Christian Schiffer studierte Politikwissenschaften und ist Redakteur und Radiomoderator beim Bayerischen Rundfunk.

Bild: Christian Schiffer

Hauptberuflich befasst sich der BR-Netzexperte vorrangig mit digitalen Themen, zudem gibt er das von ihm gegründete Magazin "WASD" mit heraus.

Bild: Christian Schiffer

"'Killerspiel', das ist am Ende vor allem ein Kampfbegriff, der mich auf irgendeine seltsame Art sogar fasziniert, wahrscheinlich, weil er so platt ist und irgendwie aus der Zeit gefallen scheint, so ein bisschen wir das Wort 'Rauschgift' oder 'menschenverachtende Untergrundmusik'"

Foto: Gears of War 2

"Da gibt es faszinierende Zeitdokumente, etwa den "Aufruf gegen Computergewalt", in dem Computerspiele als "Landminen für die Seele" gebrandmarkt werden."

Foto: Doom

"Heute hat sich die Debatte weitgehend versachlicht, wobei die kurze Debatte nach dem Amoklauf in München zeigt, dass die 'Killerspiel'-Phobie in Spurenelementen immer noch vorhanden ist."

Foto: Wolfenstein

"In Deutschland spielte anfangs vor allem der Begriff der 'Gewaltverherrlichung' eine große Rolle, man wollte vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der deutschen Vergangenheit einfach nicht, dass Kinder Krieg spielen"

Foto: Call of Duty World at War

"Man darf nicht vergessen, dass sich die Bundesprüfstelle damals gegen die Indizierung von 'Counter-Strike' gewandt hat, was ausgesprochen mutig war. In solchen Behörden arbeiten ja keine Deppen, die kennen sich zum Teil sehr aus mit dem, was sie dort beurteilen – und die haben auch einiges gesehen."

Foto: Counter-Strike 1.6

"Beckstein ging es nicht darum, Leuten ihren Spaß zu nehmen, der wollte wirklich für mehr Sicherheit sorgen. Mittlerweile ist die Jugendkriminalität aber wieder zurückgegangen, obwohl Computerspiele noch mehr verbreitet sind, und bis München gab es über Jahre keinen Amoklauf. Das hat natürlich auch jemanden wie Beckstein zum Nachdenken gebracht."

Foto: Medal of Honor Warfighter

"Vor allem in den großen bundesweiten Sendungen liefen auch Beiträge, die einen schon fassungslos machen, wo etwa behauptet wird, in dem Spiel 'Grand Theft Auto: San Andreas' gehe es darum, möglichst viele Frauen zu vergewaltigen, dieser Unsinn wurde dann auch noch mit 'Rape me' von Nirvana unterlegt. Natürlich: Fehler passieren, aber es wäre gut gewesen, man hätte damals klipp und klar im Nachhinein solche Fehler eingeräumt."

Foto: GTA San Andreas

"Solche Fehler versendeten sich also nicht mehr, sondern wurden kritisch kommentiert, es gab die ersten Shitstorms. Die 'Killerspiel'-Debatte hat also viel von dem vorweggenommen, was wir heute, in verschärfter Form, auch erleben, bis hin zum 'Lügenpresse'-Geschrei. Umso wichtiger wäre es damals gewesen, die Kritik ernst zu nehmen und angemessen darauf zu reagieren, schließlich hatte man es ja vor allem mit jungen Menschen zu tun, die eigentlich an die Medien geglaubt hatten und dann bitter enttäuscht wurden."

Foto: Resident Evil

"Angriffe auf Computerspiele abzuwehren wird dann irgendwann zur Default-Einstellung und wenn dann Computerspiele aus einem völlig anderen Grund kritisiert werden, dann ist diese Default-Einstellung immer noch aktiv. Allerdings sehe ich da schon einen Wandel. Viele Menschen, die Computerspiele mögen, wissen mittlerweile, dass Computerspiele nicht gleich zu Staub zerfallen, nur weil man sie mal kritisiert."

