Starker Name, schwache Brut: Der Darwinfink auf den Galapagosinseln kommt durch einen eingeschleppten Parasiten in Bedrängnis. Weil es weltweit nur mehr ein paar hundert Exemplare des Vogels gibt, sind schnelle Lösungen gefragt. Der Fink greift zur Selbsthilfe.

Foto: Tebbich

Wien – Nicht alle Menschen, die sich krank fühlen, gehen gleich zum Arzt. Viele greifen auch zu mehr oder weniger bewährten Hausmitteln. Selbstmedikation gibt es aber nicht nur bei den Menschen – auch Tiere kennen dieses Verhalten. So fressen an Malaria erkrankte Schimpansen bittere Blätter, deren Inhaltsstoffe ähnlich wirken wie das Antimalariamittel Chloroquin. Kapuzineraffen reiben sich einen Brei aus zerkauten Blättern zur Insektenabwehr ins Fell. Und von Vögeln kennt man das "Einemsen", bei dem sie sich mit lebenden Ameisen im Schnabel durchs Gefieder fahren. Die Insekten setzen Ameisensäure frei, die Milben und andere Parasiten nicht mögen.

Eine besondere Form der Selbstmedikation haben Sabine Tebbich vom Department für Verhaltensbiologie der Uni Wien und Kollegen im Rahmen ihrer Feldforschung auf den Galapagosinseln bei Darwinfinken beobachtet. Sie berichten davon in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Scientific Reports: Die Vögel reiben ihre Federn mit den Blättern der Galapagos-Guave (Psidium galapageium) ein. Das soll jene Nestparasiten abhalten, die den Finken extrem zusetzen – die eingeschleppte Fliegenart Philornis downsi.

Bedrohter Bestand

Dieses Insekt, das in ausgewachsener Form der Stubenfliege ähnelt, hat eine höchst unangenehme Eigenschaft: Seine Larven ernähren sich vom Blut und von Gewebeteilen verschiedenen Nestlingsarten. Bei den Vögeln reduziert der Blutverlust in Kombination mit den durch die Fliegen verursachten Wunden den Bruterfolg deutlich: Bei manchen Arten sterben bis zu 95 Prozent der Brut. Unter den betroffenen Vögeln finden sich extrem gefährdete Arten, etwa der Mangrovefink, von dem es weltweit nur mehr rund 100 Exemplare gibt, oder der Kleinschnabel-Darwinfink, dessen auf 9000 Tiere geschätzter Bestand aufgrund von Philornis extrem schwindet.

"Auf dem Festland, von wo Philornis eingeschleppt wurde, hat der Parasit rund 30 Prozent der Nester befallen, mit durchschnittlich sechs bis sieben Larven pro Nest", sagt Sabine Tebbich. Das ist vergleichsweise harmlos: "Auf den Galapagosinseln sind mittlerweile alle Nester befallen", so Tebbich, "wir finden im Schnitt 50 Larven in jedem Nest."

Doch nicht nur die Häufigkeit, auch Virulenz und Aggressivität des Parasiten sind gestiegen: "Die Fliegen attackieren die Nester heute in einem viel früheren Stadium", so Tebbich. Offenbar gibt es zwischen den einzelnen Fliegen eine Art Wettlauf: Bis zu sechs Fliegenweibchen legen ihre Eier in die Nester, doch durch den hohen Parasitenbefall sterben die Vogeljungen oft so früh, dass viele der Larven ihren Entwicklungszyklus nicht abschließen können. "Unter diesen Umständen gewinnt die Fliege, die ihre Eier am frühesten ablegt", erklärt Tebbich.

Helfen sich die Vögel in ihrer Not nun selbst? Es gibt Hinweise, dass das so ist: In den letzten vier Jahren beobachteten Tebbich und Kollegen zehn Vertreter von vier Finkenarten dabei, wie sie sich entweder mit Blättern der Galapagos-Guave einrieben oder diese zuerst mit dem Schnabel zerdrückten und sich den Brei aufs Gefieder strichen.

Um herauszufinden, ob die Blätter – wie die Forscher vermuteten – ein natürliches Insektenschutzmittel sind, rekrutierten sie freiwillige Versuchspersonen: 17 Probanden rieben sich je einen Arm und ein Bein mit den zerkleinerten Guavenblättern ein. Dann ließen sie Moskitos 15 Minuten lang ungehindert gewähren. Und tatsächlich wurden die "unbehandelten" Gliedmaßen deutlich häufiger gestochen. Aufbauend auf dieser Beobachtung wurde im Labor getestet, ob sich auch eine bestimmte Mückenart, die häufig Malaria überträgt (Anopheles arabiensis), von der Einreibung abhalten ließ. Die Forscher rieben also blutgefüllte Würste je zur Hälfte mit einem Extrakt aus Himbeerblättern und dem Extrakt der Galapagos-Guave ein.

Auch hier erwiesen sich die mit Guaven-Extrakt bestrichenen Teile für die Blutsauger als deutlich weniger attraktiv. Die Forscher konnten belegen, dass auch Philornis downsi Schaden durch den Kontakt mit der Pflanze nahm: Jene Fliegenlarven, die Hühnerblut durch ein mit den Guavenblättern behandeltes Gewebe saugten, wuchsen langsamer als die Kontrollgruppe, deren Saugstelle nur mit Wasser oder einer "harmlosen" Pflanze behandelt worden war.

Natürliches Insektizid

Dass die Guavenblätter Stoffe enthalten, die den Insekten zusetzen, scheint also sehr wahrscheinlich. Nun gilt es, jene Komponenten der Pflanze zu finden, die für diesen Effekt verantwortlich sind. Das ist nicht nur von akademischem Interesse: Es gibt eine Reihe von Versuchen, bei denen Finkennester erfolgreich mit Insektiziden behandelt wurden. Forscherin Tebbich gibt allerdings zu bedenken, dass "die Galapagosinseln ein sehr sensibles Ökosystem" sind. "Wir wissen nicht, inwieweit sich diese Pestizide auf Organismen auswirken, die gar nicht das Ziel sind." Ein natürliches Insektenmittel in Form einer auf den Inseln heimischen Pflanze könnte ein Ausweg sein.

Möglicherweise ist die Selbstmedikation der Darwinfinken ohnehin ein altes Verhalten, das erst durch die Fliegenplage so gängig wurde, dass es Forscher beobachten konnten. Es kann aber auch sein, dass es sich tatsächlich um eine neue, aus der Not geborene "Erfindung" der Vögel handelt, denn Darwinfinken sind sehr anpassungsfähig. In jedem Fall deutet derzeit alles darauf hin, dass die Fliegen den Siegeszug angetreten haben. Tebbich: "Wenn wir nicht entsprechende Gegenmaßnahmen entwickeln, werden wir einige Arten von Darwinfinken in naher Zukunft mit Sicherheit verlieren." (Susanne Strnadl, 14.10.2016)