Die US-Journalistin Arianna Huffington ortet in der Schlaflosigkeit der heutigen Internetgesellschaft eine moderne Seuche – Menschen sind Sklaven jener Technologien, die sie erfunden haben.

Arianna Huffington (66) ist US-Journalistin mit griechischen Wurzeln. Sie war Mitbegründerin der "Huffington Post". Vor zwei Monaten stieg sie dort komplett aus und fokussiert sich auf ihr Unternehmen Thrive Global, das sich mit Gesundheit beschäftigt.

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STANDARD: Sie haben lange Zeit im Internet-Business gearbeitet, ein nicht gerade gemütlicher Job. Ist das Thema Schlaf eine Art Kontrastprogramm für Sie?

Huffington: Das ist alles schon eine Weile her. Die Beschäftigung mit Gesundheit begann mit meinem Zusammenbruch vor mittlerweile neun Jahren. Ich leitete die Huffington Post, hatte zwei Kinder und arbeitete nahezu Tag und Nacht. Damals schlief ich vielleicht vier Stunden pro Nacht.

STANDARD: Und waren damit sehr erfolgreich ...

Huffington: Ja, das bildet man sich ein. Hätte man mich damals gefragt, wie es mir geht, hätte ich sicher "fine" gesagt.

STANDARD: Und wie ging es Ihnen in Wirklichkeit?

Huffington: Es gibt ganz klare wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, was bei chronischer Müdigkeit passiert. Sie wirkt sich massiv auf die kognitive Aufnahmefähigkeit aus. Man ist unkonzentriert, springt am Computer von einem Programm ins andere. Es ist eine Art von Erledigungsmodus. In diesem Zustand trifft man auch keine guten Entscheidungen, weil man ja ständig auf etwas reagiert und das Zepter nicht mehr selbst in der Hand hat. Wer müde ist, bezieht alles auf sich selbst, ist gereizt. Und eines Tages bin ich am Schreibtisch zusammengebrochen, mit dem Kopf auf die Tischplatte geknallt und habe mir dabei den Kieferknochen gebrochen. Ich bin in einer Blutlache wieder zu mir gekommen. Das war mein Wake-up-Call.

STANDARD: Haben Sie deshalb das Thema Schlaf zu Ihrer Mission gemacht und das Buch geschrieben?

Huffington: Mein Burnout ist kein Einzelfall, sondern die Schlaflosigkeit in der Welt, in der wir leben, ist die Seuche des 21. Jahrhunderts. In Banken, im Internet-Business oder in der Politik ist es eine Tugend, mit wenig Schlaf auszukommen. Schlaf gilt als Schwäche. Wir sehen das auch aktuell im US-Wahlkampf, wo es massiv darum geht, wer fitter ist. Wenn Hillary aus Erschöpfung zusammenbricht, schlägt Trump daraus Profit. Das ist symptomatisch.

STANDARD: Woher kommt das?

Huffington: Aus den Zeiten der industriellen Revolution, denn damals etablierte sich die Idee, dass Maschinen 24 Stunden lang durcharbeiten können. Im digitalen Zeitalter wurde dieses Ziel auf Menschen übertragen. Ohne Schlaf auszukommen ist eine Tugend von Macho-Männern. Es gibt Frauen, die dieses Prinzip übernommen haben.

STANDARD: Im Buch vermitteln Sie den Eindruck, die Menschen, die wenig schlafen, seien auch selbst schuld daran.

Huffington: Ich bin keine Ärztin und habe das Buch auch nicht für Menschen mit Schlafstörungen geschrieben. Das Buch ist für Leute, die nicht schlafen können, weil sie beruflich gestresst sind. Sie zahlen auf Dauer einen hohen Preis, denn die damit verbundenen Krankheiten wie etwa die Demenz treten ja erst mit der Zeit auf.

STANDARD: Was raten Sie?

Huffington: Ich denke, dass diese Gruppe von Menschen ihren Umgang mit Technologie überdenken sollte. E-Mail, Internet und soziale Medien sind darauf ausgelegt, die Menschen zu zerstreuen, die Technologie hat uns zu Sklaven gemacht. Das blaue Licht der Bildschirme stört nachweislich den Tag-Nacht-Rhythmus, verursacht Stress, wir müssen sie in die Schranken weisen.

STANDARD: Wie?

Huffington: Ich habe all diese Geräte aus meinem Schlafzimmer verbannt, ich nehme mir Zeit für Schlaf, und wenn ich nicht genug davon bekomme, richte ich es so ein, dass ich tagsüber ein Schläfchen mache. Das alles passiert nicht automatisch, ich entscheide mich jedes Mal wieder aktiv für Ruhephasen.

STANDARD: Wie viel Schlaf braucht ein Erwachsener?

Huffington: Zwischen sieben und neun Stunden, außer man hat eine genetische Störung, das trifft auf ein Prozent der Menschen zu. Ich bin eine Acht-Stunden-Person. Ein guter Tag beginnt für mich mit der guten Nacht davor.

STANDARD: Was ist Ihr Ziel?

Huffington: Es geht darum, das ganze System zu verändern. Die Unternehmen, die ich berate, haben erkannt, dass sie einen viel zu hohen Preis für die grassierende Atemlosigkeit zahlen. Mitarbeiter im Burnout sind extrem teuer, und übermüdete Mitarbeiter sind wenig produktiv und vor allem selten kreativ. (Karin Pollack, 22.10.2016)