Foto: Heavy Rain

"Ich hasse den Satz zwar, aber ein wenig sind Spiele eben doch 'in der Mitte der Gesellschaft angekommen'. Der Diskurs über Spiele in Medien und der Wissenschaft findet heute auf einem anderen Niveau statt als noch vor zehn Jahren."

Foto: Valve / shorty91.deviantart.com

"Wenn man sich heute die Beiträge von damals anschaut wo vom Joystick die Rede ist als 'Freudenstock mit eingebautem Tötungsknopf' – da können fast schon nostalgische Gefühle aufkommen."

Foto: Mortal Kombat

Kaum eine öffentliche Diskussion hat das Verhältnis zwischen Spielerinnen und Spielern und der Öffentlichkeit so nachhaltig geprägt wie die "Killerspiel"-Debatte, die jahrelang vor allem in Deutschland heftig geführt wurde. Christian Schiffer, Redakteur und Radiomoderator beim Bayerischen Rundfunk und dort als BR-Netzexperte vorrangig mit digitalen Themen befasst, hat sich in einer dreiteiligen Dokumentation für ZDF Info mit diesem Thema beschäftigt. Der studierte Politikwissenschaftler gibt zudem das von ihm gegründete Magazin "WASD" mit heraus.

Anlässlich der Erstausstrahlung des abschließenden Teils der Dokumentation auf ZDF Info am Mittwoch, 21.9, werden auch die beiden ersten, im Frühjahr erstausgestrahlten Teile wiederholt. Filmautor Christian Schiffer hat sich den Fragen des GameStandard gestellt.

STANDARD: Eine Grundsatzfrage zu Beginn: Was sind "Killerspiele"?

Schiffer: Das kommt darauf an, wen man fragt. Die Süddeutsche Zeitung hat schon das Fußballspiel "FIFA" 2009 als "Killerspiel" bezeichnet, vom Online-Rollenspiel "World of Warcraft" hieß es auch mehrmals, das sei ein "Killerspiel", das war fast schon ein Running Gag. Letztlich versteht man unter "Killerspielen" im Allgemeinen Actionspiele, bei denen Menschen getötet werden, vor allem aus der Ego-Perpektive. Aber wo ein "Killerspiel" anfängt und aufhört, das wussten die Politiker selbst wohl nicht so genau, und diese Unschärfe war auch das Problem, als es dann darum ging, "Killerspiele" in Deutschland zu verbieten.

"Killerspiel", das ist eben am Ende vor allem ein Kampfbegriff, ein Kampfbegriff allerdings, der mich auf irgendeine seltsame Art sogar fasziniert, wahrscheinlich, weil er so platt ist und irgendwie aus der Zeit gefallen scheint, so ein bisschen wir das Wort "Rauschgift" oder "menschenverachtende Untergrundmusik", die ja völlig zurecht auch von Funny van Dannen besungen wurde.

STANDARD: Sehen Sie diese Diskussion als europäisches, vielleicht sogar deutsches Phänomen?

Schiffer: Weniger als europäisches als vielmehr als dezidiert deutsches Phänomen. Klar, auch in den USA wurde gestritten und auch in andere Ländern, aber nirgendwo so erbittert wie in Deutschland. Man darf ja nicht vergessen: Die Forderung nach einem sogenannten "Killerspielverbot", die hat es 2009 ja sogar in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag geschafft, das ist durchaus bemerkenswert.

