Erst viel Regen, danach Hitze: Der gerade zu Ende gehende Sommer wirkt sich für die mitteleuropäischen Ambrosia-Populationen wie ein Konjunkturprogramm aus.

Foto: iStockphoto

Stau auf der A2. Gnadenlos brennt die Sonne herab, die Luft über dem Asphalt scheint zu sieden. Viele Autofahrer haben ihre Fenster geöffnet, schauen genervt nach vorne, und bemerken so gar nicht, was da neben der Straße wächst. Dafür treibt es manchen die Tränen in die Augen. Blöder Heuschnupfen, gerade jetzt. Wo sind bloß die Tabletten? Dass der Auslöser ihres Anfalls nur wenige Meter entfernt steht, ahnt keiner. Es ist jenes unscheinbare Kraut, dem Beifuß ähnlich. Ein wahrer Quälgeist in Pflanzengestalt. Sein Blütenstaub liefert die stärksten allergenen Pollenkörner weltweit.

Gemeint ist Ambrosia artemisiifolia, kurz die Ambrosie. In ihrer nordamerikanischen Heimat wird sie "Ragweed" genannt. Die Art gelangte bereits im 19. Jahrhundert mit Getreide und anderen Landwirtschaftsprodukten nach Europa, blieb aber zunächst unauffällig. Erst in den letzten Dekaden gelang ihr die schrittweise Eroberung großer Teile unseres Kontinents. Und der Siegeszug hält an. Besonders häufig ist die Ambrosie inzwischen in Ungarn, Serbien, Rumänien, Norditalien, Südfrankreich und der Ukraine anzutreffen. Hierzulande findet man sie vor allem im Burgenland, Niederösterreich, Wien und in der Umgebung von Graz. Viele Vorkommen dürften allerdings der Aufmerksamkeit von Fachleuten und Behörden entgehen. "Eine bundesweite, detaillierte Ambrosia-Kartierung gibt es nicht", erklärt die Biologin Katharina Bastl vom Österreichischen Pollenwarndienst an der Medizinischen Universität Wien.

Faktor Klimawandel

Sinnvoll wäre eine solche Erfassung, denn die Bekämpfung des invasiven Krauts sollte eigentlich höchste Priorität haben. Modellrechnungen zufolge dürften die durch Ambrosien-Pollen verursachten Allergien allein in Österreich und Bayern mit wirtschaftlichen Kosten von mehr als 133 Millionen Euro jährlich zu Buche schlagen. Diese Summe könnte bis 2050 mehr als doppelt so hoch ausfallen, je nachdem, wie sich die Pflanzen weiter ausbreiten (vgl.: Journal of Applied Ecology, Bd. 50, S. 1422). Ein entscheidender Faktor wird dabei der Klimawandel sein. Die Ambrosie ist eine wärmeliebende Spezies. Steigen die Temperaturen, verbessern sich ihre Lebensbedingungen – aber nur, wenn es auch genug Niederschläge gibt, wie Katharina Bastl betont. Langfristiger Regenmangel lässt Ambrosia verdursten. In Spanien zum Beispiel konnte sie deshalb nie richtig Fuß fassen.

Der gerade zu Ende gehende Sommer indes wirkte sich für die mitteleuropäischen Populationen wie ein Konjunkturprogramm aus. Anfangs viel Regen, danach Hitze, sorgten für bestes Wachstum allerorten. Als Spätblüher öffnen die Pflanzen erst Mitte August ihre ersten Blütenknospen. In diesem Jahr überlappte sich diese Phase sogar erstmalig mit dem Ende der Beifuß-Blüte, berichtet Bastl. Für viele Pollenallergiker kam es dadurch zu heftigen Doppelbelastungen. Der Hintergrund: Beifuß gehört zur selben Familie wie Ambrosia, die der Asteraceae oder Korbblütler. Wer auf einen ihrer Vertreter allergisch reagiert, tut dies oft auch bei den Verwandten. Die Gewächse tragen ähnliche, allergieauslösende Proteine auf ihren Pollenkörnern.

Belastung rückläufig

Doch es kündigt sich etwas Erleichterung an. "Im Moment sind die Belastungen rückläufig, die lokale Blüte klingt jetzt aus", sagt Katharina Bastl. Ganz zu Ende wird sie allerdings erst im Oktober gehen. Häufig setzt der erste Frost den Schlusspunkt. Regen bedeutet nicht unbedingt Entwarnung, erklärt Bastl. Nach einer Schönwetterperiode kann sich der Pollen bei fehlender Thermik in tieferen Luftschichten festsetzen. Dort waschen ihn die Niederschläge nur langsam wieder heraus.

Die örtlichen Bestände sind gleichwohl nicht das einzige Problem. Im Osten Österreichs stammt ein Großteil der herumschwirrenden Ambrosienpollen aus dem Ausland. Der Wind kann sie über hunderte von Kilometern hinweg tragen. In Finnland wurden sogar schon aus Serbien stammende Körner nachgewiesen. Und viele braucht es nicht, um eine allergische Reaktion auszulösen. Bei manchen Betroffenen reichen bereits vier Ambrosia-Pollenpartikel pro Kubikmeter Luft aus. In Wien können die Konzentrationen auf mehr als 1.000 Körner pro Kubikmeter ansteigen – kein Wunder, vermag doch eine einzelne Pflanze über eine Milliarde davon zu produzieren.

Ambrosia zu bekämpfen ist mühselig. Ihre Samen können bis zu 40 Jahre keimfähig im Boden überdauern. Hat sie sich einmal festgesetzt, wird man sie kaum wieder los. Dennoch hat die Art ihre Achillesferse. Sie ist ein sogenanntes Ruderalgewächs und braucht offenen Boden. Deshalb gedeiht sie bevorzugt an Straßen und Feldrändern. Gegen geschlossenen Bewuchs kommen Ambrosien normalerweise nicht an. Eine stabile, heimische Vegetation dürfte wohl das beste Mittel gegen die Pollenschleuder sein. (Kurt de Swaaf, 16.9.2016)