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Bei der Offensive an der südlichen Front gegen den "Islamischen Staat" in Mossul sind auch irakische Polizeieinheiten dabei.

Foto: Reuters

Bagdad/Washington/Wien – Die Offensive gegen den "Islamischen Staat" in der ehemaligen irakischen Millionenstadt Mossul geht in ihrer zweiten Woche langsam und blutig voran, mit allen befürchteten Begleiterscheinungen. Die irakischen Truppen mit den Eliteeinheiten CTS (Counter Terrorism Services) im Osten und die kurdischen Peschmerga im Norden, von den USA aus der Luft unterstützt, melden die schrittweise Einnahme von Dörfern und sind wenige Kilometer an Mossul herangerückt. Auch im Süden, wo die Front weiter von der Stadt entfernt ist, marschieren irakische Sicherheitskräfte inklusive Polizeieinheiten vor.

Aber der Widerstand des IS wird stärker. Er versucht, andere Kampfschauplätze zu eröffnen, so weit entfernt wie in Rutba an der jordanischen Grenze. Und im Raum Mossul häufen sich die Meldungen über Gräueltaten.

Einen gesicherten Überblick über Opferzahlen bei Zivilisten und Angreifern gibt es nicht. Laut US Central Command wurden bisher bis zu 900 IS-Kämpfer getötet. Die USA gehen von etwa 5000 in Mossul aus – es gibt aber auch Schätzungen von bis zu 12.000.

Sich unsichtbar machen

Nach Augenzeugenberichten, die Middle East Eye zitiert, rasieren manche IS-Kämpfer ihre Bärte ab und versuchen, inmitten der Bevölkerung zu verschwinden. Andere Berichte sprechen davon, dass sich IS-Kämpfer in Mossul auf dem Westufer des Tigris sammeln: um dort konzertiert Widerstand zu leisten oder zur Flucht, ist noch unklar.

Dass im Westen sozusagen ein Loch in der Front klafft, durch das sich die IS-Kämpfer absetzen könnten, ist Anlass für Spekulationen. Taktisch macht es Sinn, dass man den IS aus der Stadt heraushaben will: aber nur, wenn man ihn danach stoppt. Nach eigenen Aussagen wollen schiitische Milizen der "Volksmobilisierungseinheiten", die sich wegen konfessioneller Sensibilitäten laut offiziellen irakischen Angaben bei der Offensive auf das vorwiegend sunnitische Mossul im Hintergrund halten sollen, dem IS den Weg abschneiden.

Ein möglicher Rückzug in die westirakische Wüste wird sogar in IS-Propagandamaterialien angesprochen. So machte es die Vorgängerorganisation des IS am Ende des Bürgerkriegs 2008, aus der Wüste tauchte sie ab 2012 wieder auf und überfiel die Städte. In den Verschwörungstheorien der Region, nach denen der IS eine "Kreation der Amerikaner" ist, heißt das: Dort wird er bleiben, bis ihn die USA wieder brauchen.

Hirngespinste beiseite, so einfach würde ein Verschwinden des IS heute, wo die Aufmerksamkeit auch aus der Luft auf ihn gerichtet ist, nicht mehr gehen. Demnach ist es realistisch, dass die IS-Kämpfer versuchen werden, nach Syrien in die dortige IS-"Hauptstadt" Raqqa durchzukommen.

US-Verteidigungsminister Ash Carter hat folgerichtig angekündigt, dass sich die Offensiven in Mossul und Raqqa "überlappen" werden. Damit soll aber nicht nur die Theorie abgestellt werden, dass der IS entkommen soll. Carter sprach von einer von der Planungszentrale Raqqa ausgehenden Gefahr auch für den Westen: "Sie haben etwas vor", und zwar "außerhalb". Deshalb müsse man "ziemlich bald" nach Raqqa.

Politische Bruchlinien

Die Offensive auf Raqqa wird noch mehr politische Komplikationen mit sich bringen als jene in Mossul, wo es hauptsächlich um innere irakische Bruchlinien zwischen Kurden, arabischen Sunniten und Schiiten geht. Aber an beiden Kriegsschauplätzen mischt die Türkei mit: In Mossul kooperiert die türkische Armee mit den irakischen Kurden der KDP, der Partei des Kurdenpräsidenten Massud Barzani, gegen den Willen der irakischen Regierung. Sonst sind die Ausländer in Mossul – neben den USA auch die Iraner – auf Einladung Bagdads dort.

In Syrien, wo nebenher der Aufstand gegen das Assad-Regime tobt, ist das ganz anders. Dort gibt es natürlich keine Zusammenarbeit zwischen der US-geführten Anti-IS-Allianz und Regierungstruppen. Die USA stützen sich auf die von ihnen quasi erfundenen "Syrischen Demokratischen Kräfte" (SDF), deren stärkstes Element die YPG, die Milizen der Kurdenpartei PYD, sind. Für die Türkei sind sie ein PKK-Ausläufer, den sie bei ihrer Bodenoffensive auf syrischem Territorium – natürlich ebenfalls ohne Einladung aus Damaskus – ebenso bekämpft wie den IS. Ankara verlangt nun, dass die syrischen Kurden in Raqqa nicht dabei sein dürfen – die USA haben klar gemacht, dass das nicht geht.

Und da ist auch noch die Frage, wie Russland dazu steht, dass die USA die Befreiung Raqqas auf ihr Konto schreiben wollen. Es gibt bereits ein Angebot Moskaus zur US-russischen "Kooperation" in Raqqa – mit dem Schönheitsfehler, dass die Russen in Syrien nicht nur gegen den IS, sondern auch für das Assad-Regime kämpfen. (Gudrun Harrer, 28.10.2016)