Ich glaube, dass es spezifische Gründe gibt, weshalb die Debatte hier so scharf geführt wurde. Da ist diese sonderbare Unterscheidung in E und U, in ernste Kultur und irgendwie unernste Unterhaltung, die dazu führt, dass neue Medien es hierzulande besonders schwer haben. Entscheidend aber war wohl, dass in der der Ablehnung von "Killerspielen" in Deutschland sehr unterschiedliche politische Milieus zueinanderfanden. Auf der einen Seite gab es historisch bedingt eine stark friedensbewegte Szene, zu der traditionell auch viele Pädagogen gehörten. Da gibt es faszinierende Zeitdokumente, etwa den "Aufruf gegen Computergewalt", in dem Computerspiele als "Landminen für die Seele" gebrandmarkt werden. Auf der anderen Seite hatten wir Law-and Order-Politiker, wie etwa den ehemaligen bayerischen Innenminister Günther Beckstein. Eigentlich hatten diese beiden politischen Milieus wenig inhaltliche Schnittmengen, aber beim Thema "Killerspiele" waren sie sich absolut einig und das führte zu großer politischer Schlagkraft.

STANDARD: Was hat Sie dazu veranlasst, Jahre nach der "Killerspiel"-Diskussion, dieses Thema wieder aufzugreifen?

Schiffer: Ich interessiere mich nicht nur für Computerspiele, sondern bin ja auch Politikwissenschaftler und Journalist. Und die "Killerspiel"-Debatte war eben einer der ganz großen gesellschaftlichen Konflikte meiner Generation. Für mich war das fast wie ein Geschenk, sich dieser Debatte nochmal nähern zu können mit etwas Abstand. Anfangs gab es auch Kritik: "Warum wärmst du diese olle Kamelle wieder auf?!". Aber es geht nicht ums Aufwärmen, es geht ums Verstehen. Die "Killerspiel"-Debatte ist eben nicht nur eine Auseinandersetzung um ein neues Medium, sondern sie erzählt auch einiges über unsere Gesellschaft.

Und mir war wichtig, die Protagonisten fair zu behandeln. Natürlich kann man sich darüber lustig machen, dass die Bundesprüfstelle 1984 im harmlosen Pixelspiel "River Raid" eine "paramilitärische Ausbildung" erkennen wollte, aber viel aufregender ist doch die Frage: Warum taten sie das? Was waren die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die das befördert haben? Welche Rolle spielt es, dass wir uns damals mitten im Kalten Krieg befunden haben? Genauso Beckstein: Wie kam er darauf, das Wort "Killerspiele" zu erfinden? Und was ist mit den Gamern? Die "Killerspiel"-Debatte war ja auch der große Konflikt, in dem das aufkeimende Netz eine große Rolle spielte. In diesem Streit laufen einfach viele Fäden zusammen und das macht ihn so aufregend.

STANDARD: Die Dokumentation beginnt chronologisch recht früh in der Geschichte des Mediums – wie hat sich die gesellschaftliche Diskussion verändert?

Schiffer: Ja, die Geschichte beginnt schon 1976, also beim ersten Spiel, dass man als "Killerspiel" bezeichnen könnte, bei "Death Race". Wir feiern dieses Jahr also 40 Jahre "Killerspiele", wenn man so will. In Deutschland spielte anfangs vor allem der Begriff der "Gewaltverherrlichung" eine große Rolle, man wollte vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der deutschen Vergangenheit einfach nicht, dass Kinder Krieg spielen. Da ging es noch gar nicht um Amokläufe oder Ähnliches, da ging es vielmehr um die inhaltlichen und ideologischen Aussagen der Spiele. Das finde ich durchaus interessant, weil das eigentlich eine völlig nachvollziehbare Herangehensweise ist und viel plausibler als das, was später kam, als dann nur über die Form und kaum noch über den Inhalt der Spiele diskutiert wurde.

In den 90ern hat sich dann die Debatte sehr schnell geändert, da ging es nicht mehr um Gewaltverherrlichung, sondern um die Frage, ob Spiele Kinder und Jugendlichen zu Amokläufen machen, ob man mit ihnen das Töten trainieren könne. Verantwortlich dafür waren natürlich die ersten Ego-Shooter, die damals einen regelrechten "Realitätsschock" auslösten und dann kam es in den USA ja auch zu den ersten Amokläufen.

