Meist werden Geheimnisse mit der besten Freundin oder dem besten Freund geteilt – das schweißt zusammen.

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"Du Mama", fragt Katharina, "bist du böse, wenn ich ein Geheimnis vor dir habe?" Melanie, die Mama, lächelt und verneint. Aber insgeheim möchte sie schon gern wissen, was ihre fünfjährige Tochter verschweigt. Auch Nadine und Jessica haben seit einigen Wochen vor ihren Eltern Geheimnisse. Die Vierjährige und die Sechsjährige flüstern sich gegenseitig ins Ohr, schauen dabei ganz aufgeregt herum und passen auf, dass weder Papa noch Mama nahe genug sind, um das Geflüster hören zu können.

Hans und Georg haben ihrer Mitschülerin die Schultasche versteckt. Als die Lehrerin die Kinder der Klasse danach fragt, sehen sich die beiden Elfjährigen nur verstohlen an, aber keiner zeigt auf und gibt den Streich zu. Selbst als das Mädchen zu weinen beginnt, verrät keiner der beiden etwas. Erst am nächsten Tag findet Melissa ihre Schultasche vor der Garderobe wieder.

Auch der dreizehnjährige Robin hat ein großes Geheimnis. Das erste Mal hat er am Skikurs ein Mädchen geküsst. Diese neue Erfahrung kann und will er momentan mit niemandem teilen.

Ein wichtiger Entwicklungsschritt

Für Kinder sind Geheimnisse etwas Mystisches. Kindergarten- und Volksschulkinder gründen oftmals geheime Banden, malen Schatzkarten und schließen auch schon mal die Zimmertür, um dahinter ihre Heimlichkeiten vor den anderen Familienmitgliedern zu bewahren.

Geheimnisse zu haben und diese nicht zu verraten, ist ein wichtiger Entwicklungsschritt jedes Kindes. Etwas für sich zu behalten, erlernen Kinder und Jugendliche im Laufe ihrer Entwicklung zur eigenen Selbstständigkeit.

Spiel mit Heimlichtuereien

Im Kindergartenalter ist es für viele Kinder ein Spiel, Heimlichkeiten zu haben. Mama oder Papa dürfen nicht sehen, was das Kind gerade malt, welche Figur es aus der Knetmasse baut oder welches Buch es sich zum Vorlesen aus dem Regal geholt hat. Es wird ein großes Geheimnis daraus gemacht, etwas hinter dem Rücken oder unter dem T-Shirt versteckt. Eltern und Bezugspersonen müssen die Augen zumachen und dürfen diese nicht eher öffnen, bis entweder das Kind keine Lust mehr an dem Ratespiel hat oder aber die Eltern das Rätsel gelüftet haben.

In diesem Alter geht das Kind mit diesen kleinen Heimlichtuereien meist noch nicht sehr sorgsam um. Da wird dann schon einmal der Mama das Versteck verraten oder dem Papa der vergrabene Schatz gezeigt.

Die Erwachsenenwelt ist voller Geheimnisse

Für das Kind ist die Erwachsenenwelt eine mit sieben Siegeln: Da gibt es Sachen, die es nicht lesen kann, Zeichen, die es nicht deuten kann, Worte, die es nicht kennt. Oftmals wirkt es für das Kind so, als wüssten Erwachsene alles und das Kind selbst nur ganz wenig. Die ersten Heimlichkeiten haben meist die Bedeutung, die eigene Welt für die Erwachsenen ebenso undurchschaubar zu machen.

So weiß das Kind plötzlich mehr als die Erwachsenen und kann im Spiel, in Gedanken und Wünschen seine Welt für andere verborgener machen. Der Bonus: Es steht damit manchmal im Mittelpunkt des Interesses der Erwachsenen.

Identitätsentwicklung durch Geheimnisse

Mit Geheimnissen grenzen sich Kinder auch von den anderen ab. In dieser Welt, in der vieles für sie ein großes Mysterium ist, erlauben sie sich selbst, welche zur eigenen Sicherheit zu haben.

Die kindliche Phantasie zu nutzen, um ein geeignetes Versteck zu suchen oder einen Plan zu entwerfen, sich Geschichten auszudenken und eigene, für andere fremde Mysterien zu erfinden, Welten zu betreten, die nur Eingeweihten zugänglich sind, all das hilft der Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes, weckt und fördert seine Kreativität.

Meist werden Geheimnisse mit der besten Freundin oder dem besten Freund geteilt. Das schweißt zusammen und hebt so die Wichtigkeit des anderen hervor. Es macht diese Freundschaft zu etwas Besonderem.

Im Kleinkind- und Volksschulalter haben Kinder durchwegs schöne Geheimnisse – wie einen imaginären Freund oder einen gefundenen Schatz. Wächst das Kind zum Jugendlichen heran, beginnt das Bewusstsein für nicht so gute Geheimnisse. Wenn Kinder Eltern und Bezugspersonen etwa schlechte Noten verschweigen, dann oft aus Furcht vor Konsequenzen und den Reaktionen der Erwachsenen.

Wie man mit Geheimnissen umgeht

Eltern sollten ihrem Kind Heimlichtuereien lassen. Übertriebene Neugierde ist hier fehl am Platz. Lassen Sie Ihrem Kind ruhig den persönlichen Freiraum. Geheimnisse zu haben ist kein Vertrauensbruch. Das Kind hat nicht das Vertrauen in die Erwachsenen verloren, auch wenn es plötzlich nicht mehr alles erzählt. Im Gegenteil, übertriebene Neugierde und vielleicht sogar in den Sachen des Nachwuchses zu stöbern, kann zu einem Vertrauensbruch führen.

Wichtig ist jedoch, dass Erwachsene sehr aufmerksam und wachsam sind, was die Art der Geheimnisse betrifft. Es ist gut, wenn das Kleinkind seine Zeichnung vor ihnen verbergen möchte, aber es ist ebenso wichtig, dass Eltern wissen, woher zum Beispiel die blauen Flecken oder plötzlich auftretende unerklärliche Ängste ihres Kindes kommen.

Respekt und Vertrauen

Manchmal verraten Kinder und Jugendliche ihren Eltern Geschehnisse nicht, von denen diese wissen müssten, um das Kind oder den Jugendlichen unterstützen zu können – etwa bei Mobbing in der Schule, körperlicher Gewalt oder anderen Übergriffen.

Deshalb ist es von absoluter Wichtigkeit, wenn Eltern ihren Kindern vermitteln, dass es einerseits wichtig und respektiert ist, Geheimnisse zu haben, es andererseits aber durchaus wichtige Informationen gibt, die ein junger Mensch nicht ausschließlich für sich behalten sollte. Denn die Aufgabe der Erwachsenen ist es, bei Problemen zu unterstützen und zu helfen.

Ihre Erfahrungen?

An welche Geheimnisse Ihrer Kindheit erinnern Sie sich? Wie gehen Sie mit Geheimnissen Ihrer Kinder um? Posten Sie Ihre Erfahrungen und Ideen im Forum! (Andrea Leidlmayr, Christine Strableg, 26.8.2016)