Es ist ein nicht ganz gerechter Vorwurf, wenn Nichtregierungsorganisationen der EU beziehungsweise den Regierungen der Mitgliedstaaten unterstellen, sie würden sich von Afghanistan quasi ein Rückführungsabkommen im Gegenzug zur Wiederaufbauhilfe "erkaufen".

Die 1,2 Milliarden Euro, die die Union diesem von Taliban, Krieg und Bürgerkrieg verwüsteten Land jährlich bis 2020 zur Verfügung stellt, sind nicht viel. Zumindest verglichen mit dem, was nötig wäre, um Afghanistan endlich wieder etwas stabiler und sicherer zu machen. Die Weltgemeinschaft, die nach den Anschlägen von 9/11 im Jahr 2001 auf UN-Wunsch militärisch intervenierte, hat am Hindukusch nach wie vor eine große Verantwortung zu tragen.

Richtig ist aber, dass man bei der Abschiebung von Afghanen aus Europa, wie das nun offenbar in größerem Umfang geplant ist, besonders vorsichtig vorgehen muss. Die Taliban sind wieder im Vormarsch, viele Gebiete werden eher unsicherer als sicherer. Jeder Asyl- und Bleibeantrag von afghanischen Bürgern muss daher besonders genau geprüft werden, bevor man den Betroffenen ablehnt.

Und es stellt sich auch die Frage, wieso man ausgerechnet bei Afghanistan so schnell war. Es gibt Staaten wie Marokko, Ägypten oder Algerien, aus denen ebenso viele illegal eingereiste Migranten kommen, ohne jede Aussicht auf Bleiberecht. Bei diesen Staaten klappt die Rückführung aus Europa nicht oder nur schlecht, weil die Union säumig war. (Thomas Mayer, 5.10.2016)