Heute hat sich die Debatte weitgehend versachlicht, wobei die kurze Debatte nach dem Amoklauf in München zeigt, dass die "Killerspiel"-Phobie in Spurenelementen immer noch vorhanden ist. Und natürlich steht uns der nächste "Realismusschock" gerade ins Haus, nämlich in Form der virtuellen Realität. Hier wird noch so gut wie gar nicht auf Menschen geschossen und wenn, dann wirken die Menschen sehr wenig individuell. Aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis jemand das "Death Race" der virtuellen Realität herausbringt und dann geht alles wieder von vorne los.

STANDARD: War es schwer, prominente "Antagonisten" dieser Debatte wie Elke Monssen-Engberding, damals Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, oder Günter Beckstein, damals CSU-Staatsminister des Inneren, vor die Kamera zu bringen?

Schiffer: Nein, überhaupt nicht, beide sind ja Profis. Elke Monssen-Engberding hat sehr offen darüber geredet, welchem Druck auch ihre Behörde ausgesetzt war. Man darf nicht vergessen, dass sich die Bundesprüfstelle damals gegen die Indizierung von "Counter-Strike" gewandt hat, was ausgesprochen mutig war. In solchen Behörden arbeiten ja keine Deppen, die kennen sich zum Teil sehr aus mit dem, was sie dort beurteilen – und die haben auch einiges gesehen. Frau Monssen-Engbeding hat mir im Aufzug der Bundesprüfstelle zum Beispiel erzählt, dass sie niemals etwas mit Kannibalen-Filmen konnte und da ist mir dann schlagartig klar geworden, dass diese kleine, zierliche 65 Jahre alte Dame im Laufe der Jahrzehnte ja Unmengen an Kannibalenfilmen gesehen haben muss!

Auch Günther Beckstein hat sofort zugesagt. Man weiß ja über Beckstein, dass er ein sehr geselliger Typ ist, an Fasching will jeder an seinem Tisch sitzen, er kann privat auch gut mit Leuten wie Claudia Roth und Gregor Gysi und so weiter. Im Interview wurde dann auch klar warum: Das ist einfach ein echt lustiger Typ, dem man gerne zuhört und der auch Spaß hat am politischen Streit. Sowohl Monssen-Engbeding als auch Beckstein mussten sich natürlich kritische Fragen gefallen lassen, aber ausgewichen sind sie nie.

Christian Pfeiffer hätte ich gerne noch mit dabeigehabt, einfach weil er Teil war der "Killerspiel"-Debatte, hier kam aber leider kein Interview zustande. Schade, seine Sichtweise hätte mich interessiert, denn Pfeiffer hat ja durchaus unbestrittene Verdienste, etwa wenn in Deutschland über die Kriminalität junger Migranten diskutiert wird. Es hätte mich interessiert, wie und warum er damals das Computerspielthema so sehr für sich entdeckt hat.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Stellungnahmen von ehemaligen Verbotsverfechtern wie Beckstein zum Thema in der Dokumentation?

Schiffer: Beckstein ist natürlich ein durch und durch konservativer Mensch, jemand, der an die Familie glaubt und an christliche Werte. Wir hatten 1999 den ersten Amoklauf hier in Deutschland und er fand ausgerechnet in Bad Reichenhall statt. Hier in Bayern sind wir nicht gerade arm an ländlicher Idylle, aber Bad Reichenhall, das ist wirklich ein Abziehbild an heiler Welt, das ist ein Ort, da fährt man zur Kur hin oder weil man das Salzbergwerk sehen möchte, da gibt’s überall Berge und Fachwerkhäuser. Und ausgerechnet da erschießt ein 16-Jähriger ohne ersichtlichen Grund Menschen! Für jemanden wie Beckstein ist das natürlich ein Schock, das geht gegen alles, woran ein konservativer Politiker glaubt.

