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Ein Peshmerga-Soldat in Kirkuk während des Angriffs des IS.

Foto: Reuters / Ako Rasheed

Bagdad/Wien – Der Versuch des "Islamischen Staats", am Freitag eine Front in der Stadt Kirkuk zu eröffnen, kommt nicht ganz unerwartet. Er erfolgte zweifellos in der Absicht, besonders die kurdischen Peshmerga, die erfolgreich Richtung Mossul marschieren, abzulenken. Dass die Situation – so melden es zumindest die offiziellen Quellen – in Kirkuk relativ rasch unter Kontrolle gebracht werden konnte, ist zwar ein Erfolg, aber nicht völlig beruhigend.

Denn mit einem Schlag wurde das Potenzial der Terrormiliz offenbar, die nicht nur mit konventionellen Mitteln um ihre Basis im Irak kämpfen wird. In ihrer "Hauptstadt" Mossul hat IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi im Sommer 2014 sein "Kalifat" ausgerufen.

Der mehrteilige Angriff in Kirkuk richtete sich gegen ein Kraftwerk in der Peripherie, aber auch gegen Regierungsgebäude im Zentrum, wobei etliche Selbstmordattentäter im Einsatz waren. Es handelte es sich laut örtlichen Angaben um IS-Schläfer, die sich bereits in der Stadt befanden.

Misstrauen gegen Flüchtlinge

Das ist eine dramatische Nachricht auch für andere Städte unter irakischer beziehungsweise kurdischer Kontrolle. Obwohl es stets auch lokale IS-Unterstützer gibt, wird auch das Misstrauen gegen Flüchtlinge wachsen: sowohl gegen die bereits länger vorhandenen Flüchtlingspopulationen als auch gegen jene, die vor der jetzigen Offensive flüchten. Das Misstrauen und die Angst, dass sie wissentlich oder unwissentlich IS-Infiltratoren mitbringen, wird noch größer werden.

In Kirkuk riefen laut Augenzeugen IS-Kämpfer die Bevölkerung dazu auf, sich ihnen anzuschließen, offenbar war aber das Gegenteil der Fall: Die Menschen halfen den Behörden und der irakischen Polizei. Der Wahrheitsgehalt von Meldungen ist jedoch schwer zu überprüfen und ein Überblick über die Gesamtlage nicht gegeben. Das gilt für die gesamte Mossul-Offensive, an deren Rand auch eingebettete Reporter teilnehmen.

Kirkuk ist vom "Islamischen Staat" wohl sehr bewusst als Schauplatz seines ersten großen Ablenkungsversuchs gewählt worden. Es handelt sich um "umstrittenes Gebiet" zwischen dem arabischen und dem kurdischen Teil des Irak – bei einem starken turkmenischen Anteil –, über das eigentlich schon vor Jahren ein Referendum stattfinden hätte sollen. In den Jahren vor dem Aufkommen des IS gab es immer wieder auch militärische Spannungen zwischen irakischen und kurdischen Sicherheitskräften.

Nationales Symbol

Als die irakische Armee im Juni 2014 vor dem herannahenden IS floh, übernahmen die Kurden die Kontrolle über die Stadt – und werden sie, so auch die offiziellen Aussagen, nicht mehr freiwillig abgeben. Kirkuk ist nicht nur wegen der dort vorhandenen Ölvorkommen für die Kurden wirtschaftlich wichtig, es hat auch einen großen emotionalen nationalen Stellenwert. So gesehen war die Kalkulation des IS richtig, dass Kirkuk den kurdischen Peshmerga näher liegt als Mossul.

Laut Uno, die sich auf lokale Informationen bezieht, könnte auch bereits eine andere Befürchtung eingetroffen sein: Der IS soll in der Umgebung Mossuls hunderte Geiseln genommen haben und sie zu strategischen Zielen in der Stadt gebracht haben. Die Peshmerga und die irakischen Truppen mit ihren Hilfsmilizen stoßen immer wieder auf Verminungen und Sprengfallen. Sie marschieren aus drei Richtungen auf Mossul zu, wobei dem IS eine Öffnung Richtung Westen bleibt.

Dass es einen Fluchtweg gibt, ist gleichzeitig eine Hoffnung für Mossul – vielleicht gibt sie der IS angesichts der Übermacht ja wirklich auf – als auch eine Gefahr. Der IS könnte in der Wüste verschwinden, aus der er 2014 wie quasi aus dem Nichts aufgetaucht ist.

Vor allem Russland zeigt sich besorgt über eine Abwanderung von IS-Kämpfern nach Syrien. Allerdings ist die Aufmerksamkeit, die den Bewegungen des IS aus der Luft geschenkt wird, heute bestimmt größer als 2014. Damals wurde er zwar nicht übersehen, aber unterschätzt. (Gudrun Harrer, 21.10.2016)