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Ein neuer Saad al-Hariri (links) vor einer Woche in Beirut: Er unterstützt die Wahl des Kandidaten der Hisbollah, Michel Aoun (rechts), zum Präsidenten des Libanon. Die Wahlsitzung ist am Montag.

Foto: Reuters / Mohamed Azakir

Beirut/Wien – Nach zwei Jahren und fünf Monaten soll das libanesische Parlament am Montag einen Präsidenten wählen: Michel Suleiman hatte Ende Mai 2014 regulär das Amt verlassen; in der Folge fehlte der nötige Konsens der Blöcke und Fraktionen, um sich auf einen Nachfolger zu einigen. Um eine Abstimmung zu verhindern, boykottierten jeweils genügend Abgeordnete die Sitzungen, um das Quorum von 86 Mandataren zu verhindern, das jüngste – 45. – Mal Ende September.

Der neue Präsident wird – wenn bis Montag nichts Gegenteiliges passiert – Michel Aoun heißen. Der maronitische Christ ist der Kandidat der ersten Stunde der schiitischen Hisbollah für den Posten. Das Präsidentenamt steht in der libanesischen Konkordanzdemokratie den Maroniten zu, wie der Premiersposten den Sunniten und der des Parlamentspräsidenten den Schiiten.

Möglich gemacht wird die Wahl des 81-jährigen Aoun, Bürgerkriegsgeneral und Gründer der Freien Patriotischen Bewegung, durch die überraschende Kehrtwende des prominentesten Hisbollah-Gegners: Saad Hariri, Chef der Zukunftsbewegung und Sohn des im Februar 2005 bei einem Großanschlag ermordeten Mehrfachpremiers und Businesstycoons Rafiq al-Hariri.

Widerstand auf beiden Seiten

Saad al-Hariri wird für seine Unterstützung von Michel Aoun seinerseits die Designierung zum Premier erhalten. Auch die Hisbollah stimmt dem zu. Allerdings gibt es Widerstand auf beiden Seiten, sowohl in Hariris Lager als auch in der mit der Hisbollah verbündeten Schiitenpartei Amal, die den Parlamentspräsidenten Nabih Berri stellt. Außerdem wollte zu Wochenmitte der Christenpolitiker Suleiman Franjieh (Marada) seinen Anspruch auf das Präsidentenamt nicht aufgeben.

Hariri hatte 2015 Franjieh als seinen Kandidaten nominiert – obwohl Franjieh ein guter Freund von Syriens Präsident Bashar al-Assad ist und Hariri ja als Mann Saudi-Arabiens gilt, das Assad stürzen will. Die Hisbollah war hingegen immer bei ihrer Unterstützung Aouns geblieben.

Trotz der Kritik von verschiedenen Seiten und obwohl auch Drusenführer Walid Jumblat zunächst offenließ, wie sich seine "Sozialistische Fortschrittspartei" verhalten würde, kündigte niemand einen Boykott an: Das heißt, ein oder mehrere Wahlgänge könnten stattfinden und hätten Gültigkeit. Der Präsident braucht im ersten Wahlgang zwei Drittel der Stimmen (nicht der Anwesenden, sondern aller Parlamentarier), im zweiten nur eine Mehrheit plus eins. Das wären 65 Stimmen.

In einem Leitartikel unterstrich am Mittwoch die Tageszeitung The Daily Star, dass eine Abstimmung über zwei Kandidaten – Aoun und Franjieh – ein Lebenszeichen der libanesischen Demokratie wäre. Es sei gut, wenn der Präsident einmal gewählt und nicht nur ausgehandelt würde.

Zwischen Hariri und der Hisbollah wäre es nicht der erste Versuch eines Arrangements: Eine gemeinsame Regierung, der Hariri vorstand, wurde 2011 von der Hisbollah verlassen und dadurch gestürzt. Beim Streit ging es um die Unterstützung Beiruts für das Uno-Sondergericht, vor dem wegen des Anschlags von 2005 – immerhin auf Hariris Vater – mehrere Hisbollah-Mitglieder in absentia angeklagt sind.

Zwei große Lager

Die libanesische politische Landschaft ist grob in zwei große Lager geteilt, die nach den Daten von Großdemonstrationen im Jahr 2005 pro und kontra Syrien benannt sind. Die Syrien-kritische Allianz des 14. März machte Syrien für die Ermordung Hariris verantwortlich und verlangte den Abzug der syrischen Truppen (was auch geschah). Die prosyrische Allianz des 8. März wird von der Hisbollah angeführt, aber auch Aouns Partei gehört dazu.

Nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien, wo die Hisbollah an der Seite Assads kämpft, vertieften sich die politischen Gräben im Libanon weiter. Das Parlament war gelähmt, auch Legislativwahlen mussten verschoben werden. Nun sollen sie im Juni 2017 stattfinden: wenn denn der Konsens hält. Der Widerstand Berris etwa rührt daher, dass er gerne einen "Korb"-Deal abgeschlossen hätte, zu dem ein neues Wahlrecht gehört, das den veränderten demografischen Verhältnissen – weniger Maroniten, mehr Schiiten – Rechnung trägt.

Hariri hat zwar mit Aoun eine große Kröte geschluckt – aber die Rückkehr als starker Mann seines Blocks bringt ihm einiges. Der Glanz des Politikers, der jahrelang in Riad lebte, verblasste zuletzt, was bei den Lokalwahlen im Mai zu spüren war. Er ist unter den Sunniten nicht mehr unumstritten. Dazu kommen wirtschaftliche Probleme seiner Firmen, etwa des Bauriesen Saudi Oger. Saudi-Arabien hat sich zuletzt weniger für den Libanon interessiert und engagiert – und auch das macht Hariris Schritt wohl erst möglich. (Gudrun Harrer, 27.10.2016)