Wien – "An Tagen wie heute kommen die Leute nicht in den Böhmischen Prater", sagt Franz Reinhardt. Der 68-jährige Schausteller wirkt ein wenig müde. Er steht am Blumenrad, einer seiner Attraktionen auf dem Rummelplatz in Wien-Favoriten. Die potenziellen Gäste, so meint Reinhardt, sind bei Temperaturen um die 30 Grad alle im Schwimmbad. Und tatsächlich: Nur vereinzelt sind Touristen und Eltern mit ihren Kindern unterwegs.

Franz Reinhardt und der Böhmische Prater im Video.
derStandard.at

Die glorreichen Zeiten des Böhmischen Praters in Wien sind wahrlich vorbei: Bis in die 1990er-Jahre boomte er noch. Seinen Namen hat er von den "Böhmen", die Ende des 19. Jahrhunderts in den Favoritner Ziegelwerken arbeiteten. Zunächst wurde ein Kiosk eröffnet, später kam ein zweites hinzu. Und irgendwann wurde das erste Fahrwerk aufgestellt. Davon zeugt auch heute noch ein denkmalgeschütztes Ringelspiel, um das sich Legenden ranken: 1890 soll es von Kaiser Franz Joseph eröffnet worden sein. Heute jedoch steht es zum Verkauf, denn Inhaber Karl Mayer geht demnächst in Pension. Kostenpunkt: 599.000 Euro inklusive Einfamilienhaus mit Pool.

"Die Zeit war ganz anders. Die Leute haben nicht so viel auf Urlaub fahren können, sie haben dafür für den Böhmischen Prater mehr Geld gehabt", blickt Reinhardt auf die Zeit vor dreißig, vierzig Jahren zurück. Heute könne man sich das Leben gar nicht mehr leisten. "Die Leute haben die Kinder früher drei-, viermal mit demselben Gerät fahren lassen. Heute kommen s' vorbei: Du hast insgesamt fünf Fahrten, such dir was aus."

Trinkgeld aufgebessert

Reinhardt hat bereits als Bub viel Zeit hier verbracht. Er habe sich beim Aufstellen der Kegel ein Trinkgeld verdient, erzählt er. Als er 38 war, ergab sich schließlich die Möglichkeit, ins Fahrgestellgeschäft einzusteigen. Reinhardt wird ein bisschen nostalgisch und blüht auf, wenn er über die alten Zeiten spricht. Er zeigt Bilder von damals, als hier alle noch versammelt waren: Jazz Gitti, der ehemalige Bürgermeister Helmut Zilk oder Otto Wanz.

Heute beschreibt er den Böhmischen Prater als Familienprater: "Eltern kommen mit ihren Kindern. Für Jugendliche haben wir fast nix." Besonders hebt er das angrenzende Erholungsgebiet am Laaer Berg hervor: "Es gibt einen Wanderweg für Kinder, wo die Bäume und Sträucher erklärt werden."

Zielgruppe sind in erster Linie Familien mit Kindern.
Foto: Michael Luger

Neben dem Riesenrad – ein Panoramarad mit Ausblick über ganz Wien – betreibt Reinhardt ein Kaffeetassen-Karussell, eine Kinderautobahn und einen kleinen Kiosk. "Ich lebe und liebe den Böhmischen Prater", fasst er zusammen. Und solange er lebe, will er hier auch weiter tätig bleiben.

Neben den Reinhardts gibt es weitere Familienbetriebe im Böhmischen Prater, etwa die Geisslers, die die sogenannte Raupe betreiben – das Ringelspiel ist ebenfalls über 100 Jahre alt. Dennoch habe sich das Unternehmertum stark gewandelt: "Jetzt sind nur mehr vier Familien da. Es gibt nämlich einen neuen Großschausteller. Der hat fast schon den halberten Böhmischen Prater aufgekauft. Das wird sich aber auch wieder einrenken", seufzt Reinhardt. Wieder eine Gelegenheit, sentimental zu werden: "Die Zeit ist ganz anders, die Kinder haben andere Interessen. Heute haben sie ihre Computer. Der steigt ins Riesenradl ein und tut noch immer spielen." Oft würden die Eltern auch motivierend sagen: "Fahren wir einmal!" – die Kinder aber wollten gar nicht.

Touristen aus Tschechien

Trotzdem blickt Reinhardt optimistisch in die Zukunft. Er ist sich sicher, dass alles so "weiterlaufen wird, da wird nicht viel Veränderung sein". Die Besucher seien schon als Kinder hier gewesen und brächten nun die eigenen Kinder mit.

Ein ewiger Kreislauf? Fast kommt einem das so vor, wenn Reinhardt erzählt, dass in letzter Zeit auch immer mehr Gäste aus Tschechien kommen. Zwar nicht als Gastarbeiter, sondern Touristen, Geld ließen sie aber trotzdem hier. (Text: Rosa Winkler-Hermaden, Video: Michael Luger, 19.7.2016)