Die gebratene Gans ist bekanntlich fett. Häufig ist sie aber auch trocken, öfters obendrein noch zäh – und manchmal sogar all das gleichzeitig. In Geschmack und Konsistenz überzeugt sie hingegen nur in den allerseltensten Fällen. Und trotzdem beginnt in Kürze wieder der alljährliche landesweite Sturm aufs Gansl (wenn er nicht schon begonnen hat). Ungeachtet besagter fraglicher Eigenschaften des frisch eingebratenen Tieres werden die Österreicher die Wirtshäuser wieder in Scharen stürmen, um wie besessen das obligatorische Viertel-Gansl mit Rotkraut und Knödel zu bestellen. Das ist Ritual – wurscht, ob's gut ist.

In zahlreichen Medien wird die Legende wiedergekaut werden vom heiligen Martin, und wie man es den Gänsen bis heute heimzahlt, dass sie ihn einst verraten haben sollen. Wirte werden sich einerseits die Hände reiben, weil ihre Lokale ausgebucht sind, andererseits auch schwitzen und von schlechtem Gewissen geplagt sein – vor allem dann, wenn sie keinen Kombidämpfer besitzen. Denn ohne das teure technische Gerät ist es eigentlich kaum möglich, die Gänse so lange saftig und knusprig zu halten, wie es braucht, um sie einen ganzen Abend lang in halbwegs genießbaren Portionen zu servieren. Aber was soll's? Die Masse schreit nach Gansl – und die Wirte liefern.

Zugegeben: Es spricht auch einiges für den Gänsebraten. Da wäre zum einen sein Anblick. Vor allem im Ganzen zubereitet ist so ein gebratener Vogel eine imposante und festliche Angelegenheit, keine Frage. Nur ist eine solche ganze Gans eher etwas für den Festtagstisch zu Hause als fürs Wirtshaus. Zum anderen ist es freilich auch kein verwerfliches Verhalten, Gerichte saisonal zu genießen und sich dieserart, zumindest theoretisch, einer längst vergangenen und landwirtschaftlich geprägten Wirklichkeit zu besinnen, als das Leben noch bestimmt war vom Wechsel der Jahreszeiten und im November die Gänse abgestochen wurden.

Gegen den klassischen Gänsebraten ist nichts einzuwenden, es gibt aber spannendere Möglichkeiten, Gans zu essen.
Foto: Georges Desrues

Unangenehm wirkt viel eher das zeitgleiche und massenweise Verlangen nach einem einzigen Gericht; und die einhergehende Gleichschaltung der Essgewohnheiten. Zudem ist auch anzuführen, dass das Federvieh in früheren Zeiten in erster Linie als Fett- und damit Schmalzlieferant gehalten wurde – und viel weniger wegen seines Frischfleisches. Dieses ist – zumindest als Braten – nämlich in der Regel völlig uninteressant und gleichsam geschmacklos wie das jährliche Ritual um es herum und die damit verbundene Massenabspeisung.

Die Gans, die im Magen liegt

Auch wird es wohl kaum jemanden geben, der, wenn er ehrlich ist, nicht zumindest ein Mal schon nach einem Ganslessen völlig unbefriedigt vom Tisch aufstand und sich dachte: Wozu habe ich das jetzt eigentlich gegessen? Zum Gefühl der unerfüllten Erwartungen gesellt sich in der Regel auch jenes des überfüllten Magens – gerne als "gute Unterlage" bezeichnet. Und als Vorwand benutzt, um einen doppelten Obstschnaps zu kippen, der die Verdauung des schwer bekömmlichen Bratens bestenfalls per Placeboeffekt beschleunigt.

Häufig sind das Gelungenste an so einem Essen die Beilagen, also die offenbar unverzichtbare Kombination aus Rotkraut, Knödel und Saftl. Oder aber die Vorspeise, in vielen Fällen eine Gansleinmachsuppe. Diese kann, richtig zubereitet und gepimpt mit reichlich Einlagen wie Gänseklein, Gemüse und Bröselknöderln (nochmals Knödel!), eine wahre Delikatesse sein. Schade nur, dass sie sich wegen ihrer Üppigkeit viel eher als Haupt- denn als Vorspeise eignet – noch dazu als Appetitöffner vorm eh schon mehr als üppigen Gansl.

Dabei gibt es durchaus Gerichte und Zubereitungsarten, die dem Tier besser gerecht werden als das Braten im Rohr. Dazu reicht ein Blick nach Italien, wo Gänsefleisch vorwiegend als Ragout beziehungsweise Sugo zum Anrichten von Pappardelle oder ähnlichen Eier-Teigwaren verarbeitet wird. Oder nach Frankreich, jenem Land, in dem es der gebürtige Ungar Martin zum Bischof brachte. Dort gilt der Südwesten des Landes als europäische Hochburg allen Freilandgeflügels und als letzte Bastion auf dem Kontinent, wo die traditionelle und einst weitverbreitete Technik der Gänse- und Entenfettkonserve bis heute hochgehalten wird.

