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Genaue Hierarchie: Massud Barzani (li.), Präsident der irakischen kurdischen Regionalregierung, bei Erdogan in Ankara.

Foto: Reuters

Damaskus/Wien – Die Kurden fühlen sich einmal mehr von den USA verraten – und die Araber sagen, nicht ohne Schadenfreude, die Kurden seien selbst schuld, wenn sie den USA vertraut haben. Das ist, vereinfacht zusammengefasst, die Gefühlslage in der Region, nachdem die USA den syrischen Kurdenmilizen YPG beziehungsweise deren politischem Arm PYD am Mittwoch und Donnerstag klar gemacht haben, dass sie sich auf das Gebiet östlich des Euphrats zurückzuziehen haben – wie es auch der türkische Wille und das Ziel der türkischen Invasion ist, die seit Mittwoch läuft.

Das heißt, die YPG müssen Manbij verlassen, das sie, als Teil der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), in langen verlustreichen Kämpfen vom "Islamischen Staat" (IS) eingenommen haben. Dagegen regte sich Widerstand nicht nur bei den YPG selbst, sondern auch bei anderen Teilen der SDF, der eine christliche und arabische Milizen angehören.

Wer ist schneller ...

Die Nachrichten waren widersprüchlich: Einerseits wurde der erwünschte Rückzug gemeldet, andererseits zeichnete sich ein Wettbewerb ab: Die SDF sollen am Freitag dem "Islamischen Staat" Dörfer bei Manbij – also westlich des Euphrats – abgenommen haben, bevor die türkisch-gestützten arabischen Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) diese erreichen konnten.

Die YPG, von den USA mit Waffen und Logistik unterstützt, sind seit einem Jahr die US-Speerspitze gegen den "Islamischen Staat" in Syrien – aber es war allen klar, dass die Kurden nicht nur gegen den IS, sondern auch im eigenen Interesse kämpften, um ihre Mehrheitsgebiete um Afrin, Kobane und Qamishli miteinander zu verbinden. Dazu haben sie, wenn es nötig war, auch syrischen Rebellen und dem syrischen Regime Land abgejagt.

Das hat dazu geführt, dass die Kurden, unter der Führung der nicht bei allen Kurden unumstrittenen PKK-Schwesterpartei PYD, heute in Nordsyrien ein Territorium kontrollieren, auf dem ein beträchtlicher Prozentsatz der Bevölkerung nicht kurdisch ist. Die PYD trägt dem Rechnung, indem sie betont hat, keine ethnische Identität für das entstehende Autonomiegebiet anzustreben. Überflüssig zu sagen, dass viele Araber ihr das nicht glauben. Im Laufe der Kämpfe gab es vereinzelt PYD-Maßnahmen gegen die Bevölkerung, die von den Kurden "Evakuierungen" von Kampfgebieten, aber von Arabern und Turkmenen "ethnische Säuberungen" genannt wurden.

500 Jahre nach 1516

Die Araber sind aber nicht nur misstrauisch den Kurden gegenüber: In arabischen Medien verbreitete sich schnell der Hinweis, dass der türkische Einmarsch in Syrien just am 24. August begonnen habe: just 500 Jahre nach der Schlacht von Marj Dabiq nördlich von Aleppo, die 1516 ein entscheidender Schritt zur Eroberung des arabischen Nahen Ostens durch die Osmanen war. Damals Yavuz Sultan Selim, heute Sultan Erdogan, heißt es: Wenn Ankara von "territorialer Integrität" Syriens spreche, meint es nur, dass die Kurden nichts bekommen dürfen.

Es stellt sich aber auch die Frage, was das US-Entgegenkommen der Türkei gegenüber für die Zusammenarbeit mit den syrischen Kurden gegen den IS bedeuten könnte: Ohne YPG wird die Wiedereinnahme der syrischen IS-" Hauptstadt" Raqqa nicht funktionieren.

Bitter nahmen die Kurden die Worte von US-Vizepräsident Joe Biden am Mittwoch in Ankara auf, die türkische Intervention sei seit einem Jahr mit Ankara abgesprochen gewesen. Das gehört zum kollektiven kurdischen Trauma der letzten Jahrzehnte: dass ihre Wünsche und Ambitionen letztlich dann doch immer wieder der US-Realpolitik zum Opfer fallen. Und es bleibt ihnen doch immer wieder nichts übrig, als mit den USA zu kooperieren.

Auch zu den irakischen Kurden pflegen die USA schon seit Beginn der 1990er-Jahre enge Beziehungen. Eine kurdische Unabhängigkeit, die Regionalpräsident Massud Barzani derzeit wieder verstärkt in den Raum stellt, hat Washington jedoch nie unterstützt.

Der konservative kurdische Nationalist Barzani steht den radikalen Linksparteien PKK und PYD ideologisch diametral entgegen und pflegt gute Beziehungen zu Ankara. Aber Erdogan, der Barzani erst am Dienstag in Ankara empfing, ist eben ein Meister der subtilen Demütigungen: Barzani wurde für das offizielle Foto (siehe links, Anm.) nicht etwa gleichberechtigt sitzend platziert, sondern protokollarisch untergeordnet. Auf Österreichisch würde man sagen: Kurdenpräsident gibt' s kan. (ANALYSE: Gudrun Harrer, 27.8.2016)