Der Auszug des Kindes verändert die Familienstruktur.

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Lisa hat ihre Freundin Melanie zum Schachteln-Packen eingeladen. Die 18-Jährige wird zum Studium in die nächstgrößere Stadt in ein Studentenwohnheim ziehen.

Felix will gemeinsam mit Thomas, Simon und Ali eine Wohngemeinschaft gründen. Er hat mit seinen Freunden bereits eine Wohnung gefunden. Gemeinsam haben sie bereits die neue Wohnung ausgemalt. Seine Freundin Eva wird ihm beim Übersiedeln am Wochenende helfen. Selbstverständlich, wenn auch mit einem etwas mulmigen Gefühl, unterstützen die Eltern den Sohn bei seinem Auszug.

Eher überraschend zieht Caroline kurz nach ihrem 18. Geburtstag zu ihrem Freund. Ursprünglich war das erst ein Jahr später geplant. In der Familie entsteht dadurch eine Lücke, obwohl ihre Brüder alle noch zu Hause wohnen. Paul, der Jüngste, vermisst eine seiner erwachsenen Bezugspersonen. Der Mutter fehlt das einzige Mädchen, und allen fehlt ein Teil der Familie. Trotz alledem freut ihr Bruder Nikolaus sich darüber, dass er jetzt in das Zimmer seiner Schwester ziehen kann.

Maria ist schon vor einiger Zeit aus der elterlichen Wohnung zu einer Freundin gezogen. Trotz aller Freude über die eigenen vier Wände hat sie mit der Umstellung ihre Schwierigkeiten, und es kommt vor, dass sie immer wieder mal bei ihren Eltern übernachtet. Das erleichtert auch der Familie die Umstellung.

Traurigkeit und Freude

Während die jungen Menschen sich sehr auf ihren neuen Lebensabschnitt freuen, geht aus Sicht vieler Eltern ein Lebensabschnitt zu Ende. Der Auszug des Kindes ist deshalb mit Traurigkeit verbunden.

Einerseits können Eltern und Bezugspersonen stolz darauf sein, dass das Kind seine eigenen Erfahrungen machen will, sich auch zutraut, alleine zu leben und die Verantwortung für sich zu übernehmen, andererseits entsteht für einige Eltern ein großes Loch, wenn das erwachsen gewordene Kind aus dem gemeinsamen Haushalt auszieht und seine eigenen Wege geht. Nicht selten ist dies ein großes Verlusterlebnis, das nicht so leicht weggesteckt werden kann.

Leeres Nest

Vor einiger Zeit wurde der Begriff "Empty Nest Syndrome", zu deutsch "Leeres-Nest-Syndrom", geprägt. Forscher fassen damit all jene sozialen, emotionalen und psychischen Faktoren zusammen, die auftreten können, wenn ein Kind den elterlichen Haushalt verlässt.

Oft sind es vor allem die Mütter, die unter der plötzlichen Veränderung der Lebenssituation leiden. Haben sie ihre Bedürfnisse jahrelang zurückgestellt, sich um die Kinder gekümmert, fallen jetzt zum Teil tägliche Routinen weg, und das Leben der Mütter wird ruhiger. Sie werden weniger gebraucht und haben nicht zuletzt eine wesentliche Aufgabe in ihrem Leben verloren: die umsorgende Mutterrolle. Vor allem wenn das Kind von heute auf morgen auszieht, erleben manche Mütter die veränderte Lebenssituation verbunden mit Zukunftsängsten und einer gewissen Perspektivlosigkeit. Da heißt es andere Perspektiven für die Gestaltung des zukünftigen Lebens zu finden.

Mehr Zeit bedeutet mehr Freiheit

Der Auszug jedes Kindes verändert die Familienstruktur. Verlässt das letzte Kind einer Familie das Elternhaus, dann kann es passieren, dass lange nicht aufgefallene Veränderungen eines Elternteils und nicht besprochene Konflikte deutlicher werden. Jahrelang hat sich ja alles um den Nachwuchs gedreht, und plötzlich fällt der Fokus auf das Paar zurück. Nicht selten stellt diese Veränderung auch ein Paar vor neue Herausforderungen.

Nicht immer aber ist der Auszug der Kinder mit massiven Schwierigkeiten verbunden. Oftmals empfinden Eltern nach der anfänglichen Traurigkeit und Niedergeschlagenheit ein ungeahntes Freiheitsgefühl. Sie fühlen sich weniger belastet und können es genießen, nicht dauernd für alles verantwortlich sein zu müssen. Vielen ist es wieder möglich, mehr als Paar zusammenzufinden und die neu gewonnene Freiheit gemeinsam zu genießen. Manche Eltern verändern nach dem Auszug der Kinder ihr Berufsleben, suchen sich neue Hobbys, und damit ergeben sich auch neue soziale Kontakte.

Eine neue Beziehung zum Kind

Auch verändert sich durch den Auszug die Beziehung zum eigenen Kind. Ein großer Teil Verantwortung fällt weg. Durch den veränderten, nicht mehr so engen Kontakt gelingt es oft, ein anders gestaltetes Verhältnis zum Kind aufzubauen.

Klar ist:, Eltern müssen damit zurechtkommen, dass sie sehr wahrscheinlich nicht mehr täglich Informationen bekommen, wie es dem Kind geht und was es tut. Es empfiehlt sich – auch wenn es schwerfallen mag –, nicht dauernd anzurufen oder gar ungebeten in der Bleibe des Kindes aufzutauchen.

Wandel in der Gesellschaft

Natürlich kann es auch ganz anders kommen. Immer mehr erwachsene Kinder leben des Geldes wegen lange bei ihren Eltern. Sie studieren oder machen eine Ausbildung und können es sich, so sagen viele, aufgrund der hohen Lebenskosten nicht leisten, von zu Hause auszuziehen. Andere wiederum möchten gerne im "Hotel Mama" bleiben, da es ihnen dort an nichts fehlt. Sie nehmen für die eigene Bequemlichkeit das Zusammenleben mit ihren Eltern und die damit oftmals verbundenen Konflikte zweier Generationen in Kauf.

Will der Nachwuchs aber ausziehen, dann sollten die Eltern darauf vertrauen, dass ihr Kind in der Zeit zu Hause vieles gelernt hat und es gewappnet ist, eigene Erfahrungen zu machen. Genauso wie das Kind darauf vertrauen kann, dass es in schwierigen Situationen auf die Erfahrungen von Mutter und Vater und deren Unterstützung zurückgreifen kann.

Ihre Erfahrungen?

Wie erinnern Sie sich an Ihren eigenen Auszug aus dem Elternhaus? Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den Auszug Ihrer Kinder denken? Wie war es für Sie, als Ihre Kinder ausgezogen sind? Posten Sie Ihre Erfahrungen im Forum! (Andrea Leidlmayr, Christine Strableg, 9.9.2016)