Verfassungsrechtler Walter Berka: Schützt das Grundrecht der Meinungsfreiheit vor Privatzensur, die nach einem Code ausgeübt wird?

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Wien – Hat ein Chatbot Recht auf freie Meinungsäußerung? Eine Software wie die berüchtigte Tay, die Interaktion im Web binnen 24 Stunden zum Fan von Adolf Hitler und Donald Trump machte? Und gilt das Recht auch für Google, wenn die Suchmaschine von Algorithmen bestimmte Inhalte liefert?

Nein, sagt der Salzburger Verfassungsrechtler Walter Berka: Tay und Co könnten Bedeutung und Wissen vermitteln. Aber: Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schütze menschliche Kommunikation. Die Macht der Maschinen basiere auf unternehmerischer Freiheit, nicht freier Kommunikation – das "gilt auch für diejenigen, die sich dieser Macht bedienen".

Berka steckte beim Rundfunkforum am Donnerstag in Wien das digitale Terrain ab, auf das die Meinungsfreiheit stößt.

Ein weites Terrain: Digitale Kommunikation lässt sich nicht territorial begrenzen, sie unterliegt nicht nur einem nationalstaatlichen Recht – auch wenn einzelne Staaten ihr Recht globalisieren wollten.

Facebook, Google, Amazon und Co

Ein Terrain mit neuen Adressaten: Meinungsfreiheit erklärt sich im "besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik", sagt der deutsche Verfassungsgerichtshof. Nun aber geht es um Plattformen und Akteure, "die wahrscheinlich mächtiger sind als der ursprüngliche Widerpart der Meinungsfreiheit in Gestalt eines hoheitlichen Staates", verweist Berka auf Facebook, Google, Amazon und Co. Und er fragt: "Schützt das Grundrecht der Meinungsfreiheit auch vor Privatzensur, die nach einem Code ausgeübt wird, der bestenfalls nur wenig transparent, im schlimmeren Fall autoritär oder manipulativ ist? Dafür könnte einiges sprechen."

Berka verweist aber auch auf eine "neue 'Moralisierung' des Sagbaren, die wir als eine neue Bedrohung der Meinungsfreiheit wahrnehmen müssen". Der renommierte Verfassungs- und Rundfunkrechtler sieht Versuche zunehmen, "ausgehend von bestimmten ideologischen, religiösen, ethischen, vegetarischen, tierschützerischen oder ökologischen Aspekten den offenen Diskurs über bestimmte Fragen und Themen zu bannen". Das bedeute, "nicht nur kontrovers zu diskutieren oder argumentativ zu bekämpfen, sondern in den Orkus des Unsagbaren zu stoßen".

Berka mahnt zur Differenzierung: "Hier geht es um die schwierige, aber notwendige Grenze zwischen einer Manifestation von gewalttätiger Hetze, die sich auch dann nicht auf die Meinungsfreiheit berufen darf, wenn sie sich sprachlicher Formen bedient, und einer anstößigen, diskriminierenden oder bösartigen Rede, die wir ablehnen sollen, die aber nichtsdestoweniger geschützte freie Rede bleibt."

Radikale Gedanken verbreiten sich schneller

Für all das brauche es wohl keine Neuvermessung der Meinungsfreiheit, argumentiert Berka. Und wird gleich viel grundsätzlicher: Es habe sich als Illusion erwiesen, dass die weltweite Vernetzung friedlichen Diskurs und Kulturen übergreifende Verständigung der Menschen fördert. Eher lässt sich das Gegenteil konstatieren, weil sich radikale Gedanken und mit ihnen Hass und Gewalt viel schneller verbreiteten. "Hat das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine innere Rechtfertigung verloren?", fragt er also: "Müssen wir uns vom faszinierenden Glauben an den Wert und den Nutzen der freien Rede verabschieden?"

Womöglich sei "Bürgerinnen und Bürgern des Cyberspace Datenschutz und abgeschirmte Privacy wichtiger geworden als die Meinungsfreiheit". Oder doch "skeptischer Optimismus": "Weiterhin auf das Versprechen der Aufklärung vertrauen und darin den unveränderten Sinn des Grundrechts erkenne.n" Um das Versprechen zu erfüllen, brauche es wohl neue gesetzliche Schutzpflichten und Gewährleistungsaufträge. (fid, 20.10.2016)