Diese Visualisierung zeigt das Größenverhältnis der beiden Verschmelzungen Schwarzer Löcher, von denen Gravitationswellen gemessen werden konnten – die erstmalige Messung im September 2015 stammt vom linken Ereignis; die Gravitationswellen, die am 26. Dezember die Erde erreichten, von kleinen Schwarzen Löchern (rechts).

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Für Sascha Husa hat ein Preis, bei dem seine PhD-Studenten Geld bekommen, mehr Bedeutung als der Nobelpreis.

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STANDARD: Die Vorhersage von Gravitationswellen durch Albert Einstein liegt hundert Jahre zurück – warum blieb es jahrzehntelang unklar, ob sie tatsächlich existieren?

Husa: Einsteins allgemeine Relativitätstheorie ist eine äußerst komplizierte Theorie. Man kann sie zwar einfach hinschreiben, aber seit hundert Jahren arbeiten Wissenschafter daran, daraus Vorhersagen für Ereignisse im Universum zu machen. Dass sich die Existenz von Schwarzen Löchern aus der allgemeinen Relativitätstheorie ableiten lässt, wurde erst in den 1960er-Jahren klar. Es dauert also Jahrzehnte, bis man versteht, was die Theorie beinhaltet. Deswegen ist nicht verwunderlich, dass zunächst nicht klar war, ob Gravitationswellen eine zulässige Interpretation sind.

STANDARD: Die theoretische Vorhersage ist das eine, der praktische Nachweis das andere – wie ist man dabei vorgegangen?

Husa: Die ersten Ideen dazu hatte Joseph Weber in 1960er-Jahren. Er konstruierte riesige Zylinder, die durch Gravitationswellen in Resonanz versetzt werden sollten. An verschiedenen Orten der Welt wurden solche Zylinder betrieben. Das Tragische war, dass Weber behauptet hat, Gravitationswellen gemessen zu haben. Darüber gab es eine sehr lange und bittere Debatte. Viele Leute haben versucht, das Experiment nachzuvollziehen, sind aber gescheitert. Stattdessen hat man Fehler in seinen Rechnungen gefunden. Auch wenn es ihm nicht gelungen ist, Gravitationswellen zu messen, muss man sagen, dass Webers Idee sehr gut war und das Gebiet erst ins Rollen gebracht hat. Viele haben erst dadurch begonnen, sich damit zu beschäftigen, und so kam die Idee von Interferometern auf.

STANDARD: Das Gravitationswellenobservatorium Ligo basiert auf Interferometern. Sie sind an der Ligo-Collaboration beteiligt, die im Februar dieses Jahres den erstmaligen Nachweis präsentiert hat. Wie funktioniert das Experiment?

Husa: Die Grundidee der Interferometrie ist, dass man einen Lichtstrahl in zwei Teilstrahlen aufspaltet, die verschiedene Wege gehen. Anschließend führt man sie wieder zusammen. Wenn dabei Wellenberg auf Wellental trifft, löschen sich die Lichtstrahlen aus. Wenn einer der Lichtstrahlen einen längeren Weg zurücklegen muss – weil zum Beispiel eine Gravitationswelle durch die Apparatur läuft und die Länge der Arme ändert -, wird ein Signal gemessen.

STANDARD: Am 14. 9. 2015 um 10.51 Uhr MEZ haben Gravitationswellen die Ligo-Detektoren erreicht. Wann wurde das Signal entdeckt?

Husa: Es gibt verschiedene Computercodes, die nach den Signalen mit unterschiedlichen Typen von Algorithmen suchen. Innerhalb der ersten drei Minuten konnte einer der Codes das Signal feststellen. Dann wurden sofort die ersten Checks durchgeführt. Die wahrscheinlichste Erklärung war zunächst, dass es ein Testsignal war. Es gab aber keine Aufzeichnungen, dass ein Testsignal eingespeist worden war. Nach einer Stunde kam die erste E-Mail, dass etwas Interessantes gefunden worden war. Innerhalb weniger Stunden brach dann eine Lawine an E-Mails und Diskussionen los.

STANDARD: Wie ging es dann weiter?

