchaus nachvollziehen.

Zu hören ist ein minimalistischer, knochentrockener Funk, bei dem Miles neben Teo Macero hinter dem Mischpult gesessen ist und Input geliefert hat. Seine rauchige Stimme ist zwischen den Takes öfter zu hören, der Rest ist Betty. Ein Rohdiamant, der instinktiv das Richtige macht, die Lyrics lässig in die Musik bettet, die Tempi schleifen lässt, den Songs, mit Kaugummi im Mund, Sexiness und Laszivität verleiht. Eine Disziplin, die sie später perfektionierte, in Songs wie "Nasty Gal", "Don’t Call Her No Tramp", "He Was a Big Freak" oder "Talkin Trash", Meisterwerke allesamt.

Indigo lloyd

In der Session mit Miles nahm sie den Cream-Song "Politician Man" und "Born On The Bayou" von CCR auf, beide erleben im Funkkostüm eine atemberaubende Wiedergeburt. Den Rest hat sie geschrieben. "Hangin’ Out" behandelt ihr Leben in New York mit all den wilden Cats, die um sie herumschnurren. Larry Young drückt aus seiner Orgel Stromstöße, Harvey Brooks fährt auf dem Bass Achterbahn. Ein einziger Song aus der Session wurde damals probehalber veröffentlicht: "Live, Love, Learn" – es ist der Einzige, der nicht viel kann.

Dass das Label Columbia für Rhythm and Blues kein Händchen hatte, zeigte sich zu der Zeit auch bei Aretha Franklin, die erst ein Star wurde, als sie zu Atlantic kam. Doch vielleicht war Davis’ Musik einfach zu explizit, zu heavy. Ihre späteren Alben erlauben diesen Schluss.

Boykottiert und diffamiert

Miles würdigte sie auf seinem Album "Filles De Kilimanjaro". Bettys Antlitz ziert das Cover, das Stück "Mademoiselle Mabry" ist ihr gewidmet. 1971 ging sie als Model nach London, dann nach L. A., wo sie Alben aufnahm, die vom Radio boykottiert und von religiösen Fanatikern diffamiert wurden.

Ende der 1970er verschwand sie, galt als verstorben, lebte zurückgezogen in Pittsburgh. Im Zuge diverser Wiederveröffentlichungen gab sie selten Interviews, neue Bilder gibt es keine. Doch das ändert sich nun gerade.

Ein Manifest gewordener Song – Betty Davis singt "F.U.N.K."
Serge Parent

2017 soll mit ihr die Doku "Nasty Gal" erscheinen. Diese könnte ihr nicht nur späte Anerkennung widerfahren lassen, sie wird hoffentlich den Mythos Betty Davis erhellen und informieren, was dieses Talent in den letzten 35 Jahren getan hat. Bis dahin kann man sich mit "Betty Davis – The Columbia Years 1968–1969" schon einmal ein- und warmhören. (Karl Fluch, 19.7.2016)