Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry: felsenfeste Beziehungen zu Saudi-Arabien und zu den USA und mehr Kooperation mit Russland.

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Wien – Am Ende des einstündigen Gesprächs über den Nahen Osten und Nordafrika, über Ägyptens Beziehungen zu seinen regionalen und westlichen Partnern – und auch deren Kritik an Kairo – will Außenminister Sameh Shoukry selbst noch einmal die seiner Meinung nach "unfaire" Sicht aufgreifen. Es wird ein Appell:

"Wir sind inmitten einer Transformation mit riesigen Herausforderungen. Diese Regierung schafft es, Ägypten stabil zu halten – bei uns passiert nicht, was in Syrien, Libyen, im Irak oder Jemen passiert. Ägypten, das ist ein Drittel der arabischen Welt. Die EU hat Probleme mit Migration aus Syrien? Dann stellen Sie sich vor, Ägypten implodiert. Stellen Sie sich einen Krieg in Ägypten vor und dass sich von hundert Millionen ein Prozent radikalen Ideologien anschließt: Das ist eine Million Menschen. Wenn sich zehn Prozent auf den Weg nach Europa begeben: Das sind zehn Millionen."

STANDARD: Aber Ägypten wird ein Rückschritt bei den Menschenrechten vorgeworfen.

Shoukry: Wir stehen zu unserer Verpflichtung, zum Respekt vor unseren Landsleuten und ihren Rechten. Aber sie haben auch soziale Rechte: Die Leute müssen essen, wohnen, brauchen Ausbildung und Gesundheitsversorgung. Wir haben turbulente Zeiten erlebt, jetzt brauchen wir dringend Stabilität. Bitte, schaut unsere Herausforderungen an und bestraft uns nicht dafür. Wir müssen Geld borgen, um bei Lebensmitteln zu unterstützen, um die Menschen zu ernähren. Wir kämpfen gegen eine radikale Ideologie, die uns in der Zeit zurückkatapultieren will. Es ist unfair, bei der Beurteilung Ägyptens Standards anzulegen, die wir nicht haben. Seht uns nicht nur mit westlichen Augen! Auch was ihr heute seid, wart ihr vor hundert Jahren nicht.

Wir sind auch immer wieder perplex angesichts von Fehlinformationen – wie angeblich 40.000 Verschwundene. Das hat negative Auswirkungen auf die öffentliche Meinung: Die Ägypter reagieren sehr emotional auf Kritik, die sie als nicht rational empfinden.

STANDARD: Das brennendste regionale Problem ist Syrien und speziell Aleppo. Ägypten hat Aufsehen – und Ärger bei den USA und Saudi-Arabien – erregt, indem es im Uno-Sicherheitsrat für den russischen Resolutionsentwurf gestimmt hat. Hat Ägypten den arabischen Konsens gegen das Assad-Regime verlassen?

Shoukry: Wir legen prinzipielle Maßstäbe an, uns geht es um die Meriten des Texts, deshalb haben wird für beide Resolutionsentwürfe gestimmt, für den französischen und für den russischen Gegenentwurf. Beide hatten die Elemente, die es braucht: humanitäre Hilfe, Unterstützung für den politischen Prozess, Kampf gegen den Terrorismus. Wir nehmen nicht an einem Stellvertreterkrieg auf dem Rücken der Syrer teil. Sie sollten jene fragen, die gegen den russischen Entwurf gestimmt haben, was denn drinnen stand, das sie nicht unterstützen konnten.

STANDARD: Russland und das Assad-Regime werden beschuldigt, in Aleppo Zivilisten zu bombardieren. Was schlagen Sie für Aleppo vor?

Shoukry: Einen vollen Waffenstillstand, natürlich außer für den Kampf gegen Terroristen.

STANDARD: Sitzen die inmitten der Zivilisten, wie Russland und das Assad-Regime behaupten?

Shoukry: Es gibt einen allgemeinen Konsens, dass es nötig ist, dass sich die nationale syrische Opposition von Terrororganisationen ablöst. Auch wenn alle mit dem Regimesturz die gleichen Interessen verfolgen, kann die Opposition nicht mit denen zusammenarbeiten, die Terrorismus und Fundamentalismus verbreiten. Wir können nicht Terroristen verschonen, weil sie politische Ziele verfolgen, die auch jene der syrischen Opposition sind, den Regimesturz. Das ist gefährlich.

Wir sind gegen die Fortsetzung des militärischen Konflikts und für einen politischen Prozess, der die legitimen Rechte der Syrer berücksichtigt, die sich Veränderungen wünschen: eine neue Verfassung, mehr Inklusion. Aber alle müssen sich beteiligen können, sie sind alle Syrer, niemand wird sich in Luft auflösen.

STANDARD: Saudi-Arabien hat das ägyptische Stimmverhalten im Uno-Sicherheitsrat an der Seite der Russen als "schmerzlich" bezeichnet. Nun hat die Aramco vorübergehend die Exporte von Ölprodukten an Ägypten eingestellt, und in Kairo wurden Sicherheitsmaßnahmen vor der saudi-arabischen Botschaft reduziert. Gibt es eine Krise?

Shoukry: Vielleicht hat Saudi-Arabien unsere Motive missinterpretiert. Aber wir sollten an diese Fragen nicht emotional herangehen. Die ägyptisch-saudischen Beziehungen sind felsenfest. Wir sind Saudi-Arabien für seine Rolle bei der Wende im Sommer 2013 sehr dankbar (gemeint ist die saudische Unterstützung beim Sturz des Muslimbruder-Präsidenten Mohammed Morsi durch den damaligen Armeechef und jetzigen Präsidenten Abdelfattah al-Sisi, Anm.).

STANDARD: Wohingegen die Beziehungen mit den USA, denen Sie vorwerfen, Morsi unterstützt zu haben, seitdem belastet sind?

Shoukry: Wir haben längst eine andere Seite aufgeschlagen. Wir haben eine jahrzehntelange strategische Partnerschaft mit den USA, und die Koordination ist sehr eng. Erst gestern Abend habe ich wieder lange am Telefon mit Außenminister John Kerry gesprochen. Ägypten braucht eine enge Zusammenarbeit mit den USA und seinen Partnern in der EU. Das heißt nicht, dass man immer einer Meinung sein muss. Aber das tut den guten Beziehungen keinen Abbruch.

STANDARD: Aber dennoch gibt es den Eindruck, dass Russland auch in Ägypten wieder stärker Fuß fasst. Diese Woche gibt es gemeinsame Militärmanöver.

Shoukry: Auch das müssen Sie im Kontext unserer Revolution vom 30. Juni sehen (die Massenproteste, die Morsi stürzten, Anm.). Diese Regierung und dieser Präsident wurden gewählt, um den Wünschen der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Dazu gehört eine inklusive Außenpolitik; eine, die keine nützliche Beziehung zu irgendeinem internationalen Partner ausschließt. Auch zu Russland haben wir historische Beziehungen, und Russland hat bei manchen Kooperationsfeldern klare Vorteile, etwa bei den ägyptischen Industrien, die wir jetzt revitalisieren. Denn dabei handelt es sich um russische Technologie. (Gudrun Harrer, 13.10.2016)