Das de Young im Golden Gate Park (im Bild) und das Legion of Honor bilden als Fine Arts Museums of San Francisco die größte öffentliche Kunstinstitution der Stadt.

Foto: Fine Arts Museum of San Francisco

Max Hollein in seinem Büro im de Young Museum.

Foto: Michael Freund

STANDARD: Sie haben bei Ihrer Ernennung zum Direktor der Fine Arts Museums of San Francisco gesagt, dass Sie Ihre Häuser auch als "Begegnungsstätte für gegenwärtige Diskurse" sehen. Was kann und was soll das heißen?

Hollein: Wir haben einerseits das Legion of Honor als klassisches, eher eurozentrisches Museum, während das de Young von seiner Sammlung her eher eklektisch ist. Das macht eine präzise Narration schwierig. Aber unser Haus kann eine Haltung entwickeln – eher wie der Herausgeber einer Zeitung oder eines Verlags. Und eine Haltung, wie man an Themen herangeht und das auf unsere Sammlung anwendet. Das kann dann afrikanische Kunst des 19. Jahrhunderts sein oder Modeindustrie heute. Das heißt, dass die Ausstellungen nicht nur die Kunst feiern, sondern Angebote sein sollen, sie auf unterschiedlichen Ebenen zu lesen. Gerade in San Francisco lassen sich Fragen aufwerfen, die über das Museum hinausgehen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Hollein: Ich hab das jetzt noch nicht umgesetzt, aber was man etwa braucht, ist ein digitaler Kurs "Understanding America", basierend auf unserer Rockefeller-Sammlung von amerikanischen Gemälden des 19. Jahrhunderts. Das ist eine Form, wie man über die visuelle Kultur verstehen lernt, was gewisse Strömungen bedeuten, die uns derzeit politisch beschäftigen, die aber auch in einer gesellschaftlichen Tradition verhaftet sind.

STANDARD: Sie haben gesagt, Sie wollen in San Francisco "another level" erreichen – ich nehme an, nicht in erster Linie quantitativ, Ihre Museen zählen ja schon zu den meistbesuchten in den USA.

Hollein: In San Francisco haben wir wie in einem Brennglas, wie in einer Fallstudie urbane und kulturelle Entwicklungen, die anderswo nicht in der Geschwindigkeit passieren. Wir können neu verhandeln, welche Rolle ein Museum in so einer Umgebung spielt. Die Gesellschaft bewegt sich in dieser Stadt ja auseinander. Ein Teil sieht im technologischen Fortschritt einen ungeheuren Aufschwung, ein anderer den Untergang einer Lebenskultur.

STANDARD: Wie sehen Sie das?

Hollein: Ich sehe beides. Wir bereiten gerade eine Ausstellung über die "American precisionists" der Zwanzigerjahre vor – Sheeler, Demuth und andere, die damals die spätindustrialisierte Phase in den USA darstellten. Und da gab es dieselbe Ambivalenz wie heute: Verherrlichung und Kritik. In einem Museum können solche Themen unpolemisch verhandelt werden.

STANDARD: Was die Situation heute angeht, gibt es wohl Grund für Besorgnis.

Hollein: Ja. Man wird die Entwicklung nicht aufhalten oder zurückdrehen können, und schon gar nicht als Museum. Aber ich glaube, die Analyse, dass die Boheme hier völlig verdrängt wird, stimmt nicht. Ich würde sagen, der Geist von seinerzeit sitzt heute in Silicon Valley. Ich treffe ständig Leute von dort, die mit einer – Schlagwort – disruptiven Energie die Welt aus den Angeln heben wollen. Das sind Leute, die vollkommen bewusst gegen das System vorgehen mit der Fortsetzung einer Ideologie, die sich hier in den Sechzigerjahren gebildet hat.

STANDARD: Wobei allerdings die klassische Boheme nicht darauf aus war, mit disruptiver Energie Milliardär zu werden.