Husa: In der ersten Zeit gab es wahnsinnig viele E-Mails. Bis Dezember war es sehr anstrengend, alles wurde mehrfach gegengecheckt. Die Geheimhaltung wurde schon vorab vereinbart. Auch gab es eine Abstimmung, wo mögliche Resultate publiziert werden würden. Mit großer Mehrheit haben wir uns für die Zeitschrift "Physical Review Letters" entschieden.

STANDARD: Warum?

Husa: Einer der Hauptgründe war, dass "Nature" und "Science" zwar schillernde Journale sind, aber kommerzielle Unternehmen, und viele hatten das Gefühl, dass die Resultate wichtig genug sind, diese Publicity nicht zu brauchen, und es besser ist, in einer öffentlichen Institution zu publizieren.

STANDARD: Was ist Ihre Aufgabe in der Ligo-Collaboration?

Husa: Woran ich gemeinsam mit Patricia Schmidt, Michael Pürrer und anderen gearbeitet habe, waren Modelle für Wellenformen. Man kann das schwer direkt aus den Einstein-Gleichungen ableiten und muss Näherungen machen. In diese Formeln kann man hineinstecken, wie groß die Massen der Schwarzen Löcher sind und wie schnell sie sich drehen, und dann bekommt man heraus, wie die Gravitationswellen aussehen müssen. Diese Modelle wurden für die Datenaufnahme bei Ligo verwendet. Meine Hauptaufgabe nach der Entdeckung war, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die diese Modelle prüfen. Außerdem war ich ein interner Gutachter für den Code, der das Signal zuerst entdeckt hat.

STANDARD: Bisher konnten zwei Mal Gravitationswellen gemessen werden, weiters gibt es ein fragliches Signal – gibt es dazu schon Resultate? Und wann ist mit weiteren Gravitationswellen zu rechnen?

Husa: Das dritte Ereignis stammt mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent von Gravitationswellen, es wäre überraschend, wenn es sich nicht um Gravitationswellen handeln würde. Der zweite Durchlauf beginnt im November oder Anfang Dezember. Davor wird es einige Wochen lang einen Testbetrieb geben – ab dann gibt es die Chance für neue Entdeckungen.

STANDARD: Heuer ist nichts aus dem Nobelpreis geworden – enttäuscht?

Husa: Ich finde es interessant, wie solche Entscheidungen getroffen werden und dass der Preis für die Medien so bedeutsam ist. Falls der Nobelpreis einmal an Ligo vergeben wird, werden wir das wahrscheinlich in Forschungsanträge schreiben, sonst ist der Preis nicht sehr bedeutungsvoll für uns. Es hat aber einige andere Preise gegeben, dieses Jahr gab es bei einem Geld für die ganze Kollaboration. Da hat jeder knapp 2000 Euro bekommen, für unsere PhD-Studenten sind das zwei Monatsgehälter – das hat für mich mehr Bedeutung als der Nobelpreis.

STANDARD: Bei der Präsentation des Nachweises von Gravitationswellen ist von einer neuen Ära der Astronomie gesprochen worden – was ist damit gemeint?

Husa: In der Astronomie hat es immer wieder Revolutionen gegeben, insbesondere wenn eine neue Art von Instrument verwendet wurde. Mit den Gravitationswellen ist es ähnlich: Wir wissen, dass es verschiedene Objekte gibt, die mit elektromagnetischen Wellen sehr schlecht sichtbar sind – wie Schwarze Löcher, das frühe Universum oder das Innere von Supernova-Explosionen. Gravitationswellen bieten die Möglichkeit, Dinge zu beobachten, zu denen wir bisher keinen Zugang hatten. Die jetzige Situation ist deswegen so interessant, weil sich mehrere neue Felder erschließen: neben Gravitationswellen Neutrinobeobachtungen und Messungen von hochenergetischen kosmischen Teilchen. Wir erwarten eine Lawine neuer faszinierender Beobachtungen. Die Hoffnung dabei ist, dass diese Daten gemeinsam uns in den nächsten Jahren ein neues Bild des Universums liefern. (Tanja Traxler, 9.10.2016)