Und etwas kommt hinzu, das aber in der Öffentlichkeit weniger einer Rolle gespielt hat: Wir hatten es zu der Zeit nicht nur mit Amokläufen zu tun, sondern mit einer generell steigenden Jugendgewalt, 2009 etwa wurde hier in München der Manager Dominik Brunner an einer S-Bahnstation totgeschlagen. Die Jugendgewalt stieg, es gab Amokläufe und das ist einer Zeit, in der Computerspiele immer mehr Verbreitung fanden. Man darf sich nicht wundern, wenn sich das alles dann im Kopfe eines konservativen CSU-Innenministers zu einem recht plausiblen Gesamtbild zusammensetzt. Diesen Hintergrund hat Beckstein auch erläutert, dem ging es nicht darum, Leuten ihren Spaß zu nehmen, der wollte wirklich für mehr Sicherheit sorgen. Mittlerweile ist die Jugendkriminalität aber wieder zurückgegangen, obwohl Computerspiele noch mehr verbreitet sind, und bis München gab es über Jahre keinen Amoklauf. Das hat natürlich auch jemanden wie Beckstein zum Nachdenken gebracht.

Ich teile Becksteins Position nicht, aber ich finde es wichtig, dass man versucht seine Beweggründe zu verstehen. Das war auch generell immer so ein Problem der Debatte, Empathie war da nur in homöophatischen Dosen vorhanden, wenn überhaupt.

STANDARD: Wie beurteilen Sie den Effekt dieser Debatte – auch in Hinblick auf die reißerischen, journalistisch fragwürdigen Beiträge in deutschen Medien – auf die spielende Community?

Schiffer: Das Ganze war zum Teil ja auch ein Generationenkonflikt und ich habe den ja auch selbst mitbekommen. Ich habe mich wahnsinnig oft geärgert über schlecht recherchierte und tendenziöse Beiträge. Und offen gestanden glaube ich, dass die Wirkung verheerend war, was die Glaubwürdigkeit der Qualitätsmedien angeht, auch die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, für den ich ja selbst arbeite. Ich habe mich in meinen Recherchen durch viele ARD-Beiträge gewühlt, zum Teil sind da auch richtig gute Sachen dabei gewesen, Radiobeiträge oder Beiträge aus dem Regionalfernsehen, die sich voller Neugierde auf ein neues Medium gestürzt haben. Aber vor allem in den großen bundesweiten Sendungen liefen auch Beiträge, die einen schon fassungslos machen, wo etwa behauptet wird, in dem Spiel "Grand Theft Auto: San Andreas" gehe es darum, möglichst viele Frauen zu vergewaltigen, dieser Unsinn wurde dann auch noch mit "Rape me" von Nirvana unterlegt. Natürlich: Fehler passieren, aber es wäre gut gewesen, man hätte damals klipp und klar im Nachhinein solche Fehler eingeräumt.

Mitte/Ende der Nullerjahre ging es ja auch schon los mit Youtube, mit sozialen Netzwerken Blogs und so weiter, eine Art fünfte Gewalt entstand, die wiederum die vierte Gewalt, also die Medien, überwachte. Solche Fehler "versendeten" sich also nicht mehr, sondern wurden kritisch kommentiert, es gab die ersten Shitstorms. Die "Killerspiel"-Debatte hat also viel von dem vorweggenommen, was wir heute, in verschärfter Form, auch erleben, bis hin zum "Lügenpresse"-Geschrei. Umso wichtiger wäre es damals gewesen, die Kritik ernst zu nehmen und angemessen darauf zu reagieren, schließlich hatte man es ja vor allem mit jungen Menschen zu tun, die eigentlich an die Medien geglaubt hatten und dann bitter enttäuscht wurden.

