Am häufigsten ist die schubförmig verlaufende Multiple Sklerose. Die meisten Medikamente wurde gegen diese Form der MS entwickelt – wie auch das neue Arzneimittel Cladribine.

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Wien/Darmstadt – In Österreich leiden etwa 12.000 Menschen an Multipler Sklerose (MS). Mit Beta-Interferon, Glatirameracetat, dem monoklonalen Antikörper Natalizumab und dem ursprünglich als Transplantationsmedikament entwickelten Fingolimod sind mehrere Medikamente auf dem Markt, die die Krankheit zwar nicht stoppen, ihr Fortschreiten aber verzögern können. Nächstes Jahr könnte eine zusätzliche Alternative kommen: das immunsuppressive Zytostatikum Cladribine.

Vor einigen Jahren scheiterte eine Zulassung durch die US-Arzneimittelbehörde FDA und der europäische Arzneimittelagentur EMA an nicht ausreichend vorhandenen Langzeitdaten. Am 14. Juli 2016 bestätigte die EMA die neuerliche Einreichung zur Registrierung einer niedrig dosierten Formulierung der Wirksubstanz 2-Chlor-2'-desoxyadenosin (2-CdA) in Tablettenform zur Behandlung der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose durch den deutschen Pharmakonzern Merck. Eine Zulassung könnte im nächsten Jahr erfolgen. Bisher ist das Medikament in Infusionsform zur Behandlung der Haarzell-Leukämie zugelassen.

Niedermolekularer Wirkstoff

MS dürfte eine Autoimmunerkrankung sein, bei der es zu einer Entzündungsreaktion im Gehirn kommt, die die Isolierschichten der Nervenbahnen (Myelin-Scheiden) so schädigt, dass "Kurzschlüsse" die Motorik immer mehr beeinträchtigen. Zwar werden nach akuten Schüben Regenerationsprozesse beobachtet, doch diese Re-Myelinisierung von Schäden bei Multipler Sklerose (MS) bleibt oft unvollständig. Damit kommt es oft zu einer Kumulation der Schäden.

Die häufigste Form ist die schubförmig verlaufende MS. Gegen das Auftreten dieser akuten Schübe wurden die meisten Therapieformen entwickelt. Sie wirken immunmodulatorisch, sollen also die fehlgeleiteten Autoimmun-Reaktionen in Gehirn und Rückenmark dämpfen.

Cladribin ist ein niedermolekularer Wirkstoff, der als falscher Baustein in Erbsubstanz (DNA, RNA) eingebaut wird und zum Abbruch der Stoffwechselabläufe sowie zum programmierten Zelltod (Apoptose) führt. Bei der Multiplen Sklerose werden dadurch relativ gezielt CD4-positive und CD8-positive T-Lymphozyten anvisiert, die stark auf diesen Mechanismus reagieren. Aber auch die B-Zellen werden im Laufe der Behandlung deutlich reduziert.

Kurze Therapiedauer

Dem nunmehrigen Zulassungsantrag liegen drei zum Teil verlängerte Studien mit einer Beobachtungszeit von bis acht Jahren zugrunde. Zwei von ihnen umfassen insgesamt mehr als 2.000 Patienten. Die Beobachtung von Wirkungen und Nebenwirkungen bezieht sich auf rund 10.000 Patienten-Jahre. Nach zwei Jahren stellte sich eine Verringerung der Schubrate im Vergleich zu der Verwendung eines Placebos um 58 Prozent heraus.

In Magnetresonanzuntersuchungen (MRT) ging das Ausmaß der entzündlichen Herde im Zentralnervensystem um etwa 80 Prozent zurück. Ein zusammengesetzter Index (NEDA-4) aus Markern aufgetretener Schübe, sich verstärkende Invalidität, Vorhandensein von im MR sichtbaren Läsionen und Einbußen an Gehirnvolumen verringerte sich um 44 Prozent im Vergleich zur Placebo-Gruppe.

In einer der Studien, die im New England Journal of Medicine im Februar 2010 erschienen ist, war vor allem von Blutbildveränderungen und Herpes Zoster als Nebenwirkungen die Rede. Ein Krebsrisiko durch die Therapie dürfte ausgeschlossen worden sein. Ein Vorteil könnte das angepeilte Therapieintervall darstellen: Fünf Tabletten an fünf Tagen, dann drei Wochen Pause, dann wieder fünf Tabletten. Nach einem Jahr wird der Rhythmus wiederholt. (APA, 18.8.2016)