Hollein: Das stimmt. Aber diese Energien, diese Denkweise sind nicht ausgewandert, die sind nur mutiert.

STANDARD: Gibt es schon erste Beispiele für die neue Richtung, die Sie einschlagen wollen?

Hollein: Nun, das De-Young-Museum ist bekannt für Modeausstellungen und wurde dafür auch kritisiert. Für mich bedeutet das, wir werden genau diese Schauen weitermachen, aber mit anderen Themen. Eine hochinteressante Sache ist etwa die Mode des Islam. Es ist interessant zu sehen, wie islamische Tendenzen derzeit in den Westen hineinkommen und wie westliche Luxuskonzerne versuchen, mit leichten Anbiederungen einen Kundenstamm zu finden. Eine Prämisse für mich ist, populäre Ausstellungen mit einem Überraschungseffekt zu gestalten, mit der Möglichkeit, sie auf mehreren Ebenen komplex zu lesen.

STANDARD: Eine der wichtigsten Fördererinnen der Fine Arts Museums, Diane Wilsey, die Sie noch im März an Bord geholt hat, ist im Juli dieses Jahres als Präsidentin des Vorstands zurückgetreten.

Hollein: Nicht ganz. Sie war auch CEO des Museums, und dieser Titel wird an mich übergehen. Sie bleibt im Board.

STANDARD: Es hat, liest man, viel Streit in den Museen gegeben, eine große Fluktuation, Abgänge. Übernehmen Sie ein unruhiges Schiff?

Hollein: Zuallererst ist es eine unruhige Stadt. Kaum eine hat so viel Aktivismus wie San Francisco. Und wir sind auch eine komplexe Institution, teils städtisch, teils privat. Ich wusste, dass ich ein Haus übernehmen werde, das seit fünf Jahren nicht wirklich geleitet wurde und eine Reihe von Problemen und Ineffizienzen hat. Es ist ein Risiko, aber eines, das ich gern annehme, in einer der spannendsten Städte der Welt.

STANDARD: Sie haben vor kurzem im Zusammenhang mit Sponsoring gesagt, Sie werden nicht sitzen und warten, dass ein Mark Zuckerberg mit Angeboten kommt. Werden Sie zu ihm gehen?

Hollein: Nicht nur werden wir hingehen, es geht auch da um eine andere Form der Idee, wie man sich für ein Museum engagiert. Wilsey spendet jedes Jahr eine hohe Summe an die Museen – das ist nicht ganz die Art, wie die Leute aus Silicon Valley involviert sein wollen. Die wollen darüber hinaus gemeinsam Projekte als Problemlösungen entwickeln. Vor zwei Tagen hab ich mich mit einem der obersten Mitarbeiter von Google getroffen. Der beschäftigt sich jetzt hauptsächlich mit Fragen der Demokratie und wie man Adam Smiths Lehren in der Bildung anwenden kann. Auf solchen Ebenen wollen wir miteinander reden.

STANDARD: Thomas Campbell vom Metropolitan Museum in New York hat über Sie gesagt, das Wichtige an Ihnen sei, dass Sie "ein Deutscher mit Humor" sind.

Hollein: (lacht) Ich glaub, er meint damit, dass ich ein relativ effizienter und zuverlässiger Arbeiter bin, aber das Ganze dann doch mit dem notwendigen Charme und einer Leichtigkeit verbinden kann. Es kommt auch auf die Art an, wie man eine Fragestellung entwickelt, die nicht so präzis ist, wie ein Deutscher das formulieren würde, und doch eine Form hat, die es dem Gegenüber schwermacht, mit einem klaren Nein zu antworten.

STANDARD: Werden Sie daher hier eher als Wiener wahrgenommen oder doch als Deutscher, der Sie gar nicht sind?

Hollein: Du wirst hier zuallererst als Europäer wahrgenommen, und damit bist du schon Exot. (Michael Freund, 5.9.2016)