STANDARD: Würden Sie sagen, dass diese Debatte Spielerinnen und Spieler gegenüber Kritik "von außen" sensibilisiert hat? Auch in Hinblick auf spätere, als "Angriff" empfundene Kritik etwa in Sachen Sexismus?

Schiffer: Ja, schon. Es hat sich natürlich auf Seite der Spieler mit der Zeit ein gewisser Korpsgeist herausgebildet. Das ist ja auch klar: Über ein Jahrzehnt mussten sie Angriffe gegen ihr Hobby abwehren, das hat natürlich etwas mit ihnen gemacht. Angriffe auf Computerspiele abzuwehren wird dann irgendwann zur Default-Einstellung und wenn dann Computerspiele aus einem völlig anderen Grund kritisiert werden, dann ist diese Default-Einstellung immer noch aktiv.

Allerdings sehe ich da schon einen Wandel. Viele Menschen, die Computerspiele mögen, wissen mittlerweile, dass Computerspiele nicht gleich zu Staub zerfallen, nur weil man sie mal kritisiert.

STANDARD: Wie waren die Reaktionen auf die Dokumentation – vonseiten der spielenden, aber auch der nicht-spielenden Öffentlichkeit?

Schiffer: Insgesamt sehr positiv. Am Anfang gab es bei den Gamern natürlich einige Beschwerden, weil das Wort "Killerspiel" im Titel auftaucht und dass die Doku ausgerechnet im ZDF kam, hat das Misstrauen auch nicht gerade abgebaut, denn das ZDF hatte zu Hochzeiten der Debatte mit die umstrittensten Beiträge ausgestrahlt.

Aber als die Dokus dann draußen waren, gab es schon eine Menge Lob. Von der nichtspielenden Öffentlichkeit gab es dagegen kaum Reaktionen, vielleicht ist da das Thema aber auch einfach durch, die Karawane ist weitergezogen. Heute beschäftigt man sich dort Cybermobbing, Datenschutz, Hatespeech, dem Darknet und was weiß ich, da spielen Computerspiele wohl einfach keine so allzu große Rolle mehr.

Im Frühsommer 2016, also bereits nach der Ausstrahlung der ersten beiden Teile der Doku, kamen anlässlich der Gewalttaten in Deutschland erneut reflexhafte Forderungen nach dieser Art von Medienkontrolle – ist das die "Killerspieldebatte reloaded"?

Ich war schon recht überrascht, dass das Thema überhaupt nochmal aufs politische Tableau gebracht wurde, vor allem bei diesem Fall. Der Täter war ja in psychischer Behandlung, wurde gemobbt, hing fragwürdigen politischen Ideen an, da muss man erst einmal drauf kommen, ausgerechnet die Schuld bei "Killerspielen" zu suchen.

Es zeigt sich allerdings schnell, dass diese neue "Killerspiel"-Debatte mehr so ein kleineres Strohfeuer war. Bis auf den Innenminister Thomas DeMaziére hat kaum ein Politiker die Schuld bei "Killerspielen" gesucht, auch Verbotsforderungen gab es so gut wie keine. Und die Medien haben eine andere Rolle gespielt als früher und haben zum Beispiel darauf hingewiesen, dass es nach wie vor außerordentlich umstritten ist, ob Computerspiele Amokläufe provozieren.

STANDARD: Gibt es einen Fortschritt in der Debatte?

Schiffer: Ich glaube schon. Ich hasse den Satz zwar, aber ein wenig sind Spiele eben doch "in der Mitte der Gesellschaft angekommen". Viele, die damals betroffen waren, sind heute selbst Journalisten oder Politiker, der Diskurs über Spiele in Medien und der Wissenschaft findet heute auf einem anderen Niveau statt als noch vor zehn Jahren.

Wenn man sich heute die Beiträge von damals anschaut wo vom Joystick die Rede ist als "Freudenstock mit eingebautem Tötungsknopf" – da können fast schon nostalgische Gefühle aufkommen. (Rainer Sigl, 20.9.2016)