Das Tätowieren hat mich schon immer fasziniert. Deshalb habe ich bereits mit 19 Jahren damit begonnen. Es war irgendwie logisch, weil ich schon als Kind gemerkt habe, dass ich gut zeichnen kann, und wusste, dass ich keinen normalen Job machen möchte. Ich war eben lieber ein Außenseiter der Gesellschaft, um meine Freiheiten zu haben. Tätowieren war für mich ein Weg zu überleben, und das alles, ohne am normalen Leben teilnehmen zu müssen.

Mein erstes Tattoo habe ich einem Freund gestochen. Er wollte es unbedingt, weil er meine Zeichnungen mochte. Am Anfang war ich natürlich unsicher, weil ich nicht wusste, wie man überhaupt tätowiert. Doch meinen Vorschlag, dass ich das Motiv zeichne und jemand anders es ihm in die Haut tätowiert, fand er gar nicht gut. Er wollte unbedingt, dass ich ihn tätowiere, und so stand er eines Tages mit einem kompletten Tattoo-Equipment vor meiner Türe. Er sagte, es sei kein Geschenk, sondern ich könne es abbezahlen, indem ich ihn damit tätowierte. Es war total überwältigend und komisch zugleich. Da war plötzlich ein Mensch, der mehr an dich glaubte als du selbst. Aber es gab mir diesen Ruck, den ich offenbar gebraucht habe.

Scott Campbell
Foto: Hennessy/Dimitri coste

Das war der Beginn meiner Tattoo-Karriere, die meine Familie alles andere als gut fand. Ich komme aus einem sehr konservativen Haus. Als ich meinen Eltern von meinen Zukunftsplänen als Tätowierer erzählte, haben sie sich gefragt, was sie bei meiner Erziehung falsch gemacht haben. Ihre Enttäuschung zu spüren war hart für mich. Ich denke, richtig akzeptiert haben sie es erst, als ich ihnen von meiner Kooperation mit Louis Vuitton erzählte. Das Paket mit den vielen Taschen, das ich ihnen geschickt habe, dürfte sie überzeugt haben. Eigentlich müsste ich Louis Vuitton dafür danken.

Ich finde es spannend, ab und zu Dinge für Firmen zu designen. Jetzt habe ich gerade eine Flasche für Hennessy designt. Der Prozess ist sehr ähnlich dem einer Tätowierung. Der Kunde erzählt mir seine Geschichte, und ich versuche, diese umzusetzen.

Hinter Gittern

Das Image von Tätowierern und Tätowierten war nicht immer so gut. Früher waren es vor allem die wilden Jungs, wie Häftlinge oder Biker, die Tattoos getragen haben. Ich bin ins Gefängnis gegangen, um mir die Tattoos der Häftlinge anzusehen. Im Knast haben alle eine Nummer und müssen alle die gleiche Kleidung tragen. Tattoos sind die einzige Möglichkeit, um sich von anderen zu unterscheiden und ein bisschen Persönlichkeit zu zeigen. Das war sehr spannend für mich.

Heute sind Tattoos eine Art Popkultur. Überall sieht man tätowierte Leute. Ich denke, es ist eine Art zu kommunizieren. Das ist wie bei der Mode. Tattoos können eine Ergänzung zum persönlichen Stil sein. Die Frage ist heute nicht: Hast du ein Tattoo?, sondern: Welches Tattoo hast du. Menschen wird dadurch mehr Beachtung geschenkt. Das finde ich schön. Wenn man heute in New York in eine Bank geht, kann es passieren, dass der Schaltermitarbeiter komplett tätowiert ist. Das hätte es früher nicht gegeben.

Mundpropaganda

Internationale Stars haben natürlich auch dazu beigetragen. Und manche davon habe ich tätowiert. Der erste Prominente, dem ich ein Tattoo verpasst habe, war Marc Jacobs. Danach ging alles über Mundpropaganda. Irgendwann stand plötzlich Heath Ledger in meinem Studio. Ich kannte ihn nicht, weil ich den Film "Brokeback Mountain" nicht gesehen hatte. Er war für mich einfach ein nervöser Australier, der ein Tattoo wollte. Ich habe erst gecheckt, dass der Typ berühmt sein muss, als mehrere Fotografen vor meinem Studio standen.

Es macht keinen Unterschied für mich, ob ich einen vorbestraften Biker tätowiere oder einen Hollywood-Star. Die meisten Menschen sind sich sehr ähnlich, wenn sie beim Tätowierer sitzen. Ich mache einfach meinen Job. Und dabei geht es um einen sehr intimen Austausch. Daher kann ich natürlich auch nicht aus dem Nähkästchen plaudern und Geschichten von Stars erzählen. Es ist, wie wenn man zum Arzt geht.

Ob es bei Tattoos im Moment einen Trend gibt? Ich denke, der Trend ist, jedem Trend aus dem Weg zu gehen. Jeder möchte einzigartig sein. Früher gab es viele Leute, die sich Arschgeweihe oder chinesische Buchstaben tätowieren ließen. Das war, bevor es soziale Netzwerke wie Instagram gab. Heute weiß man, wie vielfältig die Tattoo-Welt ist und dass man sich alles tätowieren lassen kann, was man will.

Scott Campbell tätowiert sich nicht nur selbst, sondern lässt auch Promis an seinen Körper. Jonny Depp hat ihm bereits ein Tattoo verpasst.
Foto: Hennessy/Dimitri Coste

Die Haut als Tagebuch

Ich habe mir zum Beispiel den Schriftzug "Noblesse Oblige" auf den oberen Brustkorb tätowieren lassen. Der Hintergrund ist, dass meine Großmutter französische Wurzeln hatte. Es ist etwas paradox, weil sie aus einer sehr armen Familie kam und alles andere als nobel war. Es ist eher ironisch gemeint. Generell nehme ich meine Tattoos nicht so ernst und sehe sie nicht als Statement. Vielmehr ist es die Dokumentation der letzten 25 Jahre meines Lebens mit Andenken an besondere Momente und Menschen. Ich vergleiche meinen Körper mit der Toilette einer alten und versifften Bar.

Mich haben viele Menschen tätowiert, die gar keine Tätowierer sind. Johnny Depp zum Beispiel stach mir ein Tattoo auf den Rücken. Aber auch Justin Theroux, der Mann von Jennifer Aniston, hat mich einige Male tätowiert. Wenn meine Tochter irgendwann zu mir kommt und sagt, sie möchte ein Tattoo, kann ich es ihr nicht verbieten. Meine Kinder werden aber eher von Tattoos weglaufen, weil ihr Vater welche hat.

In einigen Jahren wird es ganz normal sein, dass auch alte Menschen mit Tattoos herumlaufen. Aber ich denke, das werden die Menschen sein, mit denen du rumhängen willst, weil sie sicher etwas zu erzählen haben. (Alex Stranig, RONDO, 4.10.2016)