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In wenigen Tagen geht es den Gänsen hierzulande wieder an den Kragen. Verspeist werden sie meistens als Braten mit Rotkraut und Knödel.
Foto: picturedesk.com / Claudia Otte

Dass diese im Rest Europas – inklusive Österreich – mit wenigen Ausnahmen so gut wie ausgestorben ist, liegt vermutlich in erster Linie am schlechten Ruf, der tierischen Fetten ganz allgemein anhängt. Und das, obwohl etliche Studien inzwischen belegen konnten, dass tierisches Fett erstens so ungesund gar nicht ist. Und zweitens umso gesünder, als es von an freier Luft aufgezogenen Tieren stammt, wie das im französischen Südwesten in der Regel der Fall ist.

Verpöntes Stopfen

Nun wird manch einer noch einwenden, dass besagte Gegend auch Heimat der weitgehend verpönten Gänsestopfleber ist, was freilich richtig ist, mit unserer Gans aber kaum etwas zu tun hat. Schon allein deswegen nicht, weil es sich bei der überwiegenden Mehrheit, nämlich 98 Prozent, der heutzutage wegen ihrer Lebern gestopften Tiere nicht um Gänse, sondern um Enten handelt. Das wiederum erklärt sich dadurch, dass die Tiere – zumindest in Frankreich – per Gesetz ausschließlich händisch gestopft werden. Man muss die Vögel also zwischen die Knie klemmen, um ihnen den Trichter mit der Maisfülle in den Hals zu stecken. Ein physisch äußerst strapaziöses Handwerk, das sich mit den kleinwüchsigeren Enten naturgemäß leichter bewerkstelligen lässt als mit den viel größeren und kräftigeren Gänsen. Die Gefahr, auf eine zwangsgemästete Gans zu treffen, ist folglich äußerst gering. (Angebracht sind diesbezügliche Vorbehalte also viel eher gegenüber besonders fleischigen Entenbrüsten!).

Außerdem geht es hier sowieso nicht darum, das Geflügel aus dem Reich der bösen Stopflebern zu beziehen, sondern lediglich die dort übliche Zubereitungsart für Gänse- oder Entenfleisch abzukupfern – nämlich das Confit. Das Confit ist zweifellos jene Rezeptur, die die Qualität des Gänsefleischs am deutlichsten hervorhebt. Sein Name stammt vom Verb "confire", der so viel bedeutet wie "(auf)bewahren". Woraus sich schon ergibt, dass es sich ursprünglich um eine Konservierungsmethode handelte.

Für ein Confit benötigt man eine richtig fette Gans, die man zerlegt, indem man Fett und Fleisch von der Karkasse löst, in vier Teile aus Haxen und Brüste trennt und das Fett gesondert aufbewahrt; die Fleischteile anschließend einreibt mit einer Mischung aus Thymian, Lorbeer, Pfeffer und Gewürzen nach Wahl und in ein passendes Gefäß, etwa eine Auflaufform, tut, mit grobem Salz bedeckt und 24 Stunden an einem kühlen Ort stehen lässt; danach diese herausnimmt, abwäscht und gut abtrocknet. Währenddessen wird das Fett in einem Topf bei kleiner Hitze zum Schmelzen gebracht. (Sollte nicht genug davon da sein, kann mit zusätzlichem gekauftem Gänseschmalz ergänzt werden).

Wenn alles Fett heiß, geschmolzen und flüssig ist, die Fleischteile darin versenken und bei sehr geringer Hitze mindestens zwei Stunden köcheln lassen. Danach herausnehmen, abkühlen lassen und, ohne sie zu pressen, in Einmachgläser tun, die man mit dem noch flüssigen, aber nicht mehr brennheißen Fett aufgießt und bedeckt. Jetzt lässt man das Ganze abkühlen und verschließt die Einmachgläser. Man könnte sie auch noch abkochen und dieserart sterilisieren, doch auch so bleibt das Confit über mehrere Monate haltbar.

So. Und jetzt kann man jederzeit hergehen und die Gänseteile aus dem Glas fischen, sie in einer Pfanne mit dem eigenen Fett ein paar Minuten anrösten, bis die Haut knusprig ist und das Fleisch, das sowieso schon von hinreißender Saftigkeit und Zartheit ist, innen warm. Trocken ist hier nichts, zäh schon gar nicht, und das Fett bleibt großteils in der Pfanne. Wer will, kann darin ein paar in Würfel oder Scheiben geschnittene Kartoffeln anbraten. Dazu serviert man beispielsweise ein Schüsserl mit knackigem Frisée- oder Endiviensalat. Am besten aber schmeckt das Confit, wenn man es aufbewahrt und irgendwann später isst. Idealerweise erst im Jänner, wenn der Martini- und Weihnachts-Hype um das Geflügel längst vorbei ist – und einem an einem kalten Wintertag plötzlich die Lust packt auf richtig gutes Gansl. (Georges Desrues, RONDO, 6.11.2016)