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Die drei Chemienobelpreisträger von links: Jean-Pierre Sauvage, Sir J. Fraser Stoddart und Bernard L. Feringa.

Foto: REUTERS, Vincent Kessler/Northwestern University/University of Groningen

Modell eines 4 x 2 Nanometer kleinen Molekül-Autos, das auf seinen elektrisch angetriebenen Rädern über eine Kupferoberfläche fährt. Entwickelt wurde es von Neo-Nobelpreisträger Feringa zusammen mit Karl-Heinz Ernst von der Schweizer Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt.

Illustration: Karl-Heinz Ernst/EMPA

Stockholm – Der heurige Chemienobelpreis geht an drei Forscher aus dem Bereich der Nanowissenschaften: den Franzosen Jean-Pierre Sauvage, den in den USA arbeitenden Schotten Sir J. Fraser Stoddart und den Niederländer Bernard L. Feringa. Die drei Preisträger wurden für "Design und Synthese von molekularen Maschinen" ausgezeichnet, so die Königlich-Schwedische Akademie.

Die heurigen Laureaten entwickelten Moleküle mit steuerbaren Bewegungen, die bei Zufuhr von Energie Aufgaben ausführen können. Die Akademie betonte unter Verweis auf die Entwicklung von Computern, wie Miniaturisierung von Technologie zu einer Revolution führen kann. Die drei Nobelpreisträger hätten Maschinen miniaturisiert, wodurch die Chemie eine neue Dimension erreicht habe.

Forschungsarbeiten bauten aufeinander auf

Wie klein kann man Maschinen machen? Das war eine Frage, die der US-amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman 1984 in einer berühmten Rede stellte – ebenjener Feynman, der bereits in den 1950er-Jahren prophetische Bemerkungen zum Forschungsbereich der Nanotechnologie angestellt hatte. Bei der Herstellung solcher ultrakleinen Maschinen gab es viele Rückschläge. Aber kurz vor Feynmans Rede hatte es in Frankreich auch bereits einen ersten Durchbruch gegeben.

Diesen ersten Schritt in Richtung einer molekularen Maschine unternahm 1983 Jean-Pierre Sauvage, als er durch die Verknüpfung zweier ringförmiger Moleküle eine Catenan genannte Kette konstruieren konnte. Normalerweise sorgt die sogenannte kovalente Bindung der Atome, eine chemische Bindung über gemeinsame Elektronen, für den Zusammenhalt der Moleküle. In einer solchen Kette wirkt hingegen eine freiere mechanische Bindung. Das ist eine Grundvoraussetzung für eine Maschine, um Aufgaben auszuführen, denn ihre Teile müssen sich relativ zueinander bewegen können. Sauvages zwei ineinandergreifende Ringe erfüllten diese Anforderung.

Den zweiten Schritt unternahm Fraser Stoddart im Jahr 1991, als er ein sogenanntes Rotaxan entwickelte. Er verband einen molekularen Ring mit einer dünnen molekularen Achse und zeigte damit, dass der Ring in der Lage ist, sich entlang der Achse zu bewegen. Auf dieser Basis entstanden auch ein molekularer Lift, ein "molekularer Muskel" und ein Molekül-basierter Computerchip.

Das Nanocar, das kleinste "Auto" der Welt.
Illustration: Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences

Bernard Feringa wiederum war 1999 der Erste, der ein Motorprotein konstruierte – das ist ein molekulares Rotorblatt, das sich kontinuierlich in dieselbe Richtung dreht. Mit Motorproteinen konnte er einen Glaszylinder rotieren lassen, der 10.000-mal größer als das Protein ist. Außerdem designte er ein sogenanntes Nanocar – eine Formation von Atomen, die als Fahrzeug angeordnet sind.

In der Begründung der Königlich-Schwedischen Akademie hieß es, dass solche molekularen Motoren heute in etwa auf der gleichen Stufe stehen wie der Elektromotor in den 1830er-Jahren – also gerade erst am Anfang. Es sei aber absehbar, dass molekulare Maschinen schon bald bei der Entwicklung von neuen Materialien, Sensoren und Energiespeichersystemen verwendet werden. Ein anderes Beispiel gab Bernard Feringa bei der Pressekonferenz, zu der er live zugeschaltet war: Man werde solche Nanogeräte irgendwann auch durch unseren Körper schicken können, um Krebs aufzuspüren.

Anwendungen in Medizin

Für den Chemiker Nuno Maulide von der Uni Wien ist die Vergabe des Chemienobelpreises für molekulare Maschinen "außergewöhnlich. Vor allem, weil es sich um ein erst im Entstehen befindliches Gebiet handelt." Normalerweise würde das Nobelpreiskomitee Arbeiten bevorzugen, die schon Anwendungen gefunden haben. Künftig könnten die Minimaschinen auch in der Medizin eingesetzt werden. Die drei Preisträger hätten bewiesen, dass man auf molekularer Ebene Bewegung kontrollieren und solche Maschinen auch Arbeiten verrichten lassen kann; neben ihnen gebe es allerdings noch andere Wissenschafter, die hier Herausragendes leisten, daher ist die Vergabe für Maulide auch "ein wenig kontrovers".

Nun stelle sich vor allem die Frage, in welche Richtungen sich Anwendungen entwickeln lassen. "Man könnte sich eine molekulare Maschine vorstellen, die ganz gezielt einen Wirkstoff im Körper liefert", so Maulide. Auch für Mario Waser vom Institut für Organische Chemie der Universität Linz ist das eine vielversprechende Richtung, in die es gehen könnte. Feringa selbst denke in Vorträgen ebenfalls vor allem an solche Anwendungen.

Die Idee zu molekularen Maschinen stehe seit einigen Jahrzehnten im Raum. "Mit den Muskeln haben wir ja auch im Körper solche Maschinen", so Waser. Ein Problem sei, dass die bisherigen Maschinen mit Licht oder elektrischem Strom stimuliert werden. "Es wird wahrscheinlich in Zukunft auch Systeme geben, die mit chemischen Stimuli arbeiten", sagt Waser. Das wäre dann für die Medizin interessanter.

Der Nobelpreis für die drei Wissenschafter sei jedenfalls "sehr verdient", so der Linzer Forscher, den es auch freute, dass heuer "so richtig klassische Chemiker" die Auszeichnung erhalten. Vor allem Stoddart und Feringa seien über das rein Fachliche hinaus "absolut spektakuläre Vortragende, die auch in der Community unglaublich angesehen sind. Das gilt auch für Sauvage."

Als Feringa von der Auszeichnung erfuhr, zeigte sich der Wissenschafter überwältigt. "Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und war ein bisschen geschockt, weil das so eine große Überraschung war", sagte der Wissenschafter, der nach der Verkündung in Stockholm per Telefon zugeschaltet war. "Meine zweite Reaktion war, dass ich mich so geehrt fühle, und dass es mich berührt."

Preisgeld wird erneut durch drei geteilt

Im vergangenen Jahr ging der Chemienobelpreis an Tomas Lindahl, Paul Modrich und Aziz Sancar, die für die Entschlüsselung der DNA-Reparatur ausgezeichnet wurden.

Alle Nobelpreise sind mit je acht Millionen schwedischen Kronen (umgerechnet etwa 831.500 Euro) dotiert. Überreicht werden sie am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel. (red, 5.10.2016)