Bagdad/Wien – Im Gefängnis von Nasiriya im Südirak wurden am Sonntag 36 Männer für ihre Beteiligung am "Massaker von Camp Speicher" gehängt: Im Juni 2014 verschleppte der "Islamische Staat" (IS) auf seinem Vormarsch bei Tikrit von einer Militärbasis (der die USA nach 2003 den Namen Camp Speicher gegeben hatten) bis zu 1700 unbewaffnete schiitische Rekruten, die allesamt ermordet wurden. Allerdings ist das Vertrauen in die irakische Justiz nicht sehr groß: Mit Todesurteilen ist das System schnell an der Hand, was auch international oft kritisiert wird.

Aus Tikrit wurde der IS bereits 2015 vertrieben, Mossul hingegen, die zweitgrößte Stadt des Irak mit einstmals zwei Millionen Einwohnern, ist noch immer besetzt. Laut General Sean MacFarland, derzeit noch US-Kommandeur der "Operation Inherent Resolve" gegen den IS, wird die Schlacht um Mossul jedoch eher früher als später anlaufen. Auch der irakische Premier Haidar al-Abadi kündigt eine Rückeroberung noch dieses Jahr an. Im Osten der Stadt haben zuletzt kurdische Peschmerga ein Dutzend Dörfer erobert und stehen teilweise nur sieben Kilometer vor der Stadt; im Süden haben die irakischen Sicherheitskräfte im Gebiet um Qayyara Erfolge aufzuweisen.

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Ein aus Mossul geflüchteter Mann zeigt Soldaten der irakischen Armee Stellungen des IS im Süden der umkämpften Großstadt.
Foto: Reuters

Es wäre nicht der Irak, wenn nicht die militärisch verbesserte Ausgangslage schwer politisch belastet wäre. Am Wochenende hat sich einmal mehr der Ton zwischen Erbil und Bagdad verschärft: Die Kurden empören sich über eine Aussage Abadis, dass keine anderen Streitkräfte außer der irakischen Armee Mossul betreten werde. Das heißt, die Kurden sollen draußen bleiben. Am Sonntag zitiert Rudaw online den kurdischen General Sheikh Jaafar Mustafa, der die Forderung nicht nur "inakzeptabel" nennt, sondern auch herausstreicht, dass die irakische Armee gar nicht fähig wäre, die Stadt ohne kurdische Unterstützung zu erobern.

Die Kurden beteuern, dass sie alle durch US-Vermittlung mit Bagdad getroffenen Vereinbarungen einhalten werden – die Führungsrolle Bagdads in der Operation. Aber das arabische Misstrauen bleibt groß, dass die Kurden nicht nur gegen den IS kämpfen, sondern auch ihr eigenes Territorium vergrößern wollen – mit dem sie sich dann per Unabhängigkeitsreferendum vielleicht sogar aus dem Irak verabschieden könnten.

"Auch Ambitionen für Kurdistan"

Tatsächlich gibt es immer wieder Aussagen, die diese Ängste nähren. Middle East Eye etwa zitiert den kurdischen General Hama Rashid Rostam mit den Worten: "Wir kämpfen gegen den IS, aber gleichzeitig haben wir Ambitionen für Kurdistan." Gebiete, die seine Männer erobern, seien "rechtmäßig kurdisch". Dabei handelt es sich besonders um "umstrittene Territorien", über die laut Verfassung von 2005 schon längst ein Referendum hätte abgehalten werden müssen.

Es ist eine auffällige Entwicklung, dass nicht nur im Irak, sondern auch in Syrien die Kurdenfrage mit der proklamierten Priorität aller Akteure, dem Kampf gegen den "Islamischen Staat", kollidiert. Auch der nach der Einnahme der Stadt Manbij durch US-gestützte syrische Kurden bald erwartete Vormarsch auf die syrische IS-"Hauptstadt" al-Raqqa könnte durch die aktuelle Konfrontation zwischen Kurden und syrischem Regime in Hassakah (siehe "Kämpfe zwischen Kurden und Assad-Truppen") infrage gestellt sein.

Zusammenstöße mit Peschmerga

Die irakischen Kurden befürchten ihrerseits, dass die sogenannten PMUs (Popular Mobilisation Units, al-Hashd al-Shaabi), die meist schiitischen Anti-IS-Volksmilizen, nach dem Sieg über den IS gegen Kurdistan eingesetzt werden könnten. Zusammenstöße zwischen Peschmerga und PMUs hat es bereits gegeben.

Die schiitischen Milizen, von denen etliche dem Iran nahestehen, sollen sich aus dem Kampf um das sunnitische Mossul heraushalten. Nach Berichten von Übergriffen der Milizen auf die sunnitische Zivilbevölkerung in ehemaligen IS-Gebieten drängten vor allem die USA darauf.

Milizen wollen in die Politik

Die irakische Regierung könnte jedoch Druck ausgesetzt sein, sich der sich abzeichnenden neuen Achse Russland-Iran-Türkei anzuschließen. Die PMUs sind laut einem Interview auf Al-Monitor fest entschlossen, in die irakische Politik einzusteigen, ihre Milizen wollen sie jedoch nicht in die irakische Armee integrieren, sondern eine eigenständige Armee, "wie die iranischen Revolutionsgarden", aufbauen. Das ist keine Aussicht, die zur Beruhigung der Sunniten im Irak und in der arabischen Welt beitragen dürfte.

Abadi bleibt schwach, auch wenn er jüngst nach monatelangem Stillstand fünf Ministerernennungen – darunter den Ölminister, einen Technokraten – durchs Parlament brachte. Verteidigungsminister Khaled al-Obaidi steht zurzeit im Zentrum von Korruptionsvorwürfen. Und Innenminister gibt es überhaupt keinen. (Gudrun Harrer, 22.8.2016)