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Nusra-Kämpfer im vergangenen Frühjahr in Al-Ais in der Provinz Aleppo

AP /Twitter-Seite der Nusra-Front

Damaskus/Wien – Die meisten Analytiker werten den Schritt der syrischen Nusra-Front und ihrer Mutterorganisation Al-Kaida, sich zu trennen, als geschickte Taktik, die auch die US-Politik in Syrien einmal mehr durcheinanderbringt. Nur eine Minderheit – etwa die Leitartikler von Al-Monitor - meint, dass die "Verzweiflung" die Gruppe um den Jihadisten Abu Mohammed al-Jolani zu dieser Loslösung getrieben hat, und sieht darin eine Bestätigung der von Washington gesetzten Priorität: der Bekämpfung des jihadistischen Terrorismus.

Gemeinsam haben alle Analysen, dass sie der Nusra-Front – die nun Fatah-Front (Jabhat Fatah al-Sham) heißen will – nicht abkaufen, dass sie sich wirklich ideologisch umorientiert. Sie hat nicht mit Al-Kaida gebrochen, sondern sich einvernehmlich, von Al-Kaida abgesegnet, von dieser getrennt.

Image als "genuin syrisch"

Nusra/Fatah hat heute dieselben Ziele für Syrien wie vor der Trennung, nämlich ein islamisches Emirat. Vom "Islamischen Staat" unterscheidet sie sich vor allem durch die Methoden und durch ihr größeres Geschick, lokale Allianzen aufzubauen. Darum war es auch wichtig für sie, das Image loszuwerden, nicht genuin syrisch zu sein. Auch wenn man es ihr außerhalb von Syrien nicht abnehmen wird, innerhalb von Syrien mit seinen verzweifelten Menschen kann sie damit punkten.

Die USA werden vor der "Falle" gewarnt, indirekt mit Nusra/Fatah zu kooperieren, indem sie Gruppen unterstützen, die nunmehr nicht mehr nur stillschweigend, sondern ganz offen mit Nusra/Fatah zusammenarbeiten. Das geschieht etwa gerade bei der Offensive im Süden von Aleppo, wo sich die Rebellen zusammengeschlossen haben, um die Umzingelung des Regimes zu durchbrechen.

Russisch-amerikanische Vereinbarung

Aber die USA sitzen ja bereits in der Falle: Sie werden ihre "moderaten" Gruppen, die sich mit Nusra/Fatah vermischen, ermahnen, aber sie werden sie nicht sonderlich abstrafen und schon gar nicht angreifen: Denn das käme einer Parteinahme für das Assad-Regime gleich und ist unmöglich.

Der Schachzug von Al-Kaida kommt einer russisch-amerikanischen Vereinbarung zuvor, die unter anderem auch vorgesehen hätte, dass die USA in Syrien nicht nur den "Islamischen Staat", sondern auch die Nusra bekämpfen. Sie ist ja vom Uno-Sicherheitsrat als Terrororganisation gelistet, die, wie der IS, explizit von allen Waffenruheregelungen in Syrien ausgeschlossen ist.

Das Rebranding der Nusra, das seit längerer Zeit in der Luft lag, macht die geplante US-russische Koordination auf alle Fälle schwieriger. US-Außenminister John Kerry hatte eine Vereinbarung für August angekündigt – sich aber von Kritikern vorwerfen lassen müssen, zu sehr auf eine russische konstruktive Haltung zu vertrauen, das heißt Moskau und seinen Manövern auf den Leim zu gehen, derweil das Assad-Regime in aller Ruhe Aleppo zurückerobert. Die Verhandlungen ziehen sich seit langem.

Katar als Drahtzieher

Sollten sich diese US-Kreise darüber freuen, dass nun eine US-russische Verständigung vielleicht unmöglich wird, so ignorieren sie gleichzeitig den Schaden für Syrien, der entstehen wird, wenn die Nusra/Fatah, ohne sich selbst zu verändern, in den Mainstream rückt und nahöstliche Assad-Gegner-Länder sie zu unterstützen beginnen.

Die regionalen Staaten, die die Rebellen unterstützen, haben weniger Berührungsängste mit der jihadistischen Ideologie als der Westen und könnten die Scheidung – und die Fatah-Front als normale Rebellengruppe – akzeptieren. Besonders Katar wird ja sogar als Betreiber dieses Projekts gesehen. Nicht zufällig kommuniziert die Nusra-Front stets über den katarischen Sender Al Jazeera, auch ihre Trennung von Al-Kaida.

Als Pro-Argument wird oft Afghanistan angeführt: Auch dort sei man zur Einsicht gelangt, dass eine Befriedung nur möglich ist, wenn man mit den lokalen Taliban – einstmals Gastgeber von Al-Kaida und nach 9/11 von den USA gestürzt – ins Gespräch kommt.

Nusra-Front gefährlicher als IS

Säkulare Syrer finden diese Argumentation fatal: Anders als bei den erzkonservativen tribalen Paschtunen in Afghanistan und Pakistan sei in der Levante ein strenger Salafismus diesen Stils historisch völlig fremd. So einen Islam habe es in Syrien nie gegeben. Für den Westen sei das ein Lackmustest, sagt ein Syrer dem STANDARD: "Gilt im Westen vielleicht nur derjenige als Terrorist, der im Westen Attentate verübt – wer in Syrien Menschen terrorisiert und umbringt, ist keiner? Ist der Westen bereit, eine jihadistische Herrschaft über Syrien zu tolerieren?"

Die Syrien-Expertin Jennifer Cafarella (Institute for the Study of War) hält die Nusra-Front schon in einem Kommentar im vergangenen Februar für gefährlicher als den IS: " Nusra wird die Legitimität, die sie gewinnt, indem sie Seite an Seite der Opposition kämpft, nutzen, um Syriens Gesellschaft zu transformieren, bis sie Al-Kaida akzeptiert."

Produkt der Irak-Invasion

Im Schura-Rat der Nusra sitzen drei direkt vom Nachfolger Osama bin Ladens, Ayman al-Zawahiri, entsandte Mitglieder. Abu Mohammed al-Jolani ist ein Syrer, seine Hinwendung zum Terrorismus erfuhr er aber nach der US-Invasion im Irak 2003. Er schloss sich der 2004 gegründeten "Al-Kaida im Irak" an, deren 2006 getötetem Führer, dem Jordanier Abu Musab al-Zarqawi, er nahegestanden sein soll.

Auch der Auftrag zum Aufbau der Nusra-Front kam 2011 vom Chef der irakischen Al-Kaida, die damals "Islamischer Staat im Irak" hieß, aber bereits unter dem Kommando von Abu Bakr al-Baghdadi, dem späteren "Kalifen" des IS, stand. Jolanis und Baghdadis Bruch 2013 erfolgte nicht aus ideologischen Gründen, sondern im Streit um die Macht. (Gudrun Harrer, 2.8.2016)