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Eine eingestürzte Kirche in Borgo Sant'Antonio.

Foto: REUTERS / Max Rossi

Macerata – Nach dem schweren Erdbeben in der mittelitalienischen Region Marken am Mittwochabend haben rund 4.000 Menschen in der Provinz Macerata die zweite Nacht in Behelfsunterkünften verbracht. Für die Menschen, deren Häuser unbewohnbar sind, wurden Schlafplätze in Zelten und in Sporthallen eingerichtet. 120 Einwohner der vom Erdbeben zerstörten Gemeinde Visso wurden in Hotels an der Adria untergebracht.

In der Nacht auf Freitag wurden mehr als 100 Nachbeben registriert. Der stärkste Erdstoß erreichte eine Magnitude von 3,5 und wurde um 4.13 Uhr nahe der Gemeinde Ussita gemeldet. Die Schulen der gesamten Region sollen bis zum 2. November geschlossen bleiben, weil die Statik der Gebäude geprüft werden muss.

Die Regierung in Rom hat 40 Millionen Euro Soforthilfe zugesagt. Der italienische Premier Matteo Renzi besuchte am Donnerstagnachmittag die zerstörten Gemeinden in der Region Marken und machte der betroffenen Bevölkerung Mut. "Wir sind stärker als das Erdbeben. Wir geben nicht auf. Wir werden diese Gemeinden schnell wiederaufbauen", sagte der Ministerpräsident. Ganz Italien stehe an der Seite des Erdbebengebiets.

Visso nicht mehr bewohnbar

Die Erdbeben, die am Mittwochabend die Marken erschütterten, haben in insgesamt 19 Gemeinden schwere Schäden, auch am Kulturerbe, verursacht. Die Kirche San Salvatore in Campi di Norcia stürzte ein. Ein zwei Meter großes Steinkreuz auf der Spitze der Hauptfassade der Basilika des Heiligen Benedikt stürzte ab. Zum Glück fiel das schwere Kreuz auf das Dach der Kirche und nicht auf den Platz vor der Basilika. 16 Kirchen in Norcia waren nicht mehr zugänglich. Für Messen wurde ein Zelt errichtet. In der umbrischen Stadt Norcia, Geburtsstadt des Heiligen Benedikt (geb. 480) hatte schon das verheerende Erdbeben vor zwei Monaten Schäden angerichtet.

Auch in Visso, im Epizentrum der neuen Erdbeben, stürzte eine Kirche ein. Dort wurde auch ein Museum beschädigt, in dem Manuskripte des italienischen Dichters Giacomo Leopardi (1798 – 1837) aufbewahrt werden. Die Manuskripte sollen vorläufig in ein Museum in Bologna gebracht werden. Alle Häuser in Visso seien beschädigt und nicht mehr bewohnbar, sagte der Bürgermeister des Dorfs, Giulio Pazzaglini.

Lange Serie von Nachbeben

Seismologen rechnen mit einer langen Serie von Nachbeben. Die Erdstöße könnten sogar noch monatelang andauern. "Nach den starken Erdstößen wird die Erdbebenlinie ein neues Gleichgewicht suchen, wahrscheinlich mit Nachbeben", sagte Paolo Messina, Direktor des Instituts für Geologie des italienischen Wissenschaftsinstituts CNR. Die Erdbeben vom Mittwoch seien mit jenem im August, bei dem 298 Menschen starben, in Verbindung zu bringen. "Wir können nur Hypothesen aufstellen. Wahrscheinlich hat sich der nördliche Zweig derselben Erdbebenlinie bewegt", sagte Messina.

Er kritisierte mangelnde Vorsorge: Fast drei Millionen Menschen würden in Italien in Gebieten mit einem hohen Erdbebenrisiko, 21 Millionen in Gebieten mit einem erhöhten Risiko leben. Es gebe aber kaum Prävention. "Man unterschätzt die Erdbebengefahr. Wer ein Auto kauft, kontrolliert, dass es Airbags hat. Wenn man ein Haus baut oder renoviert, spart man lieber, als in Sicherheit zu investieren", analysierte Messina im Interview mit der römischen Tageszeitung "La Repubblica".

Auf seismisch aktiven Gebieten befinden sich laut dem Experten zwölf Millionen Privatwohnungen und sechs Millionen öffentliche Gebäude. Besonders gefährdet seien Kommunen entlang des Apennins. Investitionen in erdbebensichere Baustandards seien der einzige Weg, um sich vor der Gefahr zu schützen. (APA, red, 28.10.2016)