Nicht bei jeder Mandelentzündung muss sofort operiert werden. Auch eine Antibiotikabehandlung ist häufig nicht notwendig, heißt es in den neuen Leitlinien der der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie.

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Wien/Villach/Mönchengladbach – Früher hieß es: Sind die Mandeln entzündet, dann nichts wie raus mit ihnen. – Deshalb war die Operationsfrequenz in Österreich zumindest bis zum Jahr 2002 relativ hoch. In den Jahren 2006 und 2007 starben insgesamt fünf Kinder unter sechs Jahren nach Mandeloperationen, was schließlich zu Änderungen hinsichtlich der Indikation und Technik führte. In Folge reduzierte sich die Zahl der Mandel-OPs erheblich.

Nicht bei jeder Mandelentzündung muss sofort operiert werden. Auch eine Antibiotikabehandlung ist häufig nicht notwendig, lautet das neue Credo. Die Entscheidungsgrundlage ist die Zahl von Halsschmerz-Episoden in den vergangenen zwölf Monaten, heißt es in den neuen Leitlinien, die bei der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO KHC) in Düsseldorf vorgestellt wurde.

Bei weniger als drei Episoden raten die Leitlinien von einer Operation ab. Bei drei bis fünf Episoden "kann" die Tonsillektomie durchgeführt werden, bei sechs oder mehr Episoden ist sie "eine therapeutische Option". "Bei mehrfach wiederkehrenden Mandelentzündungen hat sich die Mandelentfernung bewährt", sagt HNO-Arzt Jochen Windfuhr vom Krankenhaus Maria Hilf in Mönchengladbach. Sie sei aber keine Notoperation, "nur in besonders schweren Fällen sollte die Operation zügig erfolgen", sagt der Experte. "Bei moderaten und milden Formen raten wir dazu, zunächst ein halbes Jahr abzuwarten. Nur wenn sich in dieser Wartezeit weitere Entzündungen trotz wiederholter Antibiotikumtherapie ereignen, ist die Mandelentfernung der bessere Weg."

Gesundheitliches Risiko

Mittlerweile werden auch in Österreich viel weniger Kinder totaloperiert und es kommt kaum zu dramatischen Komplikationen, hieß es am Donnerstag in Wien bei einem Pressegespräch zum 60. HNO-Kongress. Grundsätzlich kann es zu Nachblutungen bei Abstoßung der Wundbeläge oder durch Aufplatzen von Gefäßen kommen. Je jünger und kleiner der Patient, desto weniger Reserven sind vorhanden, wodurch sich das Gesundheitsrisiko etwa durch Blutverlust oder Verlegung der Atemwege drastisch erhöht.

Bei Kindern bis fünf Jahren wurden um 87 Prozent weniger Mandeloperationen durchgeführt, bei den Sechs- bis 15-Jährigen fiel der Wert um 56 Prozent und bei Personen über einem Alter von 15 Jahren waren es um 37 Prozent weniger, erläuterte Wilhelm Streinzer, HNO-Facharzt und Bundesfachgruppenobmann der Österreichischen Ärztekammer. Bis 2002 verzeichnete man in Österreich im Vergleich eine hohe Operationsfrequenz. Zudem gab es sehr starke regionale Unterschiede, sowohl in den einzelnen Ländern als auch im Vergleich der Staaten.

Vollständige Entfernung ist die Ausnahme

Die operative Teilentfernung der Gaumenmandeln – im Fachjargon Tonsillotomie – wird vor allem bei Kindern zwischen dem zweiten und achten Lebensjahr durchgeführt. Die Nachblutungsrate ist bei der Verkleinerung der Gaumenmandeln deutlich geringer als bei der kompletten Ausschälung. Bei der Tonsillektomie werden hingegen die Gaumenmandeln – wenn etwa eine Tonsillitis antibiotisch nicht mehr behandelbar ist – vollständig entfernt. Diese Erkrankung geht oft mit Atembehinderung oder -aussetzern und Schluckbeschwerden einher. (red, APA, 